Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

Frömmigkeit, ohne Gaben und Talente, von der
schläfrigen Gattung der Gewohnheitsmenschen, oder
gar ein eitles Weltkind im Priesterrock, so wird er
auch den religiösen Sinn sicher weit weniger zu näh¬
ren wissen, als es ein katholischer Priester vermag,
den so vieles andere unterstützt. Der protestantische
Pfarrer macht alles oder nichts aus seiner Gemeinde;
er allein kann die Kirche zum liebsten Aufeuthalts¬
ort der Gemeinde machen, er allein sie aber auch
allen verleiden. Es gibt nun leider sehr viele unbe¬
gabte Prediger, ohne alle höhere Weihe. Diese sind
es, welche die Gebildeten aus den Kirchen verscheu¬
chen und nur die Heerde der Geistesarmen noch darin
festhalten, aber ihre Andacht zu einem werthlosen
Werk sonntäglicher Gewohnheit herabwürdigen, die
nicht besser ist, als die Kirchenscheu der andern. Bei¬
des wird Indifferentismus. Die Einen lassen sich
die schlechte, wässerigte Predigt gefallen, weil es
einmal Mode ist, im Sonntagsputz den Kirchenstuhl
zu drücken. Die Andern werden kühl gegen die Re¬
ligion, weil sie unmöglich so elende Predigten anhö¬
ren können. -- Der zweite Umstand, der den In¬
differentismus befördert, ist der katechetische Unter¬
richt. Der ehrliche alte Meister sagt in seiner klei¬
nen Schrift über die Einbildungskraft sehr richtig:
"Der Cornelius Nepos und der Katechismus sind
uns, blos weil wir sie einmal unter der Ruthe gele¬
sen, Zeitlebens zum Eckel." Er drückt sich vielleicht
etwas zu stark aus, aber in der Hauptsache ist die

Froͤmmigkeit, ohne Gaben und Talente, von der
ſchlaͤfrigen Gattung der Gewohnheitsmenſchen, oder
gar ein eitles Weltkind im Prieſterrock, ſo wird er
auch den religioͤſen Sinn ſicher weit weniger zu naͤh¬
ren wiſſen, als es ein katholiſcher Prieſter vermag,
den ſo vieles andere unterſtuͤtzt. Der proteſtantiſche
Pfarrer macht alles oder nichts aus ſeiner Gemeinde;
er allein kann die Kirche zum liebſten Aufeuthalts¬
ort der Gemeinde machen, er allein ſie aber auch
allen verleiden. Es gibt nun leider ſehr viele unbe¬
gabte Prediger, ohne alle hoͤhere Weihe. Dieſe ſind
es, welche die Gebildeten aus den Kirchen verſcheu¬
chen und nur die Heerde der Geiſtesarmen noch darin
feſthalten, aber ihre Andacht zu einem werthloſen
Werk ſonntaͤglicher Gewohnheit herabwuͤrdigen, die
nicht beſſer iſt, als die Kirchenſcheu der andern. Bei¬
des wird Indifferentismus. Die Einen laſſen ſich
die ſchlechte, waͤſſerigte Predigt gefallen, weil es
einmal Mode iſt, im Sonntagsputz den Kirchenſtuhl
zu druͤcken. Die Andern werden kuͤhl gegen die Re¬
ligion, weil ſie unmoͤglich ſo elende Predigten anhoͤ¬
ren koͤnnen. — Der zweite Umſtand, der den In¬
differentismus befoͤrdert, iſt der katechetiſche Unter¬
richt. Der ehrliche alte Meiſter ſagt in ſeiner klei¬
nen Schrift uͤber die Einbildungskraft ſehr richtig:
«Der Cornelius Nepos und der Katechismus ſind
uns, blos weil wir ſie einmal unter der Ruthe gele¬
ſen, Zeitlebens zum Eckel.» Er druͤckt ſich vielleicht
etwas zu ſtark aus, aber in der Hauptſache iſt die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0148" n="138"/>
Fro&#x0364;mmigkeit, ohne Gaben und Talente, von der<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;frigen Gattung der Gewohnheitsmen&#x017F;chen, oder<lb/>
gar ein eitles Weltkind im Prie&#x017F;terrock, &#x017F;o wird er<lb/>
auch den religio&#x0364;&#x017F;en Sinn &#x017F;icher weit weniger zu na&#x0364;<lb/>
ren wi&#x017F;&#x017F;en, als es ein katholi&#x017F;cher Prie&#x017F;ter vermag,<lb/>
den &#x017F;o vieles andere unter&#x017F;tu&#x0364;tzt. Der prote&#x017F;tanti&#x017F;che<lb/>
Pfarrer macht alles oder nichts aus &#x017F;einer Gemeinde;<lb/>
er allein kann die Kirche zum lieb&#x017F;ten Aufeuthalts¬<lb/>
ort der Gemeinde machen, er allein &#x017F;ie aber auch<lb/>
allen verleiden. Es gibt nun leider &#x017F;ehr viele unbe¬<lb/>
gabte Prediger, ohne alle ho&#x0364;here Weihe. Die&#x017F;e &#x017F;ind<lb/>
es, welche die Gebildeten aus den Kirchen ver&#x017F;cheu¬<lb/>
chen und nur die Heerde der Gei&#x017F;tesarmen noch darin<lb/>
fe&#x017F;thalten, aber ihre Andacht zu einem werthlo&#x017F;en<lb/>
Werk &#x017F;onnta&#x0364;glicher Gewohnheit herabwu&#x0364;rdigen, die<lb/>
nicht be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, als die Kirchen&#x017F;cheu der andern. Bei¬<lb/>
des wird Indifferentismus. Die Einen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
die &#x017F;chlechte, wa&#x0364;&#x017F;&#x017F;erigte Predigt gefallen, weil es<lb/>
einmal Mode i&#x017F;t, im Sonntagsputz den Kirchen&#x017F;tuhl<lb/>
zu dru&#x0364;cken. Die Andern werden ku&#x0364;hl gegen die Re¬<lb/>
ligion, weil &#x017F;ie unmo&#x0364;glich &#x017F;o elende Predigten anho&#x0364;¬<lb/>
ren ko&#x0364;nnen. &#x2014; Der zweite Um&#x017F;tand, der den In¬<lb/>
differentismus befo&#x0364;rdert, i&#x017F;t der katecheti&#x017F;che Unter¬<lb/>
richt. Der ehrliche alte Mei&#x017F;ter &#x017F;agt in &#x017F;einer klei¬<lb/>
nen Schrift u&#x0364;ber die Einbildungskraft &#x017F;ehr richtig:<lb/>
«Der Cornelius Nepos und der Katechismus &#x017F;ind<lb/>
uns, blos weil wir &#x017F;ie einmal unter der Ruthe gele¬<lb/>
&#x017F;en, Zeitlebens zum Eckel.» Er dru&#x0364;ckt &#x017F;ich vielleicht<lb/>
etwas zu &#x017F;tark aus, aber in der Haupt&#x017F;ache i&#x017F;t die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0148] Froͤmmigkeit, ohne Gaben und Talente, von der ſchlaͤfrigen Gattung der Gewohnheitsmenſchen, oder gar ein eitles Weltkind im Prieſterrock, ſo wird er auch den religioͤſen Sinn ſicher weit weniger zu naͤh¬ ren wiſſen, als es ein katholiſcher Prieſter vermag, den ſo vieles andere unterſtuͤtzt. Der proteſtantiſche Pfarrer macht alles oder nichts aus ſeiner Gemeinde; er allein kann die Kirche zum liebſten Aufeuthalts¬ ort der Gemeinde machen, er allein ſie aber auch allen verleiden. Es gibt nun leider ſehr viele unbe¬ gabte Prediger, ohne alle hoͤhere Weihe. Dieſe ſind es, welche die Gebildeten aus den Kirchen verſcheu¬ chen und nur die Heerde der Geiſtesarmen noch darin feſthalten, aber ihre Andacht zu einem werthloſen Werk ſonntaͤglicher Gewohnheit herabwuͤrdigen, die nicht beſſer iſt, als die Kirchenſcheu der andern. Bei¬ des wird Indifferentismus. Die Einen laſſen ſich die ſchlechte, waͤſſerigte Predigt gefallen, weil es einmal Mode iſt, im Sonntagsputz den Kirchenſtuhl zu druͤcken. Die Andern werden kuͤhl gegen die Re¬ ligion, weil ſie unmoͤglich ſo elende Predigten anhoͤ¬ ren koͤnnen. — Der zweite Umſtand, der den In¬ differentismus befoͤrdert, iſt der katechetiſche Unter¬ richt. Der ehrliche alte Meiſter ſagt in ſeiner klei¬ nen Schrift uͤber die Einbildungskraft ſehr richtig: «Der Cornelius Nepos und der Katechismus ſind uns, blos weil wir ſie einmal unter der Ruthe gele¬ ſen, Zeitlebens zum Eckel.» Er druͤckt ſich vielleicht etwas zu ſtark aus, aber in der Hauptſache iſt die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/148
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/148>, abgerufen am 02.05.2024.