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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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zu finden und etwa mit Rossi zu jammern: "Das Arbeitsvermögen (puis-
sance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der
Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahirt, heisst ein Hirnge-
spinnst (etre de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen
sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeits-
lohn47)." Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als
wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. Zum letztern Prozess ist
bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen
sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebens-
mitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es
nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es viel-
mehr als eine grausame Naturnothwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen
ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel zu seiner Produktion erheischt
hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er
entdeckt dann mit Sismondi: "das Arbeitsvermögen . . . . ist
Nichts, wenn es nicht verkauft wird48)."

Die eigenthümliche Natur dieser spezifischen Waare, der Arbeits-
kraft, bringt es mit sich, dass mit der Abschliessung des Kontrakts zwischen
Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die
Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Tauschwerth, gleich dem
jeder andern Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn
ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der
Arbeitskraft verausgabt, aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der
nachträglichen Kraftäusserung. Die Veräusserung der Kraft und ihre
wirkliche Aeusserung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher
der Zeit nach aus einander. Bei solchen Waaren aber, wo die formelle
Veräusserung des Gebrauchswerths durch den Verkauf und seine wirkliche
Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt
das Geld des Käufers meist als Zahlungsmittel. In allen Ländern
kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nach-
dem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funk-
tionirt hat, z. B. am Ende jeder Woche49). Ueberall schiesst daher der

47) Rossi: "Cours d'Econ. Polit. Bruxelles 1842", p. 370.
48) Sismondi: "Nouv. Princ. etc.", t. I, p. 112.
49) "All labour is paid, after it has ceased." ("An Inquiry into those

zu finden und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puis-
sance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der
Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahirt, heisst ein Hirnge-
spinnst (être de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen
sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeits-
lohn47).“ Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als
wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. Zum letztern Prozess ist
bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen
sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebens-
mitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es
nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es viel-
mehr als eine grausame Naturnothwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen
ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel zu seiner Produktion erheischt
hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er
entdeckt dann mit Sismondi: „das Arbeitsvermögen . . . . ist
Nichts, wenn es nicht verkauft wird48).“

Die eigenthümliche Natur dieser spezifischen Waare, der Arbeits-
kraft, bringt es mit sich, dass mit der Abschliessung des Kontrakts zwischen
Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die
Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Tauschwerth, gleich dem
jeder andern Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn
ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der
Arbeitskraft verausgabt, aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der
nachträglichen Kraftäusserung. Die Veräusserung der Kraft und ihre
wirkliche Aeusserung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher
der Zeit nach aus einander. Bei solchen Waaren aber, wo die formelle
Veräusserung des Gebrauchswerths durch den Verkauf und seine wirkliche
Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt
das Geld des Käufers meist als Zahlungsmittel. In allen Ländern
kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nach-
dem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funk-
tionirt hat, z. B. am Ende jeder Woche49). Ueberall schiesst daher der

47) Rossi: „Cours d’Écon. Polit. Bruxelles 1842“, p. 370.
48) Sismondi: „Nouv. Princ. etc.“, t. I, p. 112.
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[137/0156] zu finden und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puis- sance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahirt, heisst ein Hirnge- spinnst (être de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeits- lohn 47).“ Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. Zum letztern Prozess ist bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebens- mitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es viel- mehr als eine grausame Naturnothwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: „das Arbeitsvermögen . . . . ist Nichts, wenn es nicht verkauft wird 48).“ Die eigenthümliche Natur dieser spezifischen Waare, der Arbeits- kraft, bringt es mit sich, dass mit der Abschliessung des Kontrakts zwischen Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Tauschwerth, gleich dem jeder andern Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der Arbeitskraft verausgabt, aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der nachträglichen Kraftäusserung. Die Veräusserung der Kraft und ihre wirkliche Aeusserung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher der Zeit nach aus einander. Bei solchen Waaren aber, wo die formelle Veräusserung des Gebrauchswerths durch den Verkauf und seine wirkliche Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt das Geld des Käufers meist als Zahlungsmittel. In allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nach- dem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funk- tionirt hat, z. B. am Ende jeder Woche 49). Ueberall schiesst daher der 47) Rossi: „Cours d’Écon. Polit. Bruxelles 1842“, p. 370. 48) Sismondi: „Nouv. Princ. etc.“, t. I, p. 112. 49) „All labour is paid, after it has ceased.“ („An Inquiry into those

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/156>, abgerufen am 01.05.2024.