Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

der du sprichst: welcher ist unter euch Menschen, so ihn
sein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete?
Siehe ich bin dieser Mensch, siehe ich bin dieser ruch¬
lose Vater, ich habe Brod gessen und meinem Töchter¬
lein Holz geboten, strafe mich, ich will dir gerne stille
halten! O mein gerechter Jesu, ich habe Brod gessen
und meinem Töchterlein Holz geboten! -- Als ich solli¬
ches nicht redete sondern laut herfürschrie, indem ich meine
Hände range, fiel mir mein Töchterlein schluchzend umb
den Hals, und strafete mich, daß ich gegen den Herrn
murrete, da doch sie selbsten als ein schwach und ge¬
brechlich Weib gleichwohl nicht an seiner Gnade verzwei¬
felt sei; so daß ich bald mit Schaam und Reue wieder
zu mir selbsten kam, und mich vor dem Herrn demü¬
thigte für solche Sünden.

Hierzwischen war aber die Magd mit großem Ge¬
schrei in das Dorf gerannt, ob sie ein wenig für ihre
arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten
ihr Mittag schon verzehret und die Meisten waren auf
der Sehe, sich die liebe Nachtkost zu suchen; dahero sie
nichts gewann, angesehen die alte Sedensche so allein
noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen
wöllen, obschon sie selbige um die Wunden Jesu gebeten.

Solliches verzählete sie noch, als wir es in der Kam¬
mer poltern höreten, und alsobald ihr guter alter Ehe¬
kerl, der dorten heimlich in das Fenster gestiegen war,
einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, so
er seinem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬

der du ſprichſt: welcher iſt unter euch Menſchen, ſo ihn
ſein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete?
Siehe ich bin dieſer Menſch, ſiehe ich bin dieſer ruch¬
loſe Vater, ich habe Brod geſſen und meinem Töchter¬
lein Holz geboten, ſtrafe mich, ich will dir gerne ſtille
halten! O mein gerechter Jeſu, ich habe Brod geſſen
und meinem Töchterlein Holz geboten! — Als ich ſolli¬
ches nicht redete ſondern laut herfürſchrie, indem ich meine
Hände range, fiel mir mein Töchterlein ſchluchzend umb
den Hals, und ſtrafete mich, daß ich gegen den Herrn
murrete, da doch ſie ſelbſten als ein ſchwach und ge¬
brechlich Weib gleichwohl nicht an ſeiner Gnade verzwei¬
felt ſei; ſo daß ich bald mit Schaam und Reue wieder
zu mir ſelbſten kam, und mich vor dem Herrn demü¬
thigte für ſolche Sünden.

Hierzwiſchen war aber die Magd mit großem Ge¬
ſchrei in das Dorf gerannt, ob ſie ein wenig für ihre
arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten
ihr Mittag ſchon verzehret und die Meiſten waren auf
der Sehe, ſich die liebe Nachtkoſt zu ſuchen; dahero ſie
nichts gewann, angeſehen die alte Sedenſche ſo allein
noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen
wöllen, obſchon ſie ſelbige um die Wunden Jeſu gebeten.

Solliches verzählete ſie noch, als wir es in der Kam¬
mer poltern höreten, und alſobald ihr guter alter Ehe¬
kerl, der dorten heimlich in das Fenſter geſtiegen war,
einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, ſo
er ſeinem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="37"/>
der du &#x017F;prich&#x017F;t: welcher i&#x017F;t unter euch Men&#x017F;chen, &#x017F;o ihn<lb/>
&#x017F;ein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete?<lb/>
Siehe ich bin die&#x017F;er Men&#x017F;ch, &#x017F;iehe ich bin die&#x017F;er ruch¬<lb/>
lo&#x017F;e Vater, ich habe Brod ge&#x017F;&#x017F;en und meinem Töchter¬<lb/>
lein Holz geboten, &#x017F;trafe mich, ich will dir gerne &#x017F;tille<lb/>
halten! O mein gerechter Je&#x017F;u, ich habe Brod ge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und meinem Töchterlein Holz geboten! &#x2014; Als ich &#x017F;olli¬<lb/>
ches nicht redete &#x017F;ondern laut herfür&#x017F;chrie, indem ich meine<lb/>
Hände range, fiel mir mein Töchterlein &#x017F;chluchzend umb<lb/>
den Hals, und &#x017F;trafete mich, daß ich gegen den Herrn<lb/>
murrete, da doch &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;ten als ein &#x017F;chwach und ge¬<lb/>
brechlich Weib gleichwohl nicht an &#x017F;einer Gnade verzwei¬<lb/>
felt &#x017F;ei; &#x017F;o daß ich bald mit Schaam und Reue wieder<lb/>
zu mir &#x017F;elb&#x017F;ten kam, und mich vor dem Herrn demü¬<lb/>
thigte für &#x017F;olche Sünden.</p><lb/>
        <p>Hierzwi&#x017F;chen war aber die Magd mit großem Ge¬<lb/>
&#x017F;chrei in das Dorf gerannt, ob &#x017F;ie ein wenig für ihre<lb/>
arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten<lb/>
ihr Mittag &#x017F;chon verzehret und die Mei&#x017F;ten waren auf<lb/>
der Sehe, &#x017F;ich die liebe Nachtko&#x017F;t zu &#x017F;uchen; dahero &#x017F;ie<lb/>
nichts gewann, ange&#x017F;ehen die alte Seden&#x017F;che &#x017F;o allein<lb/>
noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen<lb/>
wöllen, ob&#x017F;chon &#x017F;ie &#x017F;elbige um die Wunden Je&#x017F;u gebeten.</p><lb/>
        <p>Solliches verzählete &#x017F;ie noch, als wir es in der Kam¬<lb/>
mer poltern höreten, und al&#x017F;obald ihr guter alter Ehe¬<lb/>
kerl, der dorten heimlich in das Fen&#x017F;ter ge&#x017F;tiegen war,<lb/>
einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, &#x017F;o<lb/>
er &#x017F;einem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0053] der du ſprichſt: welcher iſt unter euch Menſchen, ſo ihn ſein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete? Siehe ich bin dieſer Menſch, ſiehe ich bin dieſer ruch¬ loſe Vater, ich habe Brod geſſen und meinem Töchter¬ lein Holz geboten, ſtrafe mich, ich will dir gerne ſtille halten! O mein gerechter Jeſu, ich habe Brod geſſen und meinem Töchterlein Holz geboten! — Als ich ſolli¬ ches nicht redete ſondern laut herfürſchrie, indem ich meine Hände range, fiel mir mein Töchterlein ſchluchzend umb den Hals, und ſtrafete mich, daß ich gegen den Herrn murrete, da doch ſie ſelbſten als ein ſchwach und ge¬ brechlich Weib gleichwohl nicht an ſeiner Gnade verzwei¬ felt ſei; ſo daß ich bald mit Schaam und Reue wieder zu mir ſelbſten kam, und mich vor dem Herrn demü¬ thigte für ſolche Sünden. Hierzwiſchen war aber die Magd mit großem Ge¬ ſchrei in das Dorf gerannt, ob ſie ein wenig für ihre arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten ihr Mittag ſchon verzehret und die Meiſten waren auf der Sehe, ſich die liebe Nachtkoſt zu ſuchen; dahero ſie nichts gewann, angeſehen die alte Sedenſche ſo allein noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen wöllen, obſchon ſie ſelbige um die Wunden Jeſu gebeten. Solliches verzählete ſie noch, als wir es in der Kam¬ mer poltern höreten, und alſobald ihr guter alter Ehe¬ kerl, der dorten heimlich in das Fenſter geſtiegen war, einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, ſo er ſeinem, Weibe von dem Feuer gehoben, die nur ei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/53
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/53>, abgerufen am 02.05.2024.