Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Maschinerie war zu komplicirt, das Risiko bei Depreciation der
Waaren zu gross.

Hält man sich an den wirklichen Inhalt jener Schriften, die die
Gestaltung des modernen Kreditwesens in England theoretisch be-
gleiten und befördern, so wird man darin nichts finden als die
Forderung der Unterordnung des zinstragenden Kapitals, überhaupt
der verleihbaren Produktionsmittel unter die kapitalistische Pro-
duktionsweise als eine ihrer Bedingungen. Hält man sich an die
blosse Phrase, so wird die Uebereinstimmung, bis auf den Aus-
druck herab, mit den Bank- und Kreditillusionen der St. Simonisten
oft in Erstaunen setzen.

Ganz wie der cultivateur bei den Physiokraten nicht den wirk-
lichen Landbauer, sondern den Grosspächter bedeutet, so der tra-
vailleur bei St. Simon, und immer noch durchlaufend bei seinen
Schülern, nicht den Arbeiter, sondern den industriellen und kommer-
ciellen Kapitalisten. "Un travailleur a besoin d'aides, de seconds,
d'ouvriers; il les cherche intelligents, habiles, devoues; il les met
a l'oeuvre, et leurs travaux sont productifs." (Religion saint-
simonienne. Economie politique et Politique. Paris 1831. p. 104.)
Man muss überhaupt nicht vergessen, dass erst in seiner letzten
Schrift, dem Nouveau Christianisme, St. Simon direkt als Wort-
führer der arbeitenden Klasse auftritt und ihre Emancipation als
Endzweck seines Strebens erklärt. Alle seine frühern Schriften
sind in der That nur Verherrlichung der modernen bürgerlichen
Gesellschaft gegen die feudale, oder der Industriellen und Bankiers
gegen die Marschälle und juristischen Gesetzfabrikanten der Napo-
leonischen Zeit. Welcher Unterschied, verglichen mit den gleich-
zeitigen Schriften Owen's!24) Auch bei seinen Nachfolgern, wie
schon die citirte Stelle zeigt, bleibt der industrielle Kapitalist der

24) Bei der Ueberarbeitung des Manuskripts hätte Marx diese Stelle unbe-
dingt stark modificirt. Sie ist inspirirt durch die Rolle der Ex-Saintsimo-
nisten unter dem zweiten Kaiserreich in Frankreich, wo grade als Marx
obiges schrieb, die welterlösenden Kreditphantasien der Schule kraft der ge-
schichtlichen Ironie sich realisirten als Schwindel auf bisher unerhörter
Potenz. Später sprach Marx nur mit Bewunderung vom Genie und encyklo-
pädischen Kopf Saint-Simons. Wenn dieser in seinen frühern Schriften den
Gegensatz zwischen der Bourgeoisie und dem in Frankreich eben erst ent-
stehenden Proletariat ignorirte, wenn er den in der Produktion thätigen
Theil der Bourgeoisie mit zu den travailleurs rechnete, so entspricht dies
der Auffassung Fouriers, der Kapital und Arbeit versöhnen wollte, und er-
klärt sich aus der ökonomischen und politischen Lage des damaligen Frank-
reichs. Wenn Owen hier weiter sah, so, weil er in einem andern umgebenden
Mittel lebte, inmitten der industriellen Revolution und dem sich bereits akut
zuspitzenden Klassengegensatz. -- F. E.

Die Maschinerie war zu komplicirt, das Risiko bei Depreciation der
Waaren zu gross.

Hält man sich an den wirklichen Inhalt jener Schriften, die die
Gestaltung des modernen Kreditwesens in England theoretisch be-
gleiten und befördern, so wird man darin nichts finden als die
Forderung der Unterordnung des zinstragenden Kapitals, überhaupt
der verleihbaren Produktionsmittel unter die kapitalistische Pro-
duktionsweise als eine ihrer Bedingungen. Hält man sich an die
blosse Phrase, so wird die Uebereinstimmung, bis auf den Aus-
druck herab, mit den Bank- und Kreditillusionen der St. Simonisten
oft in Erstaunen setzen.

Ganz wie der cultivateur bei den Physiokraten nicht den wirk-
lichen Landbauer, sondern den Grosspächter bedeutet, so der tra-
vailleur bei St. Simon, und immer noch durchlaufend bei seinen
Schülern, nicht den Arbeiter, sondern den industriellen und kommer-
ciellen Kapitalisten. „Un travailleur a besoin d’aides, de seconds,
d’ouvriers; il les cherche intelligents, habiles, dévoués; il les met
à l’oeuvre, et leurs travaux sont productifs.“ (Religion saint-
simonienne. Économie politique et Politique. Paris 1831. p. 104.)
Man muss überhaupt nicht vergessen, dass erst in seiner letzten
Schrift, dem Nouveau Christianisme, St. Simon direkt als Wort-
führer der arbeitenden Klasse auftritt und ihre Emancipation als
Endzweck seines Strebens erklärt. Alle seine frühern Schriften
sind in der That nur Verherrlichung der modernen bürgerlichen
Gesellschaft gegen die feudale, oder der Industriellen und Bankiers
gegen die Marschälle und juristischen Gesetzfabrikanten der Napo-
leonischen Zeit. Welcher Unterschied, verglichen mit den gleich-
zeitigen Schriften Owen’s!24) Auch bei seinen Nachfolgern, wie
schon die citirte Stelle zeigt, bleibt der industrielle Kapitalist der

24) Bei der Ueberarbeitung des Manuskripts hätte Marx diese Stelle unbe-
dingt stark modificirt. Sie ist inspirirt durch die Rolle der Ex-Saintsimo-
nisten unter dem zweiten Kaiserreich in Frankreich, wo grade als Marx
obiges schrieb, die welterlösenden Kreditphantasien der Schule kraft der ge-
schichtlichen Ironie sich realisirten als Schwindel auf bisher unerhörter
Potenz. Später sprach Marx nur mit Bewunderung vom Genie und encyklo-
pädischen Kopf Saint-Simons. Wenn dieser in seinen frühern Schriften den
Gegensatz zwischen der Bourgeoisie und dem in Frankreich eben erst ent-
stehenden Proletariat ignorirte, wenn er den in der Produktion thätigen
Theil der Bourgeoisie mit zu den travailleurs rechnete, so entspricht dies
der Auffassung Fouriers, der Kapital und Arbeit versöhnen wollte, und er-
klärt sich aus der ökonomischen und politischen Lage des damaligen Frank-
reichs. Wenn Owen hier weiter sah, so, weil er in einem andern umgebenden
Mittel lebte, inmitten der industriellen Revolution und dem sich bereits akut
zuspitzenden Klassengegensatz. — F. E.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0153" n="144"/>
Die Maschinerie war zu komplicirt, das Risiko bei Depreciation der<lb/>
Waaren zu gross.</p><lb/>
            <p>Hält man sich an den wirklichen Inhalt jener Schriften, die die<lb/>
Gestaltung des modernen Kreditwesens in England theoretisch be-<lb/>
gleiten und befördern, so wird man darin nichts finden als die<lb/>
Forderung der Unterordnung des zinstragenden Kapitals, überhaupt<lb/>
der verleihbaren Produktionsmittel unter die kapitalistische Pro-<lb/>
duktionsweise als eine ihrer Bedingungen. Hält man sich an die<lb/>
blosse Phrase, so wird die Uebereinstimmung, bis auf den Aus-<lb/>
druck herab, mit den Bank- und Kreditillusionen der St. Simonisten<lb/>
oft in Erstaunen setzen.</p><lb/>
            <p>Ganz wie der cultivateur bei den Physiokraten nicht den wirk-<lb/>
lichen Landbauer, sondern den Grosspächter bedeutet, so der tra-<lb/>
vailleur bei St. Simon, und immer noch durchlaufend bei seinen<lb/>
Schülern, nicht den Arbeiter, sondern den industriellen und kommer-<lb/>
ciellen Kapitalisten. &#x201E;Un travailleur a besoin d&#x2019;aides, de seconds,<lb/>
d&#x2019;<hi rendition="#g">ouvriers</hi>; il les cherche intelligents, habiles, dévoués; il les met<lb/>
à l&#x2019;oeuvre, et leurs travaux sont productifs.&#x201C; (Religion saint-<lb/>
simonienne. Économie politique et Politique. Paris 1831. p. 104.)<lb/>
Man muss überhaupt nicht vergessen, dass erst in seiner letzten<lb/>
Schrift, dem Nouveau Christianisme, St. Simon direkt als Wort-<lb/>
führer der arbeitenden Klasse auftritt und ihre Emancipation als<lb/>
Endzweck seines Strebens erklärt. Alle seine frühern Schriften<lb/>
sind in der That nur Verherrlichung der modernen bürgerlichen<lb/>
Gesellschaft gegen die feudale, oder der Industriellen und Bankiers<lb/>
gegen die Marschälle und juristischen Gesetzfabrikanten der Napo-<lb/>
leonischen Zeit. Welcher Unterschied, verglichen mit den gleich-<lb/>
zeitigen Schriften Owen&#x2019;s!<note place="foot" n="24)">Bei der Ueberarbeitung des Manuskripts hätte Marx diese Stelle unbe-<lb/>
dingt stark modificirt. Sie ist inspirirt durch die Rolle der Ex-Saintsimo-<lb/>
nisten unter dem zweiten Kaiserreich in Frankreich, wo grade als Marx<lb/>
obiges schrieb, die welterlösenden Kreditphantasien der Schule kraft der ge-<lb/>
schichtlichen Ironie sich realisirten als Schwindel auf bisher unerhörter<lb/>
Potenz. Später sprach Marx nur mit Bewunderung vom Genie und encyklo-<lb/>
pädischen Kopf Saint-Simons. Wenn dieser in seinen frühern Schriften den<lb/>
Gegensatz zwischen der Bourgeoisie und dem in Frankreich eben erst ent-<lb/>
stehenden Proletariat ignorirte, wenn er den in der Produktion thätigen<lb/>
Theil der Bourgeoisie mit zu den travailleurs rechnete, so entspricht dies<lb/>
der Auffassung Fouriers, der Kapital und Arbeit versöhnen wollte, und er-<lb/>
klärt sich aus der ökonomischen und politischen Lage des damaligen Frank-<lb/>
reichs. Wenn Owen hier weiter sah, so, weil er in einem andern umgebenden<lb/>
Mittel lebte, inmitten der industriellen Revolution und dem sich bereits akut<lb/>
zuspitzenden Klassengegensatz. &#x2014; F. E.</note> Auch bei seinen Nachfolgern, wie<lb/>
schon die citirte Stelle zeigt, bleibt der industrielle Kapitalist der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0153] Die Maschinerie war zu komplicirt, das Risiko bei Depreciation der Waaren zu gross. Hält man sich an den wirklichen Inhalt jener Schriften, die die Gestaltung des modernen Kreditwesens in England theoretisch be- gleiten und befördern, so wird man darin nichts finden als die Forderung der Unterordnung des zinstragenden Kapitals, überhaupt der verleihbaren Produktionsmittel unter die kapitalistische Pro- duktionsweise als eine ihrer Bedingungen. Hält man sich an die blosse Phrase, so wird die Uebereinstimmung, bis auf den Aus- druck herab, mit den Bank- und Kreditillusionen der St. Simonisten oft in Erstaunen setzen. Ganz wie der cultivateur bei den Physiokraten nicht den wirk- lichen Landbauer, sondern den Grosspächter bedeutet, so der tra- vailleur bei St. Simon, und immer noch durchlaufend bei seinen Schülern, nicht den Arbeiter, sondern den industriellen und kommer- ciellen Kapitalisten. „Un travailleur a besoin d’aides, de seconds, d’ouvriers; il les cherche intelligents, habiles, dévoués; il les met à l’oeuvre, et leurs travaux sont productifs.“ (Religion saint- simonienne. Économie politique et Politique. Paris 1831. p. 104.) Man muss überhaupt nicht vergessen, dass erst in seiner letzten Schrift, dem Nouveau Christianisme, St. Simon direkt als Wort- führer der arbeitenden Klasse auftritt und ihre Emancipation als Endzweck seines Strebens erklärt. Alle seine frühern Schriften sind in der That nur Verherrlichung der modernen bürgerlichen Gesellschaft gegen die feudale, oder der Industriellen und Bankiers gegen die Marschälle und juristischen Gesetzfabrikanten der Napo- leonischen Zeit. Welcher Unterschied, verglichen mit den gleich- zeitigen Schriften Owen’s! 24) Auch bei seinen Nachfolgern, wie schon die citirte Stelle zeigt, bleibt der industrielle Kapitalist der 24) Bei der Ueberarbeitung des Manuskripts hätte Marx diese Stelle unbe- dingt stark modificirt. Sie ist inspirirt durch die Rolle der Ex-Saintsimo- nisten unter dem zweiten Kaiserreich in Frankreich, wo grade als Marx obiges schrieb, die welterlösenden Kreditphantasien der Schule kraft der ge- schichtlichen Ironie sich realisirten als Schwindel auf bisher unerhörter Potenz. Später sprach Marx nur mit Bewunderung vom Genie und encyklo- pädischen Kopf Saint-Simons. Wenn dieser in seinen frühern Schriften den Gegensatz zwischen der Bourgeoisie und dem in Frankreich eben erst ent- stehenden Proletariat ignorirte, wenn er den in der Produktion thätigen Theil der Bourgeoisie mit zu den travailleurs rechnete, so entspricht dies der Auffassung Fouriers, der Kapital und Arbeit versöhnen wollte, und er- klärt sich aus der ökonomischen und politischen Lage des damaligen Frank- reichs. Wenn Owen hier weiter sah, so, weil er in einem andern umgebenden Mittel lebte, inmitten der industriellen Revolution und dem sich bereits akut zuspitzenden Klassengegensatz. — F. E.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/153
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/153>, abgerufen am 06.05.2024.