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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Achtes Buch. Fünftes Hauptstück.
lichkeiten, in einem Waffenstillstands-Vertrage (treve im
eigentlichen Sinne) verabredet. Solche Verträge werden
entweder allgemein für die beiden kriegführenden Mächte,
oder blos insbesondere für einen Theil ihrer Kriegsmacht,
entweder für eine bestimmte, oder für unbestimmte Zeit ein-
gegangen.

Allgemein entsteht aus jedem Waffenstillstands-Ver-
trage für die schliessenden Theile die Verbindlichkeit, sich
während desselben aller Gewaltthätigkeiten und auch aller
derjenigen Kriegsunternehmungen zu enthalten, die blos
unter dem Schutz des Waffenstillstands ins Werk gesetzt
werden könnten. Ist der Waffenstillstand auf längere Zeit
eingegangen, so ist es dem Herkommen gemäß, das er
vor Anfang der Gewaltthätigkeiten aufgerufen werde, und
wo hierüber in dem Vertrage nichts festgesetzt wäre, wird
eine dreytägige Aufkündigung für herkommlich gehalten.

Jeder Anführer eines Truppencorps kann zwar für
dieses die Einstellung der Feindseeligkeiten auf kurze Zeit
gültig versprechen; soll aber ein Waffenstillstand auf lange
Zeit eingegangen werden, so wird dazu die Einwilligung
des obersten Befehlshabers, soll er allgemein geschlossen
werden, die Einwilligung des Staats, oder die besondere Voll-
macht desselben erfordert a). Wird ein solcher allgemeiner
Waffenstillstand auf mehrere Jahre b) eingegangen, so ist
er oft von einem Friedensschlusse nur darinn verschieden,
daß der Hauptstreit unentschieden bleibt, und nach Ablauf
des Waffenstillstandes um eben der Ursache willen die Waf-
fen wieder ergriffen werden können, indeß übrigens Handel
und Verkehr zwischen den Unterthanen, so wie durch Frie-
densschlüsse hergestellt wird.

a) Waffenstillstand zwischen Oesterreich und der Pforte zu Giurgewo
d. 19. Sept. 1790. in m. Recueil d. traites T. IV. p. 571.
b) Im Mittelalter, besonders im 13ten und 14ten Jahrhunderte wa-
ren dergleichen Waffenstillstandsverträge auf einige Jahre weit
gewöhnlicher als Friedensschlüsse. Noch späterhin selbst im 16ten

Achtes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
lichkeiten, in einem Waffenſtillſtands-Vertrage (trêve im
eigentlichen Sinne) verabredet. Solche Vertraͤge werden
entweder allgemein fuͤr die beiden kriegfuͤhrenden Maͤchte,
oder blos insbeſondere fuͤr einen Theil ihrer Kriegsmacht,
entweder fuͤr eine beſtimmte, oder fuͤr unbeſtimmte Zeit ein-
gegangen.

Allgemein entſteht aus jedem Waffenſtillſtands-Ver-
trage fuͤr die ſchlieſſenden Theile die Verbindlichkeit, ſich
waͤhrend deſſelben aller Gewaltthaͤtigkeiten und auch aller
derjenigen Kriegsunternehmungen zu enthalten, die blos
unter dem Schutz des Waffenſtillſtands ins Werk geſetzt
werden koͤnnten. Iſt der Waffenſtillſtand auf laͤngere Zeit
eingegangen, ſo iſt es dem Herkommen gemaͤß, das er
vor Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten aufgerufen werde, und
wo hieruͤber in dem Vertrage nichts feſtgeſetzt waͤre, wird
eine dreytaͤgige Aufkuͤndigung fuͤr herkommlich gehalten.

Jeder Anfuͤhrer eines Truppencorps kann zwar fuͤr
dieſes die Einſtellung der Feindſeeligkeiten auf kurze Zeit
guͤltig verſprechen; ſoll aber ein Waffenſtillſtand auf lange
Zeit eingegangen werden, ſo wird dazu die Einwilligung
des oberſten Befehlshabers, ſoll er allgemein geſchloſſen
werden, die Einwilligung des Staats, oder die beſondere Voll-
macht deſſelben erfordert a). Wird ein ſolcher allgemeiner
Waffenſtillſtand auf mehrere Jahre b) eingegangen, ſo iſt
er oft von einem Friedensſchluſſe nur darinn verſchieden,
daß der Hauptſtreit unentſchieden bleibt, und nach Ablauf
des Waffenſtillſtandes um eben der Urſache willen die Waf-
fen wieder ergriffen werden koͤnnen, indeß uͤbrigens Handel
und Verkehr zwiſchen den Unterthanen, ſo wie durch Frie-
densſchluͤſſe hergeſtellt wird.

a) Waffenſtillſtand zwiſchen Oeſterreich und der Pforte zu Giurgewo
d. 19. Sept. 1790. in m. Recueil d. traités T. IV. p. 571.
b) Im Mittelalter, beſonders im 13ten und 14ten Jahrhunderte wa-
ren dergleichen Waffenſtillſtandsvertraͤge auf einige Jahre weit
gewoͤhnlicher als Friedensſchluͤſſe. Noch ſpaͤterhin ſelbſt im 16ten
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[328/0356] Achtes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck. lichkeiten, in einem Waffenſtillſtands-Vertrage (trêve im eigentlichen Sinne) verabredet. Solche Vertraͤge werden entweder allgemein fuͤr die beiden kriegfuͤhrenden Maͤchte, oder blos insbeſondere fuͤr einen Theil ihrer Kriegsmacht, entweder fuͤr eine beſtimmte, oder fuͤr unbeſtimmte Zeit ein- gegangen. Allgemein entſteht aus jedem Waffenſtillſtands-Ver- trage fuͤr die ſchlieſſenden Theile die Verbindlichkeit, ſich waͤhrend deſſelben aller Gewaltthaͤtigkeiten und auch aller derjenigen Kriegsunternehmungen zu enthalten, die blos unter dem Schutz des Waffenſtillſtands ins Werk geſetzt werden koͤnnten. Iſt der Waffenſtillſtand auf laͤngere Zeit eingegangen, ſo iſt es dem Herkommen gemaͤß, das er vor Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten aufgerufen werde, und wo hieruͤber in dem Vertrage nichts feſtgeſetzt waͤre, wird eine dreytaͤgige Aufkuͤndigung fuͤr herkommlich gehalten. Jeder Anfuͤhrer eines Truppencorps kann zwar fuͤr dieſes die Einſtellung der Feindſeeligkeiten auf kurze Zeit guͤltig verſprechen; ſoll aber ein Waffenſtillſtand auf lange Zeit eingegangen werden, ſo wird dazu die Einwilligung des oberſten Befehlshabers, ſoll er allgemein geſchloſſen werden, die Einwilligung des Staats, oder die beſondere Voll- macht deſſelben erfordert a). Wird ein ſolcher allgemeiner Waffenſtillſtand auf mehrere Jahre b) eingegangen, ſo iſt er oft von einem Friedensſchluſſe nur darinn verſchieden, daß der Hauptſtreit unentſchieden bleibt, und nach Ablauf des Waffenſtillſtandes um eben der Urſache willen die Waf- fen wieder ergriffen werden koͤnnen, indeß uͤbrigens Handel und Verkehr zwiſchen den Unterthanen, ſo wie durch Frie- densſchluͤſſe hergeſtellt wird. a⁾ Waffenſtillſtand zwiſchen Oeſterreich und der Pforte zu Giurgewo d. 19. Sept. 1790. in m. Recueil d. traités T. IV. p. 571. b⁾ Im Mittelalter, beſonders im 13ten und 14ten Jahrhunderte wa- ren dergleichen Waffenſtillſtandsvertraͤge auf einige Jahre weit gewoͤhnlicher als Friedensſchluͤſſe. Noch ſpaͤterhin ſelbſt im 16ten und

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/356>, abgerufen am 27.04.2024.