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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 27. Die Steuerauflage.

Die Unterscheidung dieser drei Stücke wird sofort von Wichtigkeit.

Nach dem Bisherigen würde sowohl die Forderung der gesetz-
lichen Grundlage als die Forderung des allgemeinen Massstabes voll-
kommen zu erfüllen sein dadurch, dass das Gesetz die Regierung er-
mächtigte, in Form der Verordnung das Nötige für einen bestimmten
Zweck selbst festzusetzen, wie das ja im Gebiete der Polizeigewalt in
so grossem Umfange geschieht.

Thatsächlich finden dergleichen Machtübertragungen nur statt be-
züglich des dritten Stückes, der Erhebungsformen. Diese können der
rechtssatzmässigen Regelung durch Verordnung überlassen werden.
Die beiden anderen Stücke sind grundsätzlich einer Übertragung auf
die Verordnung entzogen. Das Gesetz könnte eine solche jederzeit
vornehmen. Aber es thut das nicht, behält vielmehr die Bestimmung
des Steuergegenstandes wie des Steuersatzes eifersüchtig in der Hand5.

Das erklärt sich weder aus dem verfassungsmässigen Vorbehalt
des Gesetzes, noch aus den Grundsätzen des Rechtsstaates allein. Es
ist vielmehr die besondere Wirkung der Idee des Steuerbewilli-
gungsrechtes
der Volksvertretung. Jene zwei Punkte sind es
gerade, welche die eigentliche Steuerbewilligung enthalten. Es gilt
als unangemessen, dass die Volksvertretung sich dieses Rechtes zu
Gunsten der Regierung und ihrer Verordnungen entschlage. Darum
geschieht es nicht6.

5 In der Regel wenigstens. Das allmächtige Gesetz kann auch anders. Ein
Beispiel im Reichs-Ges. betr. den Zolltarif v. 15. Juli 1879 § 6: die Anordnung
von Zollzuschlägen als Retorsionsmassregel geschieht durch Kaiserliche Verordnung,
die bezeichnenderweise nach dem Muster der Notverordnung alsbald dem Reichs-
tag vorzulegen ist und von selbst dahin fällt, wenn dieser seine Zustimmung nicht
erteilt. Ebenso wird verfahren bei Bestimmung der Abgaben von Tabaksurrogaten
nach TabaksteuerGes. v. 16. Juli 1879 § 27.
6 Einen Beleg dafür, wie lebhaft diese Besonderheit der Steuer empfunden
wird, bietet die kleine Schrift von Hecht, Die Geschäftssteuer auf Grund des
Schlussnotenzwangs. Im Reichstage war beantragt worden, dass der Bundesrat
ermächtigt sein solle, für gewisse Arten von Geschäften die Bedingungen zu be-
stimmen, unter welchen sie steuerpflichtig sind. "Das heisst", sagt der Verfasser,
"nichts anderes, als dass der Reichstag die ihm verfassungsmässig zustehenden
Rechte und die ihm verfassungsmässig obliegenden Pflichten dem Bundesrat dele-
giert. Eine solche Delegation ist unbegreiflich und unzulässig". Und wie wird
doch in Wirklichkeit auf dem Gebiete des Polizeibefehls delegiert! Bei der
Steuerauflage spielen eben besondere Anschauungen herein, deren man sich be-
wusst werden muss. Bedeutsam ist auch, dass man hier von einer Delegation durch
die Volksvertretung spricht, statt durch das Gesetz, wie man bei der Polizeiver-
ordnung sagen würde.
§ 27. Die Steuerauflage.

Die Unterscheidung dieser drei Stücke wird sofort von Wichtigkeit.

Nach dem Bisherigen würde sowohl die Forderung der gesetz-
lichen Grundlage als die Forderung des allgemeinen Maſsstabes voll-
kommen zu erfüllen sein dadurch, daſs das Gesetz die Regierung er-
mächtigte, in Form der Verordnung das Nötige für einen bestimmten
Zweck selbst festzusetzen, wie das ja im Gebiete der Polizeigewalt in
so groſsem Umfange geschieht.

Thatsächlich finden dergleichen Machtübertragungen nur statt be-
züglich des dritten Stückes, der Erhebungsformen. Diese können der
rechtssatzmäſsigen Regelung durch Verordnung überlassen werden.
Die beiden anderen Stücke sind grundsätzlich einer Übertragung auf
die Verordnung entzogen. Das Gesetz könnte eine solche jederzeit
vornehmen. Aber es thut das nicht, behält vielmehr die Bestimmung
des Steuergegenstandes wie des Steuersatzes eifersüchtig in der Hand5.

Das erklärt sich weder aus dem verfassungsmäſsigen Vorbehalt
des Gesetzes, noch aus den Grundsätzen des Rechtsstaates allein. Es
ist vielmehr die besondere Wirkung der Idee des Steuerbewilli-
gungsrechtes
der Volksvertretung. Jene zwei Punkte sind es
gerade, welche die eigentliche Steuerbewilligung enthalten. Es gilt
als unangemessen, daſs die Volksvertretung sich dieses Rechtes zu
Gunsten der Regierung und ihrer Verordnungen entschlage. Darum
geschieht es nicht6.

5 In der Regel wenigstens. Das allmächtige Gesetz kann auch anders. Ein
Beispiel im Reichs-Ges. betr. den Zolltarif v. 15. Juli 1879 § 6: die Anordnung
von Zollzuschlägen als Retorsionsmaſsregel geschieht durch Kaiserliche Verordnung,
die bezeichnenderweise nach dem Muster der Notverordnung alsbald dem Reichs-
tag vorzulegen ist und von selbst dahin fällt, wenn dieser seine Zustimmung nicht
erteilt. Ebenso wird verfahren bei Bestimmung der Abgaben von Tabaksurrogaten
nach TabaksteuerGes. v. 16. Juli 1879 § 27.
6 Einen Beleg dafür, wie lebhaft diese Besonderheit der Steuer empfunden
wird, bietet die kleine Schrift von Hecht, Die Geschäftssteuer auf Grund des
Schluſsnotenzwangs. Im Reichstage war beantragt worden, daſs der Bundesrat
ermächtigt sein solle, für gewisse Arten von Geschäften die Bedingungen zu be-
stimmen, unter welchen sie steuerpflichtig sind. „Das heiſst“, sagt der Verfasser,
„nichts anderes, als daſs der Reichstag die ihm verfassungsmäſsig zustehenden
Rechte und die ihm verfassungsmäſsig obliegenden Pflichten dem Bundesrat dele-
giert. Eine solche Delegation ist unbegreiflich und unzulässig“. Und wie wird
doch in Wirklichkeit auf dem Gebiete des Polizeibefehls delegiert! Bei der
Steuerauflage spielen eben besondere Anschauungen herein, deren man sich be-
wuſst werden muſs. Bedeutsam ist auch, daſs man hier von einer Delegation durch
die Volksvertretung spricht, statt durch das Gesetz, wie man bei der Polizeiver-
ordnung sagen würde.
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[389/0409] § 27. Die Steuerauflage. Die Unterscheidung dieser drei Stücke wird sofort von Wichtigkeit. Nach dem Bisherigen würde sowohl die Forderung der gesetz- lichen Grundlage als die Forderung des allgemeinen Maſsstabes voll- kommen zu erfüllen sein dadurch, daſs das Gesetz die Regierung er- mächtigte, in Form der Verordnung das Nötige für einen bestimmten Zweck selbst festzusetzen, wie das ja im Gebiete der Polizeigewalt in so groſsem Umfange geschieht. Thatsächlich finden dergleichen Machtübertragungen nur statt be- züglich des dritten Stückes, der Erhebungsformen. Diese können der rechtssatzmäſsigen Regelung durch Verordnung überlassen werden. Die beiden anderen Stücke sind grundsätzlich einer Übertragung auf die Verordnung entzogen. Das Gesetz könnte eine solche jederzeit vornehmen. Aber es thut das nicht, behält vielmehr die Bestimmung des Steuergegenstandes wie des Steuersatzes eifersüchtig in der Hand 5. Das erklärt sich weder aus dem verfassungsmäſsigen Vorbehalt des Gesetzes, noch aus den Grundsätzen des Rechtsstaates allein. Es ist vielmehr die besondere Wirkung der Idee des Steuerbewilli- gungsrechtes der Volksvertretung. Jene zwei Punkte sind es gerade, welche die eigentliche Steuerbewilligung enthalten. Es gilt als unangemessen, daſs die Volksvertretung sich dieses Rechtes zu Gunsten der Regierung und ihrer Verordnungen entschlage. Darum geschieht es nicht 6. 5 In der Regel wenigstens. Das allmächtige Gesetz kann auch anders. Ein Beispiel im Reichs-Ges. betr. den Zolltarif v. 15. Juli 1879 § 6: die Anordnung von Zollzuschlägen als Retorsionsmaſsregel geschieht durch Kaiserliche Verordnung, die bezeichnenderweise nach dem Muster der Notverordnung alsbald dem Reichs- tag vorzulegen ist und von selbst dahin fällt, wenn dieser seine Zustimmung nicht erteilt. Ebenso wird verfahren bei Bestimmung der Abgaben von Tabaksurrogaten nach TabaksteuerGes. v. 16. Juli 1879 § 27. 6 Einen Beleg dafür, wie lebhaft diese Besonderheit der Steuer empfunden wird, bietet die kleine Schrift von Hecht, Die Geschäftssteuer auf Grund des Schluſsnotenzwangs. Im Reichstage war beantragt worden, daſs der Bundesrat ermächtigt sein solle, für gewisse Arten von Geschäften die Bedingungen zu be- stimmen, unter welchen sie steuerpflichtig sind. „Das heiſst“, sagt der Verfasser, „nichts anderes, als daſs der Reichstag die ihm verfassungsmäſsig zustehenden Rechte und die ihm verfassungsmäſsig obliegenden Pflichten dem Bundesrat dele- giert. Eine solche Delegation ist unbegreiflich und unzulässig“. Und wie wird doch in Wirklichkeit auf dem Gebiete des Polizeibefehls delegiert! Bei der Steuerauflage spielen eben besondere Anschauungen herein, deren man sich be- wuſst werden muſs. Bedeutsam ist auch, daſs man hier von einer Delegation durch die Volksvertretung spricht, statt durch das Gesetz, wie man bei der Polizeiver- ordnung sagen würde.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/409>, abgerufen am 19.05.2024.