Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Junge redet kunterbunt,
Als ob's im Kopf ihm fehle,
Dann öffnet er den großen Mund
Und singt aus voller Kehle:

"Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,
Stimmt Laudes an und Psalmen!
Und wenn's mir nicht vor Freude stirbt,
Bald weidet's unter Halmen!
Ich schwör' es Euch bei Gottes Haupt:
Es athmet duft'ge Weiden,
Es wittert Wälder dichtbelaubt
Und unermessne Haiden!
Erlauchte Herren, gebet Acht,
In meinem engen Räumchen
Hat unsre Meerfahrt mitgemacht
Ein andalusisch Heimchen --
Mitnahm ich's aus dem Vaterland,
Mich scheidend zu beschenken,
Ich fing's mit flinkem Griff der Hand
Zu einem Angedenken.
Da wir zu Schiffe stiegen dort,
Die Zierden aller Lande,
Zirpt' Heimchen mir im Busen fort,
Als weidet's noch am Strande.
Das grüne Vorgebirg verschwand,
Dem Heimchen ward es schaurig,
Beklommen saß es an der Wand
Und wurde faul und traurig.

Der Junge redet kunterbunt,
Als ob's im Kopf ihm fehle,
Dann öffnet er den großen Mund
Und ſingt aus voller Kehle:

„Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,
Stimmt Laudes an und Pſalmen!
Und wenn's mir nicht vor Freude ſtirbt,
Bald weidet's unter Halmen!
Ich ſchwör' es Euch bei Gottes Haupt:
Es athmet duft'ge Weiden,
Es wittert Wälder dichtbelaubt
Und unermeſſne Haiden!
Erlauchte Herren, gebet Acht,
In meinem engen Räumchen
Hat unſre Meerfahrt mitgemacht
Ein andaluſiſch Heimchen —
Mitnahm ich's aus dem Vaterland,
Mich ſcheidend zu beſchenken,
Ich fing's mit flinkem Griff der Hand
Zu einem Angedenken.
Da wir zu Schiffe ſtiegen dort,
Die Zierden aller Lande,
Zirpt' Heimchen mir im Buſen fort,
Als weidet's noch am Strande.
Das grüne Vorgebirg verſchwand,
Dem Heimchen ward es ſchaurig,
Beklommen ſaß es an der Wand
Und wurde faul und traurig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="7">
              <pb facs="#f0298" n="284"/>
              <l>Der Junge redet kunterbunt,</l><lb/>
              <l>Als ob's im Kopf ihm fehle,</l><lb/>
              <l>Dann öffnet er den großen Mund</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ingt aus voller Kehle:</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="8">
              <l>&#x201E;Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,</l><lb/>
              <l>Stimmt Laudes an und P&#x017F;almen!</l><lb/>
              <l>Und wenn's mir nicht vor Freude &#x017F;tirbt,</l><lb/>
              <l>Bald weidet's unter Halmen!</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;chwör' es Euch bei Gottes Haupt:</l><lb/>
              <l>Es athmet duft'ge Weiden,</l><lb/>
              <l>Es wittert Wälder dichtbelaubt</l><lb/>
              <l>Und unerme&#x017F;&#x017F;ne Haiden!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="9">
              <l>Erlauchte Herren, gebet Acht,</l><lb/>
              <l>In meinem engen Räumchen</l><lb/>
              <l>Hat un&#x017F;re Meerfahrt mitgemacht</l><lb/>
              <l>Ein andalu&#x017F;i&#x017F;ch Heimchen &#x2014;</l><lb/>
              <l>Mitnahm ich's aus dem Vaterland,</l><lb/>
              <l>Mich &#x017F;cheidend zu be&#x017F;chenken,</l><lb/>
              <l>Ich fing's mit flinkem Griff der Hand</l><lb/>
              <l>Zu einem Angedenken.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="10">
              <l>Da wir zu Schiffe &#x017F;tiegen dort,</l><lb/>
              <l>Die Zierden aller Lande,</l><lb/>
              <l>Zirpt' Heimchen mir im Bu&#x017F;en fort,</l><lb/>
              <l>Als weidet's noch am Strande.</l><lb/>
              <l>Das grüne Vorgebirg ver&#x017F;chwand,</l><lb/>
              <l>Dem Heimchen ward es &#x017F;chaurig,</l><lb/>
              <l>Beklommen &#x017F;aß es an der Wand</l><lb/>
              <l>Und wurde faul und traurig.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0298] Der Junge redet kunterbunt, Als ob's im Kopf ihm fehle, Dann öffnet er den großen Mund Und ſingt aus voller Kehle: „Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt, Stimmt Laudes an und Pſalmen! Und wenn's mir nicht vor Freude ſtirbt, Bald weidet's unter Halmen! Ich ſchwör' es Euch bei Gottes Haupt: Es athmet duft'ge Weiden, Es wittert Wälder dichtbelaubt Und unermeſſne Haiden! Erlauchte Herren, gebet Acht, In meinem engen Räumchen Hat unſre Meerfahrt mitgemacht Ein andaluſiſch Heimchen — Mitnahm ich's aus dem Vaterland, Mich ſcheidend zu beſchenken, Ich fing's mit flinkem Griff der Hand Zu einem Angedenken. Da wir zu Schiffe ſtiegen dort, Die Zierden aller Lande, Zirpt' Heimchen mir im Buſen fort, Als weidet's noch am Strande. Das grüne Vorgebirg verſchwand, Dem Heimchen ward es ſchaurig, Beklommen ſaß es an der Wand Und wurde faul und traurig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/298
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/298>, abgerufen am 29.04.2024.