Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

Bild:
<< vorherige Seite


Dieser Satz ist - es läßt sich anders nicht bezeichnen
- eine Schamlosigkeit. (Trotzdem in diesem Buch so viel
von "Schamhaftigkeit" die Rede ist.) Wie schön "Recht und
Unrecht" für die Frau "ermittelt" wurde, muß selbst
Blinden und Tauben klar werden aus einer Gesetzgebung,
die das Weib in seiner katastrophalsten, hilflosesten Lage
recht-, schutz- und hilflos läßt. Von all dem andern, was zu
ihrer Beschränkung und Einengung für sie "ermittelt" wurde,
will ich jetzt ganz absehen, nur das Krasseste soll berührt
werden, die Tatsache, daß die arbeitsunfähige Schwangere,
die sich also, falls sie subsistenzlos ist, im Zustand absolutester
Hilflosigkeit befindet, keine Ansprüche an den
Vater des Kindes hat, er sei, wer er sei, er habe, was er
habe; die Tatsache, daß sie auch für die Kosten der Entbindung
keinen rechtlichen Anspruch weder an den Vater
noch an die Gesellschaft besitzt, daß sie - die Gebärende!!
- keinen Anspruch auf Unterschlupf und Pflege für sich
und das Kind hat (im Findelhaus finden nur die wenigsten
Aufnahme und unter Umständen, denen ein abschreckendes
Odium anhaftet), und daß sie erst nach der schwersten
Stunde Alimente für das Kind beanspruchen kann, die aber
niemals ausreichen, die Kosten seiner Erhaltung auch nur annähernd
zu decken. So schön kann Recht und Unrecht für die
Frauen ermittelt werden, "ohne daß sie selbst mitbeschließen".

Zum Schlusse schlägt in dem Buche Weiningers ein
beinahe irrsinniger Ton durch: es wird nämlich festgestellt,
"daß dieses Buch die größte Ehre ist, welche den Frauen
je erwiesen wurde". Aber können uns die tollsten Sprünge
wundern in einem Buche, das noch auf derselben Seite den
einzigen wahrhaftigen, richtigen Ausspruch tut, der allein
dem ganzen Buch ins Gesicht schlägt, der allein genügt,
um es zu richten und zu werten, da es ihn als eine (verspätete)
Vorschrift für andere gibt, während es ihn selbst
mit Füßen trat, nämlich den Ausspruch:


Dieser Satz ist – es läßt sich anders nicht bezeichnen
– eine Schamlosigkeit. (Trotzdem in diesem Buch so viel
von »Schamhaftigkeit« die Rede ist.) Wie schön »Recht und
Unrecht« für die Frau »ermittelt« wurde, muß selbst
Blinden und Tauben klar werden aus einer Gesetzgebung,
die das Weib in seiner katastrophalsten, hilflosesten Lage
recht-, schutz- und hilflos läßt. Von all dem andern, was zu
ihrer Beschränkung und Einengung für sie »ermittelt« wurde,
will ich jetzt ganz absehen, nur das Krasseste soll berührt
werden, die Tatsache, daß die arbeitsunfähige Schwangere,
die sich also, falls sie subsistenzlos ist, im Zustand absolutester
Hilflosigkeit befindet, keine Ansprüche an den
Vater des Kindes hat, er sei, wer er sei, er habe, was er
habe; die Tatsache, daß sie auch für die Kosten der Entbindung
keinen rechtlichen Anspruch weder an den Vater
noch an die Gesellschaft besitzt, daß sie – die Gebärende!!
– keinen Anspruch auf Unterschlupf und Pflege für sich
und das Kind hat (im Findelhaus finden nur die wenigsten
Aufnahme und unter Umständen, denen ein abschreckendes
Odium anhaftet), und daß sie erst nach der schwersten
Stunde Alimente für das Kind beanspruchen kann, die aber
niemals ausreichen, die Kosten seiner Erhaltung auch nur annähernd
zu decken. So schön kann Recht und Unrecht für die
Frauen ermittelt werden, »ohne daß sie selbst mitbeschließen«.

Zum Schlusse schlägt in dem Buche Weiningers ein
beinahe irrsinniger Ton durch: es wird nämlich festgestellt,
»daß dieses Buch die größte Ehre ist, welche den Frauen
je erwiesen wurde«. Aber können uns die tollsten Sprünge
wundern in einem Buche, das noch auf derselben Seite den
einzigen wahrhaftigen, richtigen Ausspruch tut, der allein
dem ganzen Buch ins Gesicht schlägt, der allein genügt,
um es zu richten und zu werten, da es ihn als eine (verspätete)
Vorschrift für andere gibt, während es ihn selbst
mit Füßen trat, nämlich den Ausspruch:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="58"/><lb/>
Dieser Satz ist &#x2013; es läßt sich anders nicht bezeichnen<lb/>
&#x2013; eine Schamlosigkeit. (Trotzdem in diesem Buch so viel<lb/>
von »Schamhaftigkeit« die Rede ist.) <hi rendition="#g">Wie</hi> schön »Recht und<lb/>
Unrecht« für die Frau »ermittelt« wurde, muß selbst<lb/>
Blinden und Tauben klar werden aus einer Gesetzgebung,<lb/>
die das Weib in seiner katastrophalsten, hilflosesten Lage<lb/>
recht-, schutz- und hilflos läßt. Von all dem andern, was zu<lb/>
ihrer Beschränkung und Einengung für sie »ermittelt« wurde,<lb/>
will ich jetzt ganz absehen, nur das Krasseste soll berührt<lb/>
werden, die Tatsache, daß die arbeitsunfähige Schwangere,<lb/>
die sich also, falls sie subsistenzlos ist, im Zustand absolutester<lb/><hi rendition="#g">Hilflosigkeit</hi> befindet, keine Ansprüche an den<lb/>
Vater des Kindes hat, er sei, wer er sei, er habe, was er<lb/>
habe; die Tatsache, daß sie auch für die Kosten der Entbindung<lb/>
keinen rechtlichen Anspruch weder an den Vater<lb/>
noch an die Gesellschaft besitzt, daß sie &#x2013; die Gebärende!!<lb/>
&#x2013; keinen Anspruch auf Unterschlupf und Pflege für sich<lb/>
und das Kind hat (im Findelhaus finden nur die wenigsten<lb/>
Aufnahme und unter Umständen, denen ein abschreckendes<lb/>
Odium anhaftet), und daß sie erst nach der schwersten<lb/>
Stunde Alimente für das Kind beanspruchen kann, die aber<lb/>
niemals ausreichen, die Kosten seiner Erhaltung auch nur annähernd<lb/>
zu decken. So schön kann Recht und Unrecht für die<lb/>
Frauen ermittelt werden, »ohne daß sie selbst mitbeschließen«.<lb/></p>
        <p>Zum Schlusse schlägt in dem Buche Weiningers ein<lb/>
beinahe irrsinniger Ton durch: es wird nämlich festgestellt,<lb/>
»daß dieses Buch die größte Ehre ist, welche den Frauen<lb/>
je erwiesen wurde«. Aber können uns die tollsten Sprünge<lb/>
wundern in einem Buche, das noch auf derselben Seite den<lb/>
einzigen wahrhaftigen, richtigen Ausspruch tut, der allein<lb/>
dem ganzen Buch ins Gesicht schlägt, der allein genügt,<lb/>
um es zu richten und zu werten, da es ihn als eine (verspätete)<lb/>
Vorschrift für andere gibt, während es ihn selbst<lb/>
mit Füßen trat, nämlich den Ausspruch:<lb/></p>
        <p>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0064] Dieser Satz ist – es läßt sich anders nicht bezeichnen – eine Schamlosigkeit. (Trotzdem in diesem Buch so viel von »Schamhaftigkeit« die Rede ist.) Wie schön »Recht und Unrecht« für die Frau »ermittelt« wurde, muß selbst Blinden und Tauben klar werden aus einer Gesetzgebung, die das Weib in seiner katastrophalsten, hilflosesten Lage recht-, schutz- und hilflos läßt. Von all dem andern, was zu ihrer Beschränkung und Einengung für sie »ermittelt« wurde, will ich jetzt ganz absehen, nur das Krasseste soll berührt werden, die Tatsache, daß die arbeitsunfähige Schwangere, die sich also, falls sie subsistenzlos ist, im Zustand absolutester Hilflosigkeit befindet, keine Ansprüche an den Vater des Kindes hat, er sei, wer er sei, er habe, was er habe; die Tatsache, daß sie auch für die Kosten der Entbindung keinen rechtlichen Anspruch weder an den Vater noch an die Gesellschaft besitzt, daß sie – die Gebärende!! – keinen Anspruch auf Unterschlupf und Pflege für sich und das Kind hat (im Findelhaus finden nur die wenigsten Aufnahme und unter Umständen, denen ein abschreckendes Odium anhaftet), und daß sie erst nach der schwersten Stunde Alimente für das Kind beanspruchen kann, die aber niemals ausreichen, die Kosten seiner Erhaltung auch nur annähernd zu decken. So schön kann Recht und Unrecht für die Frauen ermittelt werden, »ohne daß sie selbst mitbeschließen«. Zum Schlusse schlägt in dem Buche Weiningers ein beinahe irrsinniger Ton durch: es wird nämlich festgestellt, »daß dieses Buch die größte Ehre ist, welche den Frauen je erwiesen wurde«. Aber können uns die tollsten Sprünge wundern in einem Buche, das noch auf derselben Seite den einzigen wahrhaftigen, richtigen Ausspruch tut, der allein dem ganzen Buch ins Gesicht schlägt, der allein genügt, um es zu richten und zu werten, da es ihn als eine (verspätete) Vorschrift für andere gibt, während es ihn selbst mit Füßen trat, nämlich den Ausspruch:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/64
Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/64>, abgerufen am 05.05.2024.