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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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-- "Dann füllt", Erato lacht's mit blüh'ndem Mund,
Die schöne Schelmin, die das Liebeslied,
Das Zechlied für allein unsterblich hält,
"Dann füllt ein Jeder seine Schaale sich
Mit duft'gem Wein und schlürft und Keiner darbt" --
"Thörinnen!" gellt ein scharfgeschnittner Mund,
"Verspotte sie, mein Aristophanes! ...
Doch eure Kampfgesellin bin ich auch!
Ich morde lachend, was nicht sterben kann!
Im Angesicht den hippokrat'schen Zug
Zeig' ich der selbstgefäll'gen Gegenwart
Mit meinem Spiegel, der getreu verzerrt,
Die Prahlerei der Zeit zerreißt mein Hohn
In trunkner Lust, wie die Bacchante jach
Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt.
Mordlust'ger bin ich noch und tragischer
Als du, mein Schwesterchen Melpomene,
Denn du erhellest unter Zähren dich,
Doch mein Gelächter, Thränen schluchzen drin!"
Thalia rief's und unterm Epheukranz
Verlarvte mit der Satyrmaske sie
Die wehmuthvoll ergriffnen Züge sich
Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum.
Die letzte wandelt noch Urania,
Die Gläubige mit dem gehobnen Blick
(Die andern heißen sie die Schwärmerin),
Doch trennt sie sich von den Geschwistern nicht.
— „Dann füllt“, Erato lacht's mit blüh'ndem Mund,
Die ſchöne Schelmin, die das Liebeslied,
Das Zechlied für allein unſterblich hält,
„Dann füllt ein Jeder ſeine Schaale ſich
Mit duft'gem Wein und ſchlürft und Keiner darbt“ —
„Thörinnen!“ gellt ein ſcharfgeſchnittner Mund,
„Verſpotte ſie, mein Ariſtophanes! ...
Doch eure Kampfgeſellin bin ich auch!
Ich morde lachend, was nicht ſterben kann!
Im Angeſicht den hippokrat'ſchen Zug
Zeig' ich der ſelbſtgefäll'gen Gegenwart
Mit meinem Spiegel, der getreu verzerrt,
Die Prahlerei der Zeit zerreißt mein Hohn
In trunkner Luſt, wie die Bacchante jach
Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt.
Mordluſt'ger bin ich noch und tragiſcher
Als du, mein Schweſterchen Melpomene,
Denn du erhelleſt unter Zähren dich,
Doch mein Gelächter, Thränen ſchluchzen drin!“
Thalia rief's und unterm Epheukranz
Verlarvte mit der Satyrmaske ſie
Die wehmuthvoll ergriffnen Züge ſich
Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum.
Die letzte wandelt noch Urania,
Die Gläubige mit dem gehobnen Blick
(Die andern heißen ſie die Schwärmerin),
Doch trennt ſie ſich von den Geſchwiſtern nicht.
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[133/0147] — „Dann füllt“, Erato lacht's mit blüh'ndem Mund, Die ſchöne Schelmin, die das Liebeslied, Das Zechlied für allein unſterblich hält, „Dann füllt ein Jeder ſeine Schaale ſich Mit duft'gem Wein und ſchlürft und Keiner darbt“ — „Thörinnen!“ gellt ein ſcharfgeſchnittner Mund, „Verſpotte ſie, mein Ariſtophanes! ... Doch eure Kampfgeſellin bin ich auch! Ich morde lachend, was nicht ſterben kann! Im Angeſicht den hippokrat'ſchen Zug Zeig' ich der ſelbſtgefäll'gen Gegenwart Mit meinem Spiegel, der getreu verzerrt, Die Prahlerei der Zeit zerreißt mein Hohn In trunkner Luſt, wie die Bacchante jach Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt. Mordluſt'ger bin ich noch und tragiſcher Als du, mein Schweſterchen Melpomene, Denn du erhelleſt unter Zähren dich, Doch mein Gelächter, Thränen ſchluchzen drin!“ Thalia rief's und unterm Epheukranz Verlarvte mit der Satyrmaske ſie Die wehmuthvoll ergriffnen Züge ſich Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum. Die letzte wandelt noch Urania, Die Gläubige mit dem gehobnen Blick (Die andern heißen ſie die Schwärmerin), Doch trennt ſie ſich von den Geſchwiſtern nicht.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/147>, abgerufen am 29.04.2024.