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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Siebentes Buch. Achtes Hauptstück.
noch stillschweigend etwas unerlaubtes von ihnen zu begeh-
ren. Ist hingegen von Geschenken die Rede um einen Ver-
räther zu vermögen seine Pflicht wider sein Vaterland zu
verletzen, so ist zwar in jedem Falle diese Bestechung gegen
den Bestochenen als eine Verletzung des ersten Naturgesetzes
anzusehn, niemanden zu verführen; ob aber der Staat eine
solche Bestechung als eine Verletzung unserer vollkommenen
Pflichten b) gegen diesen ansehn könne, hängt nicht nur von
der Frage ob der Verräther sich zur Verrätherey anbot, oder
erst dazu verleitet worden, sondern auch von der Beschaffen-
heit der Handlung selbst ab, die durch eine solche Bestechung
bewürkt werden soll, in welcher letzteren Rücksicht noch zwi-
schen der Entdeckung eines Staatsgeheimnisses und zwischen
Aufwiegelung der Unterthanen ein Unterschied zu machen ist.
Auch kann der Staat der sich gegen uns Bestechungen er-
laubt sich nicht beschweren, wenn wir in eben dem Maaße ge-
gen ihn Repressalien gebrauchen. Endlich sind obwohl seltene,
Nothfälle gedenkbar, wo unsere Selbsterhaltung diese Ver-
letzung unserer vollkommnen Pflichten rechtfertigen könnte.

Wie häufig in der Praxis von Bestechungen Gebrauch
gemacht werde, ist bekannt; aber darum kann man sie nicht
aus dem herkommlichen Recht rechtfertigen wollen. Denn
1) kein Herkommen kann, sofern es unerlaubt ist, als gültig
angesehn werden; 2) die Europäischen Mächte gestehn ent-
weder die ihnen Schuld gegebenen Bestechungen nicht ein,
oder leugnen daß sie auf ihren Befehl unternommen worden,
und halten sich vielmehr für berechtiget, sich über Bestechungen
welche fremde Höfe oder deren Gesandte sich bey ihnen erlau-
ben, als über Verletzungen des Völkerrechts zu beschweren.

Daß auch das Betragen des Gesandten gegen andere
und selbst feindliche an dem Ort seiner Residenz sich befin-
dende Gesandte nicht nur den Pflichten gegen diese, sondern
auch den Pflichten gegen den Hof der ihn aufgenommen
hat, angemessen seyn müsse, ist unläugbar, und wenn gleich
der Gesandte nicht durch jede Verletzung der Art seine

gesand-

Siebentes Buch. Achtes Hauptſtuͤck.
noch ſtillſchweigend etwas unerlaubtes von ihnen zu begeh-
ren. Iſt hingegen von Geſchenken die Rede um einen Ver-
raͤther zu vermoͤgen ſeine Pflicht wider ſein Vaterland zu
verletzen, ſo iſt zwar in jedem Falle dieſe Beſtechung gegen
den Beſtochenen als eine Verletzung des erſten Naturgeſetzes
anzuſehn, niemanden zu verfuͤhren; ob aber der Staat eine
ſolche Beſtechung als eine Verletzung unſerer vollkommenen
Pflichten b) gegen dieſen anſehn koͤnne, haͤngt nicht nur von
der Frage ob der Verraͤther ſich zur Verraͤtherey anbot, oder
erſt dazu verleitet worden, ſondern auch von der Beſchaffen-
heit der Handlung ſelbſt ab, die durch eine ſolche Beſtechung
bewuͤrkt werden ſoll, in welcher letzteren Ruͤckſicht noch zwi-
ſchen der Entdeckung eines Staatsgeheimniſſes und zwiſchen
Aufwiegelung der Unterthanen ein Unterſchied zu machen iſt.
Auch kann der Staat der ſich gegen uns Beſtechungen er-
laubt ſich nicht beſchweren, wenn wir in eben dem Maaße ge-
gen ihn Repreſſalien gebrauchen. Endlich ſind obwohl ſeltene,
Nothfaͤlle gedenkbar, wo unſere Selbſterhaltung dieſe Ver-
letzung unſerer vollkommnen Pflichten rechtfertigen koͤnnte.

Wie haͤufig in der Praxis von Beſtechungen Gebrauch
gemacht werde, iſt bekannt; aber darum kann man ſie nicht
aus dem herkommlichen Recht rechtfertigen wollen. Denn
1) kein Herkommen kann, ſofern es unerlaubt iſt, als guͤltig
angeſehn werden; 2) die Europaͤiſchen Maͤchte geſtehn ent-
weder die ihnen Schuld gegebenen Beſtechungen nicht ein,
oder leugnen daß ſie auf ihren Befehl unternommen worden,
und halten ſich vielmehr fuͤr berechtiget, ſich uͤber Beſtechungen
welche fremde Hoͤfe oder deren Geſandte ſich bey ihnen erlau-
ben, als uͤber Verletzungen des Voͤlkerrechts zu beſchweren.

Daß auch das Betragen des Geſandten gegen andere
und ſelbſt feindliche an dem Ort ſeiner Reſidenz ſich befin-
dende Geſandte nicht nur den Pflichten gegen dieſe, ſondern
auch den Pflichten gegen den Hof der ihn aufgenommen
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der Geſandte nicht durch jede Verletzung der Art ſeine

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[272/0300] Siebentes Buch. Achtes Hauptſtuͤck. noch ſtillſchweigend etwas unerlaubtes von ihnen zu begeh- ren. Iſt hingegen von Geſchenken die Rede um einen Ver- raͤther zu vermoͤgen ſeine Pflicht wider ſein Vaterland zu verletzen, ſo iſt zwar in jedem Falle dieſe Beſtechung gegen den Beſtochenen als eine Verletzung des erſten Naturgeſetzes anzuſehn, niemanden zu verfuͤhren; ob aber der Staat eine ſolche Beſtechung als eine Verletzung unſerer vollkommenen Pflichten b) gegen dieſen anſehn koͤnne, haͤngt nicht nur von der Frage ob der Verraͤther ſich zur Verraͤtherey anbot, oder erſt dazu verleitet worden, ſondern auch von der Beſchaffen- heit der Handlung ſelbſt ab, die durch eine ſolche Beſtechung bewuͤrkt werden ſoll, in welcher letzteren Ruͤckſicht noch zwi- ſchen der Entdeckung eines Staatsgeheimniſſes und zwiſchen Aufwiegelung der Unterthanen ein Unterſchied zu machen iſt. Auch kann der Staat der ſich gegen uns Beſtechungen er- laubt ſich nicht beſchweren, wenn wir in eben dem Maaße ge- gen ihn Repreſſalien gebrauchen. Endlich ſind obwohl ſeltene, Nothfaͤlle gedenkbar, wo unſere Selbſterhaltung dieſe Ver- letzung unſerer vollkommnen Pflichten rechtfertigen koͤnnte. Wie haͤufig in der Praxis von Beſtechungen Gebrauch gemacht werde, iſt bekannt; aber darum kann man ſie nicht aus dem herkommlichen Recht rechtfertigen wollen. Denn 1) kein Herkommen kann, ſofern es unerlaubt iſt, als guͤltig angeſehn werden; 2) die Europaͤiſchen Maͤchte geſtehn ent- weder die ihnen Schuld gegebenen Beſtechungen nicht ein, oder leugnen daß ſie auf ihren Befehl unternommen worden, und halten ſich vielmehr fuͤr berechtiget, ſich uͤber Beſtechungen welche fremde Hoͤfe oder deren Geſandte ſich bey ihnen erlau- ben, als uͤber Verletzungen des Voͤlkerrechts zu beſchweren. Daß auch das Betragen des Geſandten gegen andere und ſelbſt feindliche an dem Ort ſeiner Reſidenz ſich befin- dende Geſandte nicht nur den Pflichten gegen dieſe, ſondern auch den Pflichten gegen den Hof der ihn aufgenommen hat, angemeſſen ſeyn muͤſſe, iſt unlaͤugbar, und wenn gleich der Geſandte nicht durch jede Verletzung der Art ſeine geſand-

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/300>, abgerufen am 30.04.2024.