Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Du kannst es. Aber vorher werde ich dir beweisen,
daß ich den Bey zu ehren weiß: Du sollst vor mir zum
Mutesselim eintreten dürfen."

"Ist dies dein Ernst?"

"Mit einem tapfern Kurden scherzt man nie."

"Hört ihr es?" wandte er sich zu den andern. "Dieser
fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung
bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte ebenso." Und
zu mir gerichtet, fügte er hinzu: "Herr, ich danke dir:
du hast mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern
warten, bis du mit dem Mutesselim gesprochen hast."

Jetzt war er es, der mir die Hand entgegenstreckte.
Ich schlug ein.

"Ich nehme es an, denn ich weiß, daß du nicht lange
zu warten haben wirst. Aber sage mir, ob du nach deiner
Unterredung mit dem Kommandanten so viel Zeit hast,
zu mir zu kommen!"

"Ich werde kommen und dann etwas schneller reiten.
Wo wohnest du?"

"Ich wohne hier bei Selim-Agha, dem Obersten der
Arnauten."

Er trat mit einer zustimmenden Kopfbewegung zu-
rück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und
Lindsay eintreten zu lassen.

Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit
einer alten, verschossenen Papiertapete bekleidet und hatte
an seiner hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung,
die mit einem Teppiche belegt war. Dort saß der Kom-
mandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem
scharfen, wohl frühzeitig gealterten Angesichte. Sein Blick
war verschleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob
sich bei unserem Eintritte und bedeutete uns durch eine
Bewegung seiner Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz

„Du kannſt es. Aber vorher werde ich dir beweiſen,
daß ich den Bey zu ehren weiß: Du ſollſt vor mir zum
Muteſſelim eintreten dürfen.“

„Iſt dies dein Ernſt?“

„Mit einem tapfern Kurden ſcherzt man nie.“

„Hört ihr es?“ wandte er ſich zu den andern. „Dieſer
fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung
bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte ebenſo.“ Und
zu mir gerichtet, fügte er hinzu: „Herr, ich danke dir:
du haſt mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern
warten, bis du mit dem Muteſſelim geſprochen haſt.“

Jetzt war er es, der mir die Hand entgegenſtreckte.
Ich ſchlug ein.

„Ich nehme es an, denn ich weiß, daß du nicht lange
zu warten haben wirſt. Aber ſage mir, ob du nach deiner
Unterredung mit dem Kommandanten ſo viel Zeit haſt,
zu mir zu kommen!“

„Ich werde kommen und dann etwas ſchneller reiten.
Wo wohneſt du?“

„Ich wohne hier bei Selim-Agha, dem Oberſten der
Arnauten.“

Er trat mit einer zuſtimmenden Kopfbewegung zu-
rück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und
Lindſay eintreten zu laſſen.

Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit
einer alten, verſchoſſenen Papiertapete bekleidet und hatte
an ſeiner hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung,
die mit einem Teppiche belegt war. Dort ſaß der Kom-
mandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem
ſcharfen, wohl frühzeitig gealterten Angeſichte. Sein Blick
war verſchleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob
ſich bei unſerem Eintritte und bedeutete uns durch eine
Bewegung ſeiner Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0198" n="184"/>
        <p>&#x201E;Du kann&#x017F;t es. Aber vorher werde ich dir bewei&#x017F;en,<lb/>
daß ich den Bey zu ehren weiß: Du &#x017F;oll&#x017F;t vor mir zum<lb/>
Mute&#x017F;&#x017F;elim eintreten dürfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t dies dein Ern&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mit einem tapfern Kurden &#x017F;cherzt man nie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hört ihr es?&#x201C; wandte er &#x017F;ich zu den andern. &#x201E;Die&#x017F;er<lb/>
fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung<lb/>
bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte eben&#x017F;o.&#x201C; Und<lb/>
zu mir gerichtet, fügte er hinzu: &#x201E;Herr, ich danke dir:<lb/>
du ha&#x017F;t mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern<lb/>
warten, bis du mit dem Mute&#x017F;&#x017F;elim ge&#x017F;prochen ha&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jetzt war er es, der mir die Hand entgegen&#x017F;treckte.<lb/>
Ich &#x017F;chlug ein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich nehme es an, denn ich weiß, daß du nicht lange<lb/>
zu warten haben wir&#x017F;t. Aber &#x017F;age mir, ob du nach deiner<lb/>
Unterredung mit dem Kommandanten &#x017F;o viel Zeit ha&#x017F;t,<lb/>
zu mir zu kommen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich werde kommen und dann etwas &#x017F;chneller reiten.<lb/>
Wo wohne&#x017F;t du?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich wohne hier bei Selim-Agha, dem Ober&#x017F;ten der<lb/>
Arnauten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er trat mit einer zu&#x017F;timmenden Kopfbewegung zu-<lb/>
rück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und<lb/>
Lind&#x017F;ay eintreten zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit<lb/>
einer alten, ver&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen Papiertapete bekleidet und hatte<lb/>
an &#x017F;einer hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung,<lb/>
die mit einem Teppiche belegt war. Dort &#x017F;aß der Kom-<lb/>
mandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem<lb/>
&#x017F;charfen, wohl frühzeitig gealterten Ange&#x017F;ichte. Sein Blick<lb/>
war ver&#x017F;chleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob<lb/>
&#x017F;ich bei un&#x017F;erem Eintritte und bedeutete uns durch eine<lb/>
Bewegung &#x017F;einer Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0198] „Du kannſt es. Aber vorher werde ich dir beweiſen, daß ich den Bey zu ehren weiß: Du ſollſt vor mir zum Muteſſelim eintreten dürfen.“ „Iſt dies dein Ernſt?“ „Mit einem tapfern Kurden ſcherzt man nie.“ „Hört ihr es?“ wandte er ſich zu den andern. „Dieſer fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte ebenſo.“ Und zu mir gerichtet, fügte er hinzu: „Herr, ich danke dir: du haſt mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern warten, bis du mit dem Muteſſelim geſprochen haſt.“ Jetzt war er es, der mir die Hand entgegenſtreckte. Ich ſchlug ein. „Ich nehme es an, denn ich weiß, daß du nicht lange zu warten haben wirſt. Aber ſage mir, ob du nach deiner Unterredung mit dem Kommandanten ſo viel Zeit haſt, zu mir zu kommen!“ „Ich werde kommen und dann etwas ſchneller reiten. Wo wohneſt du?“ „Ich wohne hier bei Selim-Agha, dem Oberſten der Arnauten.“ Er trat mit einer zuſtimmenden Kopfbewegung zu- rück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und Lindſay eintreten zu laſſen. Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit einer alten, verſchoſſenen Papiertapete bekleidet und hatte an ſeiner hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung, die mit einem Teppiche belegt war. Dort ſaß der Kom- mandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem ſcharfen, wohl frühzeitig gealterten Angeſichte. Sein Blick war verſchleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob ſich bei unſerem Eintritte und bedeutete uns durch eine Bewegung ſeiner Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/198
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/198>, abgerufen am 01.05.2024.