Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
angerechnet. Seine Verantwortlichkeit kann erst wieder in Frage
kommen, wenn ihm gesetzlich Formen vorgeschrieben sind, die er bei
der Ausführung beobachten soll, oder der Befehl ihm einen Spielraum
lässt, den er selbständig ausfüllt. Soweit der Befehl nicht deckt, kann
nur wieder ein amtlicher Irrtum helfen, der möglicherweise gerade
durch den Befehl veranlasst ist10.

Die Sache liegt demnach so: nicht die Rechtswidrigkeit
der Amtshandlung giebt für sich allein schon den Ausgangspunkt der
civilrechtlichen Haftung, denn sie kann durch Irrtum oder Befehl
gedeckt sein; sondern die pflichtwidrige Amtsüberschreitung
d. h. die Rechtswidrigkeit, bei der das nicht das Fall ist11. Liegt
Amtsüberschreitung vor, so beginnt erst die Frage nach den übrigen
Voraussetzungen des Privatdelikts; vor allem nach dem Grade der
Verschuldung, den das Civilrecht verlangt, und nach den Befreiungs-
gründen, denen es auch der einfachen Rechtswidrigkeit gegenüber
Wirkung beimisst: Einwilligung, gegenseitiges Verschulden u. s. w.
Hier kommt dann wieder die Mannigfaltigkeit der Landes-Civilrechte
zur Geltung12.

2. Die dienstliche Pflicht des Beamten dem Staate gegenüber,
gewisse Leistungen dem Unterthanen zu machen, be-
gründet unter Umständen im Falle der Nichterfüllung eine Schadens-
ersatzpflicht desselben gegenüber dem Unterthanen.

10 O.V.G. 15. Febr. 1882 (Samml. VIII S. 420): Der Beamte hat Befehl er-
halten, verfälschter Milch auf dem Markte nachzugehen und sie wegzugiessen. Er
hat irrtümlich Sahne weggegossen, die er für gewässerte Milch hielt. Durch den
Befehl ist er dafür nicht gedeckt; aber die Amtsbefugnis ist nicht überschritten,
wenn der Beamte bei pflichtmässiger Prüfung sich irrt. Entschuldbar im Sinne
des Civilrechts wäre dieser thörichte Irrtum kaum gewesen. -- Kanngiesser, R.
der R.Beamten S. 67, erklärt auch den Rechtsirrtum ausnahmsweise für befreiend,
"wenn der Beamte in rechtlich zweifelhaften Fällen der rechtlichen Auffassung
seines Vorgesetzten folgt".
11 Ein etwas ungelenker Ausdruck dafür ist die "Amtspflichtüberschreitung",
womit das in den Verhandlungen der Bayr. Abg.Kammer bezeichnet worden ist;
Lippmann in Annalen 1885 S. 443.
12 Diese zweite Seite der Schadensersatzpflicht nennt Kanngiesser, a. a. O.
S. 67, im Gegensatz zu den besonderen Grundsätzen der Beamtenhaftpflicht, nament-
lich auch bezüglich Irrtum und Befehl, "die materiellrechtlichen Voraussetzungen
der civilrechtlichen Verfolgung der Reichsbeamten", wofür die landesrechtlichen
Grundsätze massgebend seien. Materiellrechtlich ist beides; er will sagen: die dem
Civilgericht zu alleiniger Anwendung zustehenden Grundsätze, indem gerade die
pflichtwidrige Amtsüberschreitung mit Einschluss der Frage von amtlichem Irrtum
und Befehl Gegenstand der Vorentscheidung sind, von welcher sofort gehandelt
werden soll (unten Note 26).

§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
angerechnet. Seine Verantwortlichkeit kann erst wieder in Frage
kommen, wenn ihm gesetzlich Formen vorgeschrieben sind, die er bei
der Ausführung beobachten soll, oder der Befehl ihm einen Spielraum
läſst, den er selbständig ausfüllt. Soweit der Befehl nicht deckt, kann
nur wieder ein amtlicher Irrtum helfen, der möglicherweise gerade
durch den Befehl veranlaſst ist10.

Die Sache liegt demnach so: nicht die Rechtswidrigkeit
der Amtshandlung giebt für sich allein schon den Ausgangspunkt der
civilrechtlichen Haftung, denn sie kann durch Irrtum oder Befehl
gedeckt sein; sondern die pflichtwidrige Amtsüberschreitung
d. h. die Rechtswidrigkeit, bei der das nicht das Fall ist11. Liegt
Amtsüberschreitung vor, so beginnt erst die Frage nach den übrigen
Voraussetzungen des Privatdelikts; vor allem nach dem Grade der
Verschuldung, den das Civilrecht verlangt, und nach den Befreiungs-
gründen, denen es auch der einfachen Rechtswidrigkeit gegenüber
Wirkung beimiſst: Einwilligung, gegenseitiges Verschulden u. s. w.
Hier kommt dann wieder die Mannigfaltigkeit der Landes-Civilrechte
zur Geltung12.

2. Die dienstliche Pflicht des Beamten dem Staate gegenüber,
gewisse Leistungen dem Unterthanen zu machen, be-
gründet unter Umständen im Falle der Nichterfüllung eine Schadens-
ersatzpflicht desselben gegenüber dem Unterthanen.

10 O.V.G. 15. Febr. 1882 (Samml. VIII S. 420): Der Beamte hat Befehl er-
halten, verfälschter Milch auf dem Markte nachzugehen und sie wegzugieſsen. Er
hat irrtümlich Sahne weggegossen, die er für gewässerte Milch hielt. Durch den
Befehl ist er dafür nicht gedeckt; aber die Amtsbefugnis ist nicht überschritten,
wenn der Beamte bei pflichtmäſsiger Prüfung sich irrt. Entschuldbar im Sinne
des Civilrechts wäre dieser thörichte Irrtum kaum gewesen. — Kanngieſser, R.
der R.Beamten S. 67, erklärt auch den Rechtsirrtum ausnahmsweise für befreiend,
„wenn der Beamte in rechtlich zweifelhaften Fällen der rechtlichen Auffassung
seines Vorgesetzten folgt“.
11 Ein etwas ungelenker Ausdruck dafür ist die „Amtspflichtüberschreitung“,
womit das in den Verhandlungen der Bayr. Abg.Kammer bezeichnet worden ist;
Lippmann in Annalen 1885 S. 443.
12 Diese zweite Seite der Schadensersatzpflicht nennt Kanngieſser, a. a. O.
S. 67, im Gegensatz zu den besonderen Grundsätzen der Beamtenhaftpflicht, nament-
lich auch bezüglich Irrtum und Befehl, „die materiellrechtlichen Voraussetzungen
der civilrechtlichen Verfolgung der Reichsbeamten“, wofür die landesrechtlichen
Grundsätze maſsgebend seien. Materiellrechtlich ist beides; er will sagen: die dem
Civilgericht zu alleiniger Anwendung zustehenden Grundsätze, indem gerade die
pflichtwidrige Amtsüberschreitung mit Einschluſs der Frage von amtlichem Irrtum
und Befehl Gegenstand der Vorentscheidung sind, von welcher sofort gehandelt
werden soll (unten Note 26).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0251" n="231"/><fw place="top" type="header">§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.</fw><lb/>
angerechnet. Seine Verantwortlichkeit kann erst wieder in Frage<lb/>
kommen, wenn ihm gesetzlich Formen vorgeschrieben sind, die er bei<lb/>
der Ausführung beobachten soll, oder der Befehl ihm einen Spielraum<lb/>&#x017F;st, den er selbständig ausfüllt. Soweit der Befehl nicht deckt, kann<lb/>
nur wieder ein amtlicher Irrtum helfen, der möglicherweise gerade<lb/>
durch den Befehl veranla&#x017F;st ist<note place="foot" n="10">O.V.G. 15. Febr. 1882 (Samml. VIII S. 420): Der Beamte hat Befehl er-<lb/>
halten, verfälschter Milch auf dem Markte nachzugehen und sie wegzugie&#x017F;sen. Er<lb/>
hat irrtümlich Sahne weggegossen, die er für gewässerte Milch hielt. Durch den<lb/>
Befehl ist er dafür nicht gedeckt; aber die Amtsbefugnis ist nicht überschritten,<lb/>
wenn der Beamte bei pflichtmä&#x017F;siger Prüfung sich irrt. Entschuldbar im Sinne<lb/>
des Civilrechts wäre dieser thörichte Irrtum kaum gewesen. &#x2014; <hi rendition="#g">Kanngie&#x017F;ser,</hi> R.<lb/>
der R.Beamten S. 67, erklärt auch den Rechtsirrtum ausnahmsweise für befreiend,<lb/>
&#x201E;wenn der Beamte in rechtlich zweifelhaften Fällen der rechtlichen Auffassung<lb/>
seines Vorgesetzten folgt&#x201C;.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Sache liegt demnach so: nicht die <hi rendition="#g">Rechtswidrigkeit</hi><lb/>
der Amtshandlung giebt für sich allein schon den Ausgangspunkt der<lb/>
civilrechtlichen Haftung, denn sie kann durch Irrtum oder Befehl<lb/>
gedeckt sein; sondern die <hi rendition="#g">pflichtwidrige Amtsüberschreitung</hi><lb/>
d. h. die Rechtswidrigkeit, bei der das nicht das Fall ist<note place="foot" n="11">Ein etwas ungelenker Ausdruck dafür ist die &#x201E;Amtspflichtüberschreitung&#x201C;,<lb/>
womit das in den Verhandlungen der Bayr. Abg.Kammer bezeichnet worden ist;<lb/><hi rendition="#g">Lippmann</hi> in Annalen 1885 S. 443.</note>. Liegt<lb/>
Amtsüberschreitung vor, so beginnt erst die Frage nach den übrigen<lb/>
Voraussetzungen des Privatdelikts; vor allem nach dem Grade der<lb/>
Verschuldung, den das Civilrecht verlangt, und nach den Befreiungs-<lb/>
gründen, denen es auch der einfachen Rechtswidrigkeit gegenüber<lb/>
Wirkung beimi&#x017F;st: Einwilligung, gegenseitiges Verschulden u. s. w.<lb/>
Hier kommt dann wieder die Mannigfaltigkeit der Landes-Civilrechte<lb/>
zur Geltung<note place="foot" n="12">Diese zweite Seite der Schadensersatzpflicht nennt <hi rendition="#g">Kanngie&#x017F;ser,</hi> a. a. O.<lb/>
S. 67, im Gegensatz zu den besonderen Grundsätzen der Beamtenhaftpflicht, nament-<lb/>
lich auch bezüglich Irrtum und Befehl, &#x201E;die materiellrechtlichen Voraussetzungen<lb/>
der civilrechtlichen Verfolgung der Reichsbeamten&#x201C;, wofür die landesrechtlichen<lb/>
Grundsätze ma&#x017F;sgebend seien. Materiellrechtlich ist beides; er will sagen: die dem<lb/>
Civilgericht zu alleiniger Anwendung zustehenden Grundsätze, indem gerade die<lb/>
pflichtwidrige Amtsüberschreitung mit Einschlu&#x017F;s der Frage von amtlichem Irrtum<lb/>
und Befehl Gegenstand der Vorentscheidung sind, von welcher sofort gehandelt<lb/>
werden soll (unten Note 26).</note>.</p><lb/>
            <p>2. Die dienstliche Pflicht des Beamten dem Staate gegenüber,<lb/><hi rendition="#g">gewisse Leistungen dem Unterthanen zu machen,</hi> be-<lb/>
gründet unter Umständen im Falle der Nichterfüllung eine Schadens-<lb/>
ersatzpflicht desselben gegenüber dem Unterthanen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0251] § 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen. angerechnet. Seine Verantwortlichkeit kann erst wieder in Frage kommen, wenn ihm gesetzlich Formen vorgeschrieben sind, die er bei der Ausführung beobachten soll, oder der Befehl ihm einen Spielraum läſst, den er selbständig ausfüllt. Soweit der Befehl nicht deckt, kann nur wieder ein amtlicher Irrtum helfen, der möglicherweise gerade durch den Befehl veranlaſst ist 10. Die Sache liegt demnach so: nicht die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung giebt für sich allein schon den Ausgangspunkt der civilrechtlichen Haftung, denn sie kann durch Irrtum oder Befehl gedeckt sein; sondern die pflichtwidrige Amtsüberschreitung d. h. die Rechtswidrigkeit, bei der das nicht das Fall ist 11. Liegt Amtsüberschreitung vor, so beginnt erst die Frage nach den übrigen Voraussetzungen des Privatdelikts; vor allem nach dem Grade der Verschuldung, den das Civilrecht verlangt, und nach den Befreiungs- gründen, denen es auch der einfachen Rechtswidrigkeit gegenüber Wirkung beimiſst: Einwilligung, gegenseitiges Verschulden u. s. w. Hier kommt dann wieder die Mannigfaltigkeit der Landes-Civilrechte zur Geltung 12. 2. Die dienstliche Pflicht des Beamten dem Staate gegenüber, gewisse Leistungen dem Unterthanen zu machen, be- gründet unter Umständen im Falle der Nichterfüllung eine Schadens- ersatzpflicht desselben gegenüber dem Unterthanen. 10 O.V.G. 15. Febr. 1882 (Samml. VIII S. 420): Der Beamte hat Befehl er- halten, verfälschter Milch auf dem Markte nachzugehen und sie wegzugieſsen. Er hat irrtümlich Sahne weggegossen, die er für gewässerte Milch hielt. Durch den Befehl ist er dafür nicht gedeckt; aber die Amtsbefugnis ist nicht überschritten, wenn der Beamte bei pflichtmäſsiger Prüfung sich irrt. Entschuldbar im Sinne des Civilrechts wäre dieser thörichte Irrtum kaum gewesen. — Kanngieſser, R. der R.Beamten S. 67, erklärt auch den Rechtsirrtum ausnahmsweise für befreiend, „wenn der Beamte in rechtlich zweifelhaften Fällen der rechtlichen Auffassung seines Vorgesetzten folgt“. 11 Ein etwas ungelenker Ausdruck dafür ist die „Amtspflichtüberschreitung“, womit das in den Verhandlungen der Bayr. Abg.Kammer bezeichnet worden ist; Lippmann in Annalen 1885 S. 443. 12 Diese zweite Seite der Schadensersatzpflicht nennt Kanngieſser, a. a. O. S. 67, im Gegensatz zu den besonderen Grundsätzen der Beamtenhaftpflicht, nament- lich auch bezüglich Irrtum und Befehl, „die materiellrechtlichen Voraussetzungen der civilrechtlichen Verfolgung der Reichsbeamten“, wofür die landesrechtlichen Grundsätze maſsgebend seien. Materiellrechtlich ist beides; er will sagen: die dem Civilgericht zu alleiniger Anwendung zustehenden Grundsätze, indem gerade die pflichtwidrige Amtsüberschreitung mit Einschluſs der Frage von amtlichem Irrtum und Befehl Gegenstand der Vorentscheidung sind, von welcher sofort gehandelt werden soll (unten Note 26).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/251
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/251>, abgerufen am 01.11.2024.