Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Verträgen.
Staats. Da aber Völker sich genöthiget sehn ihren Ge-
sandten sehr ausgedehnte Vollmachten zu geben, und sie
daher, wenn der Gesandte aus bösen Willen oder Versehn
sich von den Schranken seiner geheimen Instruction ent-
fernte, leicht in einen Schaden gestürzet werden könnten,
dessen sie sich an den Gesandten nicht wieder erholen mögen,
so ist es ein anerkannter Grundsatz des positiven Euro-
päischen Völkerrechts geworden, daß Staatsverträge nicht
ehe als verbindlich angesehn werden, als bis die Genehmi-
gung des Staats hinzugekommen e). Durch diese erlangt
aber alsdann der Vertrag seine Kraft vom Tag der Un-
terzeichnung an gerechnet f), falls nicht ein anderes verab-
redet worden g). Der ganze Grund dieser Sitte aber er-
giebt, daß wenn ein Theil sich zur Ratification erbietet, der
andere sie nur dann mit Recht verweigern könne, wenn
sein Gesandter sich von den Gränzen seiner Instruction ent-
sernt hat, und daher straffällig ist h).

Staatsverträge welche von den dazu befugten Regenten
selbst unterzeichnet worden, bedürfen keiner Ratification i).

Auch sind in Kriegszeiten Capitulationen und andere
militairische Uebereinkünfte welche von Befehlshabern einer
Bestung, eines Truppencorps u. s. f. innerhalb der Grenzen
ihres Amts eingegangen worden, ohne alle Ratification ver-
bindlich k).

a) Eine eigene Schwierigkeit entsteht daher in Fällen von Revolu-
tionen, wenn die Autorität welche die Vollmacht ertheilet, noch
nicht anerkannt wird, wie dieß die Beyspiele der niederländischen,
americanischen und französischen Revolution gelehrt haben. Al-
les hängt hier von limständen ab, und kann daher nicht wohl
auf Grundsätze zurückgeführt werden.
b) So kann z. B. der römische Kaiser keinen Staatsvertrag für das
teutsche Reich ohne vorhergehenden Auftrag oder nachmalige Geneh-
migung d. Stände gültig schließen. v. Steck Abmüßigungen S. 53.
c) Daher kann auch ein durch Stände nicht eingeschränkter Monarch
nichts wieder die Fundamentalgesetze angehends für sich allein
gültig versprechen. Dieß wandten die französischen Gesandten
wider die von Großbritannien geforderte Verzichtleistung Phi-
D 3

Von Vertraͤgen.
Staats. Da aber Voͤlker ſich genoͤthiget ſehn ihren Ge-
ſandten ſehr ausgedehnte Vollmachten zu geben, und ſie
daher, wenn der Geſandte aus boͤſen Willen oder Verſehn
ſich von den Schranken ſeiner geheimen Inſtruction ent-
fernte, leicht in einen Schaden geſtuͤrzet werden koͤnnten,
deſſen ſie ſich an den Geſandten nicht wieder erholen moͤgen,
ſo iſt es ein anerkannter Grundſatz des poſitiven Euro-
paͤiſchen Voͤlkerrechts geworden, daß Staatsvertraͤge nicht
ehe als verbindlich angeſehn werden, als bis die Genehmi-
gung des Staats hinzugekommen e). Durch dieſe erlangt
aber alsdann der Vertrag ſeine Kraft vom Tag der Un-
terzeichnung an gerechnet f), falls nicht ein anderes verab-
redet worden g). Der ganze Grund dieſer Sitte aber er-
giebt, daß wenn ein Theil ſich zur Ratification erbietet, der
andere ſie nur dann mit Recht verweigern koͤnne, wenn
ſein Geſandter ſich von den Graͤnzen ſeiner Inſtruction ent-
ſernt hat, und daher ſtraffaͤllig iſt h).

Staatsvertraͤge welche von den dazu befugten Regenten
ſelbſt unterzeichnet worden, beduͤrfen keiner Ratification i).

Auch ſind in Kriegszeiten Capitulationen und andere
militairiſche Uebereinkuͤnfte welche von Befehlshabern einer
Beſtung, eines Truppencorps u. ſ. f. innerhalb der Grenzen
ihres Amts eingegangen worden, ohne alle Ratification ver-
bindlich k).

a) Eine eigene Schwierigkeit entſteht daher in Faͤllen von Revolu-
tionen, wenn die Autoritaͤt welche die Vollmacht ertheilet, noch
nicht anerkannt wird, wie dieß die Beyſpiele der niederlaͤndiſchen,
americaniſchen und franzoͤſiſchen Revolution gelehrt haben. Al-
les haͤngt hier von limſtaͤnden ab, und kann daher nicht wohl
auf Grundſaͤtze zuruͤckgefuͤhrt werden.
b) So kann z. B. der roͤmiſche Kaiſer keinen Staatsvertrag fuͤr das
teutſche Reich ohne vorhergehenden Auftrag oder nachmalige Geneh-
migung d. Staͤnde guͤltig ſchließen. v. Steck Abmuͤßigungen S. 53.
c) Daher kann auch ein durch Staͤnde nicht eingeſchraͤnkter Monarch
nichts wieder die Fundamentalgeſetze angehends fuͤr ſich allein
guͤltig verſprechen. Dieß wandten die franzoͤſiſchen Geſandten
wider die von Großbritannien geforderte Verzichtleiſtung Phi-
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0081" n="53"/><fw place="top" type="header">Von Vertra&#x0364;gen.</fw><lb/>
Staats. Da aber Vo&#x0364;lker &#x017F;ich geno&#x0364;thiget &#x017F;ehn ihren Ge-<lb/>
&#x017F;andten &#x017F;ehr ausgedehnte Vollmachten zu geben, und &#x017F;ie<lb/>
daher, wenn der Ge&#x017F;andte aus bo&#x0364;&#x017F;en Willen oder Ver&#x017F;ehn<lb/>
&#x017F;ich von den Schranken &#x017F;einer geheimen In&#x017F;truction ent-<lb/>
fernte, leicht in einen Schaden ge&#x017F;tu&#x0364;rzet werden ko&#x0364;nnten,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ich an den Ge&#x017F;andten nicht wieder erholen mo&#x0364;gen,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es ein anerkannter Grund&#x017F;atz des po&#x017F;itiven Euro-<lb/>
pa&#x0364;i&#x017F;chen Vo&#x0364;lkerrechts geworden, daß Staatsvertra&#x0364;ge nicht<lb/>
ehe als verbindlich ange&#x017F;ehn werden, als bis die Genehmi-<lb/>
gung des Staats hinzugekommen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">e</hi></hi>). Durch die&#x017F;e erlangt<lb/>
aber alsdann der Vertrag &#x017F;eine Kraft vom Tag der Un-<lb/>
terzeichnung an gerechnet <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">f</hi></hi>), falls nicht ein anderes verab-<lb/>
redet worden <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">g</hi></hi>). Der ganze Grund die&#x017F;er Sitte aber er-<lb/>
giebt, daß wenn ein Theil &#x017F;ich zur Ratification erbietet, der<lb/>
andere &#x017F;ie nur dann mit Recht verweigern ko&#x0364;nne, wenn<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;andter &#x017F;ich von den Gra&#x0364;nzen &#x017F;einer In&#x017F;truction ent-<lb/>
&#x017F;ernt hat, und daher &#x017F;traffa&#x0364;llig i&#x017F;t <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">h</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Staatsvertra&#x0364;ge welche von den dazu befugten Regenten<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t unterzeichnet worden, bedu&#x0364;rfen keiner Ratification <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">i</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Auch &#x017F;ind in Kriegszeiten Capitulationen und andere<lb/>
militairi&#x017F;che Uebereinku&#x0364;nfte welche von Befehlshabern einer<lb/>
Be&#x017F;tung, eines Truppencorps u. &#x017F;. f. innerhalb der Grenzen<lb/>
ihres Amts eingegangen worden, ohne alle Ratification ver-<lb/>
bindlich <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">k</hi></hi>).</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">Eine eigene Schwierigkeit ent&#x017F;teht daher in Fa&#x0364;llen von Revolu-<lb/>
tionen, wenn die Autorita&#x0364;t welche die Vollmacht ertheilet, noch<lb/>
nicht anerkannt wird, wie dieß die Bey&#x017F;piele der niederla&#x0364;ndi&#x017F;chen,<lb/>
americani&#x017F;chen und franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Revolution gelehrt haben. Al-<lb/>
les ha&#x0364;ngt hier von lim&#x017F;ta&#x0364;nden ab, und kann daher nicht wohl<lb/>
auf Grund&#x017F;a&#x0364;tze zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt werden.</note><lb/>
            <note place="end" n="b)">So kann z. B. der ro&#x0364;mi&#x017F;che Kai&#x017F;er keinen Staatsvertrag fu&#x0364;r das<lb/>
teut&#x017F;che Reich ohne vorhergehenden Auftrag oder nachmalige Geneh-<lb/>
migung d. Sta&#x0364;nde gu&#x0364;ltig &#x017F;chließen. v. Steck Abmu&#x0364;ßigungen S. 53.</note><lb/>
            <note place="end" n="c)">Daher kann auch ein durch Sta&#x0364;nde nicht einge&#x017F;chra&#x0364;nkter Monarch<lb/>
nichts wieder die Fundamentalge&#x017F;etze angehends fu&#x0364;r &#x017F;ich allein<lb/>
gu&#x0364;ltig ver&#x017F;prechen. Dieß wandten die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;andten<lb/>
wider die von Großbritannien geforderte Verzichtlei&#x017F;tung Phi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3</fw><fw place="bottom" type="catch">lipps</fw><lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0081] Von Vertraͤgen. Staats. Da aber Voͤlker ſich genoͤthiget ſehn ihren Ge- ſandten ſehr ausgedehnte Vollmachten zu geben, und ſie daher, wenn der Geſandte aus boͤſen Willen oder Verſehn ſich von den Schranken ſeiner geheimen Inſtruction ent- fernte, leicht in einen Schaden geſtuͤrzet werden koͤnnten, deſſen ſie ſich an den Geſandten nicht wieder erholen moͤgen, ſo iſt es ein anerkannter Grundſatz des poſitiven Euro- paͤiſchen Voͤlkerrechts geworden, daß Staatsvertraͤge nicht ehe als verbindlich angeſehn werden, als bis die Genehmi- gung des Staats hinzugekommen e). Durch dieſe erlangt aber alsdann der Vertrag ſeine Kraft vom Tag der Un- terzeichnung an gerechnet f), falls nicht ein anderes verab- redet worden g). Der ganze Grund dieſer Sitte aber er- giebt, daß wenn ein Theil ſich zur Ratification erbietet, der andere ſie nur dann mit Recht verweigern koͤnne, wenn ſein Geſandter ſich von den Graͤnzen ſeiner Inſtruction ent- ſernt hat, und daher ſtraffaͤllig iſt h). Staatsvertraͤge welche von den dazu befugten Regenten ſelbſt unterzeichnet worden, beduͤrfen keiner Ratification i). Auch ſind in Kriegszeiten Capitulationen und andere militairiſche Uebereinkuͤnfte welche von Befehlshabern einer Beſtung, eines Truppencorps u. ſ. f. innerhalb der Grenzen ihres Amts eingegangen worden, ohne alle Ratification ver- bindlich k). a⁾ Eine eigene Schwierigkeit entſteht daher in Faͤllen von Revolu- tionen, wenn die Autoritaͤt welche die Vollmacht ertheilet, noch nicht anerkannt wird, wie dieß die Beyſpiele der niederlaͤndiſchen, americaniſchen und franzoͤſiſchen Revolution gelehrt haben. Al- les haͤngt hier von limſtaͤnden ab, und kann daher nicht wohl auf Grundſaͤtze zuruͤckgefuͤhrt werden. b⁾ So kann z. B. der roͤmiſche Kaiſer keinen Staatsvertrag fuͤr das teutſche Reich ohne vorhergehenden Auftrag oder nachmalige Geneh- migung d. Staͤnde guͤltig ſchließen. v. Steck Abmuͤßigungen S. 53. c⁾ Daher kann auch ein durch Staͤnde nicht eingeſchraͤnkter Monarch nichts wieder die Fundamentalgeſetze angehends fuͤr ſich allein guͤltig verſprechen. Dieß wandten die franzoͤſiſchen Geſandten wider die von Großbritannien geforderte Verzichtleiſtung Phi- lipps D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/81
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/81>, abgerufen am 27.04.2024.