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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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system ein, das am geschicktesten geeignet scheint, alle
Interessen, wenn nicht zu vermitteln, doch zu bezäh¬
men. Zwar herrscht auch hier auf der einen Seite
mehr das Interesse des Volks, auf der andern mehr
das des Regenten vor, wie räumlich, so der Zeit
nach, so daß in einer gewissen Oscillation dieses
oder jenes Interesse je nach der Constellation der äu¬
ßern politischen Verhältnisse steigt, und gegenwärtig
ist nicht zu verkennen, welches Interesse ein entschie¬
denes Übergewicht behauptet, indeß hat im Allgemei¬
nen das Repräsentativsystem, gegenüber der Auto¬
kratie und Demokratie, eine schwer zu erschütternde
Festigkeit erlangt, und welchen Entwicklungen es auch
unterworfen seyn mag, seine Idee ist dem Zeitalter
gleichsam angetraut worden, es würde sich ohne Ge¬
waltthat nicht mehr davon losreißen lassen. In Deutsch¬
land behauptet das System insbesondre eine allge¬
meine europäische Bedeutung. Es scheint mit dem
Lande und Volke in einer geheimen Wahlverwandt¬
schaft zu stehn. Wie es gerade die Deutschen sind,
bei welchen sich die entgegengesetzten politischen und
religiösen Parteien die Wage halten, so liegt auch
ihr Land in der Mitte jener Länder, in welchen die
eine oder andre Partei vorzugsweise herrscht. Es
scheint die Streitenden von einander zu halten und
Europa auf gleiche Weise vor asiatischer Despotie
wie vor atlantischer Demokratie zu schützen, so wie
es einst die Alleinherrschaft hier des Papstes dort
der Puritaner abgewendet hat.

Deutsche Literatur. I. 11

ſyſtem ein, das am geſchickteſten geeignet ſcheint, alle
Intereſſen, wenn nicht zu vermitteln, doch zu bezaͤh¬
men. Zwar herrſcht auch hier auf der einen Seite
mehr das Intereſſe des Volks, auf der andern mehr
das des Regenten vor, wie raͤumlich, ſo der Zeit
nach, ſo daß in einer gewiſſen Oscillation dieſes
oder jenes Intereſſe je nach der Conſtellation der aͤu¬
ßern politiſchen Verhaͤltniſſe ſteigt, und gegenwaͤrtig
iſt nicht zu verkennen, welches Intereſſe ein entſchie¬
denes Übergewicht behauptet, indeß hat im Allgemei¬
nen das Repraͤſentativſyſtem, gegenuͤber der Auto¬
kratie und Demokratie, eine ſchwer zu erſchuͤtternde
Feſtigkeit erlangt, und welchen Entwicklungen es auch
unterworfen ſeyn mag, ſeine Idee iſt dem Zeitalter
gleichſam angetraut worden, es wuͤrde ſich ohne Ge¬
waltthat nicht mehr davon losreißen laſſen. In Deutſch¬
land behauptet das Syſtem insbeſondre eine allge¬
meine europaͤiſche Bedeutung. Es ſcheint mit dem
Lande und Volke in einer geheimen Wahlverwandt¬
ſchaft zu ſtehn. Wie es gerade die Deutſchen ſind,
bei welchen ſich die entgegengeſetzten politiſchen und
religioͤſen Parteien die Wage halten, ſo liegt auch
ihr Land in der Mitte jener Laͤnder, in welchen die
eine oder andre Partei vorzugsweiſe herrſcht. Es
ſcheint die Streitenden von einander zu halten und
Europa auf gleiche Weiſe vor aſiatiſcher Deſpotie
wie vor atlantiſcher Demokratie zu ſchuͤtzen, ſo wie
es einſt die Alleinherrſchaft hier des Papſtes dort
der Puritaner abgewendet hat.

Deutſche Literatur. I. 11
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[241/0251] ſyſtem ein, das am geſchickteſten geeignet ſcheint, alle Intereſſen, wenn nicht zu vermitteln, doch zu bezaͤh¬ men. Zwar herrſcht auch hier auf der einen Seite mehr das Intereſſe des Volks, auf der andern mehr das des Regenten vor, wie raͤumlich, ſo der Zeit nach, ſo daß in einer gewiſſen Oscillation dieſes oder jenes Intereſſe je nach der Conſtellation der aͤu¬ ßern politiſchen Verhaͤltniſſe ſteigt, und gegenwaͤrtig iſt nicht zu verkennen, welches Intereſſe ein entſchie¬ denes Übergewicht behauptet, indeß hat im Allgemei¬ nen das Repraͤſentativſyſtem, gegenuͤber der Auto¬ kratie und Demokratie, eine ſchwer zu erſchuͤtternde Feſtigkeit erlangt, und welchen Entwicklungen es auch unterworfen ſeyn mag, ſeine Idee iſt dem Zeitalter gleichſam angetraut worden, es wuͤrde ſich ohne Ge¬ waltthat nicht mehr davon losreißen laſſen. In Deutſch¬ land behauptet das Syſtem insbeſondre eine allge¬ meine europaͤiſche Bedeutung. Es ſcheint mit dem Lande und Volke in einer geheimen Wahlverwandt¬ ſchaft zu ſtehn. Wie es gerade die Deutſchen ſind, bei welchen ſich die entgegengeſetzten politiſchen und religioͤſen Parteien die Wage halten, ſo liegt auch ihr Land in der Mitte jener Laͤnder, in welchen die eine oder andre Partei vorzugsweiſe herrſcht. Es ſcheint die Streitenden von einander zu halten und Europa auf gleiche Weiſe vor aſiatiſcher Deſpotie wie vor atlantiſcher Demokratie zu ſchuͤtzen, ſo wie es einſt die Alleinherrſchaft hier des Papſtes dort der Puritaner abgewendet hat. Deutſche Literatur. I. 11

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/251>, abgerufen am 30.04.2024.