Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

festzunehmen, sobald er sich sehen läßt. Der Anadoli
Kasi Askerie vermutet, daß er nach Bagdad geflohen sei,
weil er ein Freund des dortigen Weli *) gewesen ist.

"Das ist wohl eine falsche Vermutung! Der Flücht-
ling ist sicher in die Berge geflohen, wo er schwerer zu
ergreifen ist, und wird lieber nach Persien als nach Bagdad
gehen. Das Reisegeld kann er unterwegs sehr leicht er-
halten. Er ist der Oberrichter sämtlicher Untergerichts-
höfe, deren Gelder ihm zu Gebote stehen."

"Du hast recht, Effendi! Noch gestern abend haben
wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in
Alkosch und am Abend bereits in Mungayschi gewesen
ist. Es scheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber
auf einem Umwege, weil er die Ortschaften der Dschesidi
fürchtet, die er überfallen hat."

"Ali Bey vermutet mit Recht, daß mir sein Ein-
treffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird
mir sehr hinderlich sein, und ich kann leider nicht beweisen,
daß er selbst ein Flüchtling ist."

"O, Emir, Ali Bey ist klug. Als er von dem
Makredsch hörte, befahl er mir, sein bestes Pferd zu
satteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem
Oberrichter hier einzutreffen, falls dieser wirklich die Ab-
sicht haben sollte, nach Amadijah zu kommen. Und als
ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die
er aus Mossul erhalten hat. Hier sind sie; du sollst
sehen, ob du sie gebrauchen kannst."

Ich öffnete sie und las. Das eine war der Brief
des Anadoli Kasi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem
diesem die Absetzung des Mutessarif und des Makredsch
mitgeteilt wurde. Das andere enthielt die amtliche
Weisung an Ali Bey, den Makredsch festzunehmen und

*) Vicekönig.

feſtzunehmen, ſobald er ſich ſehen läßt. Der Anadoli
Kaſi Askerie vermutet, daß er nach Bagdad geflohen ſei,
weil er ein Freund des dortigen Weli *) geweſen iſt.

„Das iſt wohl eine falſche Vermutung! Der Flücht-
ling iſt ſicher in die Berge geflohen, wo er ſchwerer zu
ergreifen iſt, und wird lieber nach Perſien als nach Bagdad
gehen. Das Reiſegeld kann er unterwegs ſehr leicht er-
halten. Er iſt der Oberrichter ſämtlicher Untergerichts-
höfe, deren Gelder ihm zu Gebote ſtehen.“

„Du haſt recht, Effendi! Noch geſtern abend haben
wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in
Alkoſch und am Abend bereits in Mungayſchi geweſen
iſt. Es ſcheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber
auf einem Umwege, weil er die Ortſchaften der Dſcheſidi
fürchtet, die er überfallen hat.“

„Ali Bey vermutet mit Recht, daß mir ſein Ein-
treffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird
mir ſehr hinderlich ſein, und ich kann leider nicht beweiſen,
daß er ſelbſt ein Flüchtling iſt.“

„O, Emir, Ali Bey iſt klug. Als er von dem
Makredſch hörte, befahl er mir, ſein beſtes Pferd zu
ſatteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem
Oberrichter hier einzutreffen, falls dieſer wirklich die Ab-
ſicht haben ſollte, nach Amadijah zu kommen. Und als
ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die
er aus Moſſul erhalten hat. Hier ſind ſie; du ſollſt
ſehen, ob du ſie gebrauchen kannſt.“

Ich öffnete ſie und las. Das eine war der Brief
des Anadoli Kaſi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem
dieſem die Abſetzung des Muteſſarif und des Makredſch
mitgeteilt wurde. Das andere enthielt die amtliche
Weiſung an Ali Bey, den Makredſch feſtzunehmen und

*) Vicekönig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0270" n="256"/>
fe&#x017F;tzunehmen, &#x017F;obald er &#x017F;ich &#x017F;ehen läßt. Der Anadoli<lb/>
Ka&#x017F;i Askerie vermutet, daß er nach Bagdad geflohen &#x017F;ei,<lb/>
weil er ein Freund des dortigen Weli <note place="foot" n="*)">Vicekönig.</note> gewe&#x017F;en i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t wohl eine fal&#x017F;che Vermutung! Der Flücht-<lb/>
ling i&#x017F;t &#x017F;icher in die Berge geflohen, wo er &#x017F;chwerer zu<lb/>
ergreifen i&#x017F;t, und wird lieber nach Per&#x017F;ien als nach Bagdad<lb/>
gehen. Das Rei&#x017F;egeld kann er unterwegs &#x017F;ehr leicht er-<lb/>
halten. Er i&#x017F;t der Oberrichter &#x017F;ämtlicher Untergerichts-<lb/>
höfe, deren Gelder ihm zu Gebote &#x017F;tehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t recht, Effendi! Noch ge&#x017F;tern abend haben<lb/>
wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in<lb/>
Alko&#x017F;ch und am Abend bereits in Mungay&#x017F;chi gewe&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t. Es &#x017F;cheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber<lb/>
auf einem Umwege, weil er die Ort&#x017F;chaften der D&#x017F;che&#x017F;idi<lb/>
fürchtet, die er überfallen hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ali Bey vermutet mit Recht, daß mir &#x017F;ein Ein-<lb/>
treffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird<lb/>
mir &#x017F;ehr hinderlich &#x017F;ein, und ich kann leider nicht bewei&#x017F;en,<lb/>
daß er &#x017F;elb&#x017F;t ein Flüchtling i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O, Emir, Ali Bey i&#x017F;t klug. Als er von dem<lb/>
Makred&#x017F;ch hörte, befahl er mir, &#x017F;ein be&#x017F;tes Pferd zu<lb/>
&#x017F;atteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem<lb/>
Oberrichter hier einzutreffen, falls die&#x017F;er wirklich die Ab-<lb/>
&#x017F;icht haben &#x017F;ollte, nach Amadijah zu kommen. Und als<lb/>
ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die<lb/>
er aus Mo&#x017F;&#x017F;ul erhalten hat. Hier &#x017F;ind &#x017F;ie; du &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehen, ob du &#x017F;ie gebrauchen kann&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich öffnete &#x017F;ie und las. Das eine war der Brief<lb/>
des Anadoli Ka&#x017F;i Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem<lb/>
die&#x017F;em die Ab&#x017F;etzung des Mute&#x017F;&#x017F;arif und des Makred&#x017F;ch<lb/>
mitgeteilt wurde. Das andere enthielt die amtliche<lb/>
Wei&#x017F;ung an Ali Bey, den Makred&#x017F;ch fe&#x017F;tzunehmen und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0270] feſtzunehmen, ſobald er ſich ſehen läßt. Der Anadoli Kaſi Askerie vermutet, daß er nach Bagdad geflohen ſei, weil er ein Freund des dortigen Weli *) geweſen iſt. „Das iſt wohl eine falſche Vermutung! Der Flücht- ling iſt ſicher in die Berge geflohen, wo er ſchwerer zu ergreifen iſt, und wird lieber nach Perſien als nach Bagdad gehen. Das Reiſegeld kann er unterwegs ſehr leicht er- halten. Er iſt der Oberrichter ſämtlicher Untergerichts- höfe, deren Gelder ihm zu Gebote ſtehen.“ „Du haſt recht, Effendi! Noch geſtern abend haben wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in Alkoſch und am Abend bereits in Mungayſchi geweſen iſt. Es ſcheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber auf einem Umwege, weil er die Ortſchaften der Dſcheſidi fürchtet, die er überfallen hat.“ „Ali Bey vermutet mit Recht, daß mir ſein Ein- treffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird mir ſehr hinderlich ſein, und ich kann leider nicht beweiſen, daß er ſelbſt ein Flüchtling iſt.“ „O, Emir, Ali Bey iſt klug. Als er von dem Makredſch hörte, befahl er mir, ſein beſtes Pferd zu ſatteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem Oberrichter hier einzutreffen, falls dieſer wirklich die Ab- ſicht haben ſollte, nach Amadijah zu kommen. Und als ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die er aus Moſſul erhalten hat. Hier ſind ſie; du ſollſt ſehen, ob du ſie gebrauchen kannſt.“ Ich öffnete ſie und las. Das eine war der Brief des Anadoli Kaſi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem dieſem die Abſetzung des Muteſſarif und des Makredſch mitgeteilt wurde. Das andere enthielt die amtliche Weiſung an Ali Bey, den Makredſch feſtzunehmen und *) Vicekönig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/270
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/270>, abgerufen am 26.05.2024.