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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
Einrichtungen anhaftet; nur so ist der Gedanke vermittelt, daß der
Staat durch sie und doch gegen seinen Willen die Einzelnen schädigt.
Es widerstrebt uns aber, eine solche förmliche Anerkennung auch neben
die Rechtspflege zu setzen. Diese wenigstens soll unfehlbar sein. Sie
ist so geordnet, daß sie nicht fehlgeht; nötigenfalls trägt sie selbst
die Heilmittel in sich; was endgültig gesprochen ist -- so wollen wir
es aller Wirklichkeit zum Trotz nun einmal angesehen haben -- kann
niemals ein durch Entschädigung zu sühnendes Unrecht übrig lassen,
das den Staat dem Einzelnen gegenüber verpflichtete12. Die Aus-
nahme gilt nicht für alle Stücke der Rechtspflege, sondern nur für
den eigentlichen Kern davon, auf welchen jenes günstige Vorurteil
sich bezieht. Also nur für Akte der richterlichen Beamten und nur
für ihr geordnetes Verfahren in Civil- und Strafprozeß. Die frei-
willige Rechtspflege teilt diese formelle Unfehlbarkeit, soweit auch sie
als obrigkeitliches Verfahren des Richters erscheint, nicht soweit etwa
einfache Geschäftsbesorgung darin begriffen ist13. Auch auf dem
Gebiete der Verwaltung müßten diese Grundsätze zur Anwendung
gebracht werden, soweit die nämlichen Besonderheiten vorliegen. Es
finden sich auch dort den Gerichten gleichwertige Behörden, die in
Form des obrigkeitlichen Befehles oder sonstigen Verwaltungsaktes
und in geordnetem Verfahren aussprechen, was Rechtens sein soll.
Wegen der Verwaltungsgerichte kann gar kein Zweifel sein. Im
übrigen ist allerdings die rechtsstaatliche Ordnung, die Justizförmigkeit
der Verwaltung, noch nicht genügend durchgedrungen und zum all-
gemeinen Bewußtsein gekommen, um jener Grundauffassung nach
dieser Seite hin ihre natürlichen Grenzen zu verschaffen14.

12 Dieser Gedanke steckt auch in dem oft wiederholten Satze, daß jedenfalls
dann keine Entschädigung zu gewähren ist, wenn der Betroffene noch ein Rechts-
mittel hatte und verabsäumt hat, es geltend zu machen. Pfeiffer a. a. O. S. 365;
Zachariae a. a. O. S. 641; Loening a. a. O. S. 125. Wir fingieren mit blindem
Vertrauen, daß das geholfen haben würde; sonst wäre diese Entscheidung nicht
zu erklären. -- Gnadenbewilligungen, Vergütungen, die nach billigem Ermessen
gewährt werden, lassen sich mit dieser Auffassung wohl vereinbaren. Aber daß
die Rechtspflege verklagt werden könne auf Schadensersatz, weil sie gefehlt hat,
das ist's, was dem Gefühl widerstreitet -- und wie uns dünkt, einem recht wert-
vollen Gefühl. Wenn man hier helfen will, werden bei dem Widerstreite der
Interessen gesetzgeberische Halbheiten nicht zu vermeiden sein; das in diesem
Augenblicke zur Beratung stehende Reichsgesetz ist eine solche (Binding, Entw.
eines Ges., betr. Änderungen des G.V.G. u. der Stf.Pr.O. S. 28 ff.).
13 Pfeiffer a. a. O. S. 365.
14 Zachariae a. a. O. S. 641 weist schon darauf hin, daß "auch wegen
Schadenszufügung durch rein administrative Akte keine Entschädigung verlangt
werden kann, wenn der Verletzte von dem ihm zuständigen Rekurs an die vor-

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
Einrichtungen anhaftet; nur so ist der Gedanke vermittelt, daß der
Staat durch sie und doch gegen seinen Willen die Einzelnen schädigt.
Es widerstrebt uns aber, eine solche förmliche Anerkennung auch neben
die Rechtspflege zu setzen. Diese wenigstens soll unfehlbar sein. Sie
ist so geordnet, daß sie nicht fehlgeht; nötigenfalls trägt sie selbst
die Heilmittel in sich; was endgültig gesprochen ist — so wollen wir
es aller Wirklichkeit zum Trotz nun einmal angesehen haben — kann
niemals ein durch Entschädigung zu sühnendes Unrecht übrig lassen,
das den Staat dem Einzelnen gegenüber verpflichtete12. Die Aus-
nahme gilt nicht für alle Stücke der Rechtspflege, sondern nur für
den eigentlichen Kern davon, auf welchen jenes günstige Vorurteil
sich bezieht. Also nur für Akte der richterlichen Beamten und nur
für ihr geordnetes Verfahren in Civil- und Strafprozeß. Die frei-
willige Rechtspflege teilt diese formelle Unfehlbarkeit, soweit auch sie
als obrigkeitliches Verfahren des Richters erscheint, nicht soweit etwa
einfache Geschäftsbesorgung darin begriffen ist13. Auch auf dem
Gebiete der Verwaltung müßten diese Grundsätze zur Anwendung
gebracht werden, soweit die nämlichen Besonderheiten vorliegen. Es
finden sich auch dort den Gerichten gleichwertige Behörden, die in
Form des obrigkeitlichen Befehles oder sonstigen Verwaltungsaktes
und in geordnetem Verfahren aussprechen, was Rechtens sein soll.
Wegen der Verwaltungsgerichte kann gar kein Zweifel sein. Im
übrigen ist allerdings die rechtsstaatliche Ordnung, die Justizförmigkeit
der Verwaltung, noch nicht genügend durchgedrungen und zum all-
gemeinen Bewußtsein gekommen, um jener Grundauffassung nach
dieser Seite hin ihre natürlichen Grenzen zu verschaffen14.

12 Dieser Gedanke steckt auch in dem oft wiederholten Satze, daß jedenfalls
dann keine Entschädigung zu gewähren ist, wenn der Betroffene noch ein Rechts-
mittel hatte und verabsäumt hat, es geltend zu machen. Pfeiffer a. a. O. S. 365;
Zachariae a. a. O. S. 641; Loening a. a. O. S. 125. Wir fingieren mit blindem
Vertrauen, daß das geholfen haben würde; sonst wäre diese Entscheidung nicht
zu erklären. — Gnadenbewilligungen, Vergütungen, die nach billigem Ermessen
gewährt werden, lassen sich mit dieser Auffassung wohl vereinbaren. Aber daß
die Rechtspflege verklagt werden könne auf Schadensersatz, weil sie gefehlt hat,
das ist’s, was dem Gefühl widerstreitet — und wie uns dünkt, einem recht wert-
vollen Gefühl. Wenn man hier helfen will, werden bei dem Widerstreite der
Interessen gesetzgeberische Halbheiten nicht zu vermeiden sein; das in diesem
Augenblicke zur Beratung stehende Reichsgesetz ist eine solche (Binding, Entw.
eines Ges., betr. Änderungen des G.V.G. u. der Stf.Pr.O. S. 28 ff.).
13 Pfeiffer a. a. O. S. 365.
14 Zachariae a. a. O. S. 641 weist schon darauf hin, daß „auch wegen
Schadenszufügung durch rein administrative Akte keine Entschädigung verlangt
werden kann, wenn der Verletzte von dem ihm zuständigen Rekurs an die vor-
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[364/0376] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. Einrichtungen anhaftet; nur so ist der Gedanke vermittelt, daß der Staat durch sie und doch gegen seinen Willen die Einzelnen schädigt. Es widerstrebt uns aber, eine solche förmliche Anerkennung auch neben die Rechtspflege zu setzen. Diese wenigstens soll unfehlbar sein. Sie ist so geordnet, daß sie nicht fehlgeht; nötigenfalls trägt sie selbst die Heilmittel in sich; was endgültig gesprochen ist — so wollen wir es aller Wirklichkeit zum Trotz nun einmal angesehen haben — kann niemals ein durch Entschädigung zu sühnendes Unrecht übrig lassen, das den Staat dem Einzelnen gegenüber verpflichtete 12. Die Aus- nahme gilt nicht für alle Stücke der Rechtspflege, sondern nur für den eigentlichen Kern davon, auf welchen jenes günstige Vorurteil sich bezieht. Also nur für Akte der richterlichen Beamten und nur für ihr geordnetes Verfahren in Civil- und Strafprozeß. Die frei- willige Rechtspflege teilt diese formelle Unfehlbarkeit, soweit auch sie als obrigkeitliches Verfahren des Richters erscheint, nicht soweit etwa einfache Geschäftsbesorgung darin begriffen ist 13. Auch auf dem Gebiete der Verwaltung müßten diese Grundsätze zur Anwendung gebracht werden, soweit die nämlichen Besonderheiten vorliegen. Es finden sich auch dort den Gerichten gleichwertige Behörden, die in Form des obrigkeitlichen Befehles oder sonstigen Verwaltungsaktes und in geordnetem Verfahren aussprechen, was Rechtens sein soll. Wegen der Verwaltungsgerichte kann gar kein Zweifel sein. Im übrigen ist allerdings die rechtsstaatliche Ordnung, die Justizförmigkeit der Verwaltung, noch nicht genügend durchgedrungen und zum all- gemeinen Bewußtsein gekommen, um jener Grundauffassung nach dieser Seite hin ihre natürlichen Grenzen zu verschaffen 14. 12 Dieser Gedanke steckt auch in dem oft wiederholten Satze, daß jedenfalls dann keine Entschädigung zu gewähren ist, wenn der Betroffene noch ein Rechts- mittel hatte und verabsäumt hat, es geltend zu machen. Pfeiffer a. a. O. S. 365; Zachariae a. a. O. S. 641; Loening a. a. O. S. 125. Wir fingieren mit blindem Vertrauen, daß das geholfen haben würde; sonst wäre diese Entscheidung nicht zu erklären. — Gnadenbewilligungen, Vergütungen, die nach billigem Ermessen gewährt werden, lassen sich mit dieser Auffassung wohl vereinbaren. Aber daß die Rechtspflege verklagt werden könne auf Schadensersatz, weil sie gefehlt hat, das ist’s, was dem Gefühl widerstreitet — und wie uns dünkt, einem recht wert- vollen Gefühl. Wenn man hier helfen will, werden bei dem Widerstreite der Interessen gesetzgeberische Halbheiten nicht zu vermeiden sein; das in diesem Augenblicke zur Beratung stehende Reichsgesetz ist eine solche (Binding, Entw. eines Ges., betr. Änderungen des G.V.G. u. der Stf.Pr.O. S. 28 ff.). 13 Pfeiffer a. a. O. S. 365. 14 Zachariae a. a. O. S. 641 weist schon darauf hin, daß „auch wegen Schadenszufügung durch rein administrative Akte keine Entschädigung verlangt werden kann, wenn der Verletzte von dem ihm zuständigen Rekurs an die vor-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/376>, abgerufen am 28.04.2024.