Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Decke gefroren, ihr eisig Hals, Kinn und Busen, dann
war sie glücklich, etwas um ihn zu leiden, der Alles
um sie litt. In diesen Nächten bezwang die heilige
Liebe die irdische in ihr; aus dem Schmerz der ge¬
täuschten süßen Wünsche, die ihn besitzen wollten, stieg
sein Bild wieder in die unnahbare Glorie hinauf, in
der sie ihn sonst gesehn.

Apollonius genas rasch. Und nun begann das
eigene Zusammenleben der beiden Menschen. Sie sahen
sich wenig. Er blieb auf seinem Stübchen wohnen,
Valentin brachte ihm das Essen, wie sonst, dahin. Die
Kinder waren oft bei ihm. Begegneten sich die Bei¬
den, begrüßte er sie mit freundlicher Zurückhaltung;
damit entgegnete sie den Gruß. Hatten sie etwas zu
besprechen, so machte es sich jederzeit wie zufällig, daß
die Kinder und der alte Valentin, oder das Hausmäd¬
chen zugegen war. Kein Tag verging deshalb ohne
stumme Zeichen achtender Aufmerksamkeit. Kam er am
Sonntag vom Gärtchen heim, so hatte er einen Strauß
Blumen für sie, den Valentin an sie abgeben mußte.
Er konnte gute Partien machen; es meldeten sich statt¬
liche Bewerber um sie. Er wies die Anträge, sie die
Freier zurück. So vergingen Tage, Wochen, Monde,
Jahre, Jahrzehnte. Der alte Herr starb und wurde
hinausgetragen, der brave Bauherr folgte ihm, dem
Bauherrn der alte Valentin. Dafür wuchsen die Kin¬
der zu Jünglingen auf. Die wilde Locke über der

Decke gefroren, ihr eiſig Hals, Kinn und Buſen, dann
war ſie glücklich, etwas um ihn zu leiden, der Alles
um ſie litt. In dieſen Nächten bezwang die heilige
Liebe die irdiſche in ihr; aus dem Schmerz der ge¬
täuſchten ſüßen Wünſche, die ihn beſitzen wollten, ſtieg
ſein Bild wieder in die unnahbare Glorie hinauf, in
der ſie ihn ſonſt geſehn.

Apollonius genas raſch. Und nun begann das
eigene Zuſammenleben der beiden Menſchen. Sie ſahen
ſich wenig. Er blieb auf ſeinem Stübchen wohnen,
Valentin brachte ihm das Eſſen, wie ſonſt, dahin. Die
Kinder waren oft bei ihm. Begegneten ſich die Bei¬
den, begrüßte er ſie mit freundlicher Zurückhaltung;
damit entgegnete ſie den Gruß. Hatten ſie etwas zu
beſprechen, ſo machte es ſich jederzeit wie zufällig, daß
die Kinder und der alte Valentin, oder das Hausmäd¬
chen zugegen war. Kein Tag verging deshalb ohne
ſtumme Zeichen achtender Aufmerkſamkeit. Kam er am
Sonntag vom Gärtchen heim, ſo hatte er einen Strauß
Blumen für ſie, den Valentin an ſie abgeben mußte.
Er konnte gute Partien machen; es meldeten ſich ſtatt¬
liche Bewerber um ſie. Er wies die Anträge, ſie die
Freier zurück. So vergingen Tage, Wochen, Monde,
Jahre, Jahrzehnte. Der alte Herr ſtarb und wurde
hinausgetragen, der brave Bauherr folgte ihm, dem
Bauherrn der alte Valentin. Dafür wuchſen die Kin¬
der zu Jünglingen auf. Die wilde Locke über der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0326" n="317"/>
Decke gefroren, ihr ei&#x017F;ig Hals, Kinn und Bu&#x017F;en, dann<lb/>
war &#x017F;ie glücklich, etwas um ihn zu leiden, der Alles<lb/>
um &#x017F;ie litt. In die&#x017F;en Nächten bezwang die heilige<lb/>
Liebe die irdi&#x017F;che in ihr; aus dem Schmerz der ge¬<lb/>
täu&#x017F;chten &#x017F;üßen Wün&#x017F;che, die ihn be&#x017F;itzen wollten, &#x017F;tieg<lb/>
&#x017F;ein Bild wieder in die unnahbare Glorie hinauf, in<lb/>
der &#x017F;ie ihn &#x017F;on&#x017F;t ge&#x017F;ehn.</p><lb/>
        <p>Apollonius genas ra&#x017F;ch. Und nun begann das<lb/>
eigene Zu&#x017F;ammenleben der beiden Men&#x017F;chen. Sie &#x017F;ahen<lb/>
&#x017F;ich wenig. Er blieb auf &#x017F;einem Stübchen wohnen,<lb/>
Valentin brachte ihm das E&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;on&#x017F;t, dahin. Die<lb/>
Kinder waren oft bei ihm. Begegneten &#x017F;ich die Bei¬<lb/>
den, begrüßte er &#x017F;ie mit freundlicher Zurückhaltung;<lb/>
damit entgegnete &#x017F;ie den Gruß. Hatten &#x017F;ie etwas zu<lb/>
be&#x017F;prechen, &#x017F;o machte es &#x017F;ich jederzeit wie zufällig, daß<lb/>
die Kinder und der alte Valentin, oder das Hausmäd¬<lb/>
chen zugegen war. Kein Tag verging deshalb ohne<lb/>
&#x017F;tumme Zeichen achtender Aufmerk&#x017F;amkeit. Kam er am<lb/>
Sonntag vom Gärtchen heim, &#x017F;o hatte er einen Strauß<lb/>
Blumen für &#x017F;ie, den Valentin an &#x017F;ie abgeben mußte.<lb/>
Er konnte gute Partien machen; es meldeten &#x017F;ich &#x017F;tatt¬<lb/>
liche Bewerber um &#x017F;ie. Er wies die Anträge, &#x017F;ie die<lb/>
Freier zurück. So vergingen Tage, Wochen, Monde,<lb/>
Jahre, Jahrzehnte. Der alte Herr &#x017F;tarb und wurde<lb/>
hinausgetragen, der brave Bauherr folgte ihm, dem<lb/>
Bauherrn der alte Valentin. Dafür wuch&#x017F;en die Kin¬<lb/>
der zu Jünglingen auf. Die wilde Locke über der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0326] Decke gefroren, ihr eiſig Hals, Kinn und Buſen, dann war ſie glücklich, etwas um ihn zu leiden, der Alles um ſie litt. In dieſen Nächten bezwang die heilige Liebe die irdiſche in ihr; aus dem Schmerz der ge¬ täuſchten ſüßen Wünſche, die ihn beſitzen wollten, ſtieg ſein Bild wieder in die unnahbare Glorie hinauf, in der ſie ihn ſonſt geſehn. Apollonius genas raſch. Und nun begann das eigene Zuſammenleben der beiden Menſchen. Sie ſahen ſich wenig. Er blieb auf ſeinem Stübchen wohnen, Valentin brachte ihm das Eſſen, wie ſonſt, dahin. Die Kinder waren oft bei ihm. Begegneten ſich die Bei¬ den, begrüßte er ſie mit freundlicher Zurückhaltung; damit entgegnete ſie den Gruß. Hatten ſie etwas zu beſprechen, ſo machte es ſich jederzeit wie zufällig, daß die Kinder und der alte Valentin, oder das Hausmäd¬ chen zugegen war. Kein Tag verging deshalb ohne ſtumme Zeichen achtender Aufmerkſamkeit. Kam er am Sonntag vom Gärtchen heim, ſo hatte er einen Strauß Blumen für ſie, den Valentin an ſie abgeben mußte. Er konnte gute Partien machen; es meldeten ſich ſtatt¬ liche Bewerber um ſie. Er wies die Anträge, ſie die Freier zurück. So vergingen Tage, Wochen, Monde, Jahre, Jahrzehnte. Der alte Herr ſtarb und wurde hinausgetragen, der brave Bauherr folgte ihm, dem Bauherrn der alte Valentin. Dafür wuchſen die Kin¬ der zu Jünglingen auf. Die wilde Locke über der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/326
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/326>, abgerufen am 30.04.2024.