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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Kauen und Schlingen; Dünndarm.
empfindenden Flächen hinter dem Gaumenbogen bis zum Beginn der
Speiseröhre.

Speiseröhre. Ihre Muskeln sind beim Menschen, abweichend
von dem Verhalten der Haussäugethiere, aus Quer- und Längsfaden zu-
sammengesetzt. Die Nerven derselben kommen aus dem Vagusstamme;
sie sind dem Willenseinflusse durchaus entzogen und können nur in
besonderen Zuständen der Erregbarkeiten von der sie deckenden Schleim-
haut zu Zusammenziehungen veranlasst werden.

Die bis dahin erwähnten Werkzeuge vollführen das Kauen und Schlingen.

Das Kauen oder Verkleinern der eingeführten und unter Umstän-
den mit den Schneidezähnen abgebissenen Speisebrocken geschieht
durch den mahlenden Druck der Backzähne; diesem Akte kommt die
Kraft der Kieferschliesser, die Beweglichkeit des Unterkieferkopfes nach
verschiedenen Richtungen und die Härte und Unebenheit der Backzähne
zu Gute. -- Die Speisebrocken würden bei diesen Bewegungen von der
erhaben gestellten Kaufläche herunterfallen, wenn sie nicht durch die
Wangen, Lippen und die Zunge auf ihr gehalten würden. Wenn diese
Einrichtungen das Abgleiten nicht vollkommen verhüten, so hebt die
Zunge das Niedergefallene wieder empor; diese letztere wendet zugleich
die Speise von einer Wangenseite auf die andere, ein Vorgang, der na-
mentlich beim Kauen trockener Bisse öfter in Anwendung kommt. --
Den Härtegrad der eingeführten Stoffe prüfen die Zähne, welche bekannt-
lich sondenartige Tastwerkzeuge darstellen, und sie, in Verbindung mit
der Zunge, welche zu dem Behufe die Speisen gegen den harten Gau-
men drückt, geben auch Nachricht, ob die Bissen den zum Schlingen
hinreichenden Grad von Vertheilung erlangt haben.

Das Schlingen. Dieser Muskelakt, vermittelst dessen der ver-
kleinerte Bissen aus dem Munde in den Magen befördert werden soll,
wird dadurch verwickelt, dass die Speisen, nachdem sie einmal in die
Rachenhöhle geschoben sind, nun in den Oesophagus eindringen, also
die Mündungen der Luftwege in den Rachen vermeiden sollen und zu-
gleich nicht in die Mundhöhle zurückweichen dürfen. Das Einschieben
des Bissens hinter den vorderen Gaumenbogen besorgt die Zunge; zu dem
Ende wird sie, nachdem sie die Speisen auf ihren etwas hohl gestell-
ten Rücken genommen hat, zuerst vorn gehoben durch die Muskeln
des freien Zungenblattes, dann aber in der Mitte durch die Zusammen-
ziehung des m. mylohyoideus, indem er den Boden der Mundhöhle ab-
flacht, und endlich an der Wurzel durch m. styloglossus. Nachdem der
Bissen somit durch die Zunge an den harten Gaumen gepresst und hinter
den arcus glossopalatinus geschoben wurde, legt sich dieser letztere um
die Zunge an und schliesst damit Schlund- und Mundhöhle von einander
ab. -- In diesem Augenblicke werden auch die Nasenöffnungen und die
Stimmritze gedeckt. Die ersteren dadurch, dass das Gaumensegel in

Kauen und Schlingen; Dünndarm.
empfindenden Flächen hinter dem Gaumenbogen bis zum Beginn der
Speiseröhre.

Speiseröhre. Ihre Muskeln sind beim Menschen, abweichend
von dem Verhalten der Haussäugethiere, aus Quer- und Längsfaden zu-
sammengesetzt. Die Nerven derselben kommen aus dem Vagusstamme;
sie sind dem Willenseinflusse durchaus entzogen und können nur in
besonderen Zuständen der Erregbarkeiten von der sie deckenden Schleim-
haut zu Zusammenziehungen veranlasst werden.

Die bis dahin erwähnten Werkzeuge vollführen das Kauen und Schlingen.

Das Kauen oder Verkleinern der eingeführten und unter Umstän-
den mit den Schneidezähnen abgebissenen Speisebrocken geschieht
durch den mahlenden Druck der Backzähne; diesem Akte kommt die
Kraft der Kieferschliesser, die Beweglichkeit des Unterkieferkopfes nach
verschiedenen Richtungen und die Härte und Unebenheit der Backzähne
zu Gute. — Die Speisebrocken würden bei diesen Bewegungen von der
erhaben gestellten Kaufläche herunterfallen, wenn sie nicht durch die
Wangen, Lippen und die Zunge auf ihr gehalten würden. Wenn diese
Einrichtungen das Abgleiten nicht vollkommen verhüten, so hebt die
Zunge das Niedergefallene wieder empor; diese letztere wendet zugleich
die Speise von einer Wangenseite auf die andere, ein Vorgang, der na-
mentlich beim Kauen trockener Bisse öfter in Anwendung kommt. —
Den Härtegrad der eingeführten Stoffe prüfen die Zähne, welche bekannt-
lich sondenartige Tastwerkzeuge darstellen, und sie, in Verbindung mit
der Zunge, welche zu dem Behufe die Speisen gegen den harten Gau-
men drückt, geben auch Nachricht, ob die Bissen den zum Schlingen
hinreichenden Grad von Vertheilung erlangt haben.

Das Schlingen. Dieser Muskelakt, vermittelst dessen der ver-
kleinerte Bissen aus dem Munde in den Magen befördert werden soll,
wird dadurch verwickelt, dass die Speisen, nachdem sie einmal in die
Rachenhöhle geschoben sind, nun in den Oesophagus eindringen, also
die Mündungen der Luftwege in den Rachen vermeiden sollen und zu-
gleich nicht in die Mundhöhle zurückweichen dürfen. Das Einschieben
des Bissens hinter den vorderen Gaumenbogen besorgt die Zunge; zu dem
Ende wird sie, nachdem sie die Speisen auf ihren etwas hohl gestell-
ten Rücken genommen hat, zuerst vorn gehoben durch die Muskeln
des freien Zungenblattes, dann aber in der Mitte durch die Zusammen-
ziehung des m. mylohyoideus, indem er den Boden der Mundhöhle ab-
flacht, und endlich an der Wurzel durch m. styloglossus. Nachdem der
Bissen somit durch die Zunge an den harten Gaumen gepresst und hinter
den arcus glossopalatinus geschoben wurde, legt sich dieser letztere um
die Zunge an und schliesst damit Schlund- und Mundhöhle von einander
ab. — In diesem Augenblicke werden auch die Nasenöffnungen und die
Stimmritze gedeckt. Die ersteren dadurch, dass das Gaumensegel in

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[393/0409] Kauen und Schlingen; Dünndarm. empfindenden Flächen hinter dem Gaumenbogen bis zum Beginn der Speiseröhre. Speiseröhre. Ihre Muskeln sind beim Menschen, abweichend von dem Verhalten der Haussäugethiere, aus Quer- und Längsfaden zu- sammengesetzt. Die Nerven derselben kommen aus dem Vagusstamme; sie sind dem Willenseinflusse durchaus entzogen und können nur in besonderen Zuständen der Erregbarkeiten von der sie deckenden Schleim- haut zu Zusammenziehungen veranlasst werden. Die bis dahin erwähnten Werkzeuge vollführen das Kauen und Schlingen. Das Kauen oder Verkleinern der eingeführten und unter Umstän- den mit den Schneidezähnen abgebissenen Speisebrocken geschieht durch den mahlenden Druck der Backzähne; diesem Akte kommt die Kraft der Kieferschliesser, die Beweglichkeit des Unterkieferkopfes nach verschiedenen Richtungen und die Härte und Unebenheit der Backzähne zu Gute. — Die Speisebrocken würden bei diesen Bewegungen von der erhaben gestellten Kaufläche herunterfallen, wenn sie nicht durch die Wangen, Lippen und die Zunge auf ihr gehalten würden. Wenn diese Einrichtungen das Abgleiten nicht vollkommen verhüten, so hebt die Zunge das Niedergefallene wieder empor; diese letztere wendet zugleich die Speise von einer Wangenseite auf die andere, ein Vorgang, der na- mentlich beim Kauen trockener Bisse öfter in Anwendung kommt. — Den Härtegrad der eingeführten Stoffe prüfen die Zähne, welche bekannt- lich sondenartige Tastwerkzeuge darstellen, und sie, in Verbindung mit der Zunge, welche zu dem Behufe die Speisen gegen den harten Gau- men drückt, geben auch Nachricht, ob die Bissen den zum Schlingen hinreichenden Grad von Vertheilung erlangt haben. Das Schlingen. Dieser Muskelakt, vermittelst dessen der ver- kleinerte Bissen aus dem Munde in den Magen befördert werden soll, wird dadurch verwickelt, dass die Speisen, nachdem sie einmal in die Rachenhöhle geschoben sind, nun in den Oesophagus eindringen, also die Mündungen der Luftwege in den Rachen vermeiden sollen und zu- gleich nicht in die Mundhöhle zurückweichen dürfen. Das Einschieben des Bissens hinter den vorderen Gaumenbogen besorgt die Zunge; zu dem Ende wird sie, nachdem sie die Speisen auf ihren etwas hohl gestell- ten Rücken genommen hat, zuerst vorn gehoben durch die Muskeln des freien Zungenblattes, dann aber in der Mitte durch die Zusammen- ziehung des m. mylohyoideus, indem er den Boden der Mundhöhle ab- flacht, und endlich an der Wurzel durch m. styloglossus. Nachdem der Bissen somit durch die Zunge an den harten Gaumen gepresst und hinter den arcus glossopalatinus geschoben wurde, legt sich dieser letztere um die Zunge an und schliesst damit Schlund- und Mundhöhle von einander ab. — In diesem Augenblicke werden auch die Nasenöffnungen und die Stimmritze gedeckt. Die ersteren dadurch, dass das Gaumensegel in

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/409>, abgerufen am 28.04.2024.