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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Im Vordergrunde wurden eben an den Ringen
der Landungstreppe zwei mit zierlichem Schnitzwerke und
wallenden Federsträußen geschmückte Gondeln befestigt.
Zwölf junge Gondoliere und Pagen in Roth und Gold,
die Farben des Herzogs, gekleidet, blieben zur Hut der
Fahrzeuge auf dem von der Mauer grün beschatteten
Canale zurück und kürzten sich in den Gondeln mit
allerlei Scherz und Neckerei die Zeit. Die Herrschaften
waren ausgestiegen und hatten sich die Treppe hinauf
nach dem hellen Platze vor der Kirche begeben. Hier
standen sie noch, die Schönheit der Fassade bewundernd
und lebhaft besprechend.

Leicht zu erkennen an seinem vornehmen hagern
Wuchs und der würdevollen aber anmuthigen Haltung
war der mit calvinistischer Schlichtheit in dunkle Stoffe
gekleidete Herzog. Die schlanke Dame, die er führte,
war nach allen Seiten in beständiger Bewegung. Jetzt
neigte sie sich gefällig einem kurzen untersetzten Herrn
zu, der ihr mit einiger Gravität die gothische Archi¬
tektur des Doms zu erklären bestrebt war. Ein Ge¬
folge von jungen Edelleuten in militärischer Tracht hielt
sich in angemessener Entfernung und setzte mit franzö¬
sischer Lebendigkeit eine Unterhaltung fort, in der offen¬
bar die Maria gloriosa keine Rolle spielte. In ihrer
Mitte stolzirte der kleine kecke Wertmüller und schien,

Im Vordergrunde wurden eben an den Ringen
der Landungstreppe zwei mit zierlichem Schnitzwerke und
wallenden Federſträußen geſchmückte Gondeln befeſtigt.
Zwölf junge Gondoliere und Pagen in Roth und Gold,
die Farben des Herzogs, gekleidet, blieben zur Hut der
Fahrzeuge auf dem von der Mauer grün beſchatteten
Canale zurück und kürzten ſich in den Gondeln mit
allerlei Scherz und Neckerei die Zeit. Die Herrſchaften
waren ausgeſtiegen und hatten ſich die Treppe hinauf
nach dem hellen Platze vor der Kirche begeben. Hier
ſtanden ſie noch, die Schönheit der Faſſade bewundernd
und lebhaft beſprechend.

Leicht zu erkennen an ſeinem vornehmen hagern
Wuchs und der würdevollen aber anmuthigen Haltung
war der mit calviniſtiſcher Schlichtheit in dunkle Stoffe
gekleidete Herzog. Die ſchlanke Dame, die er führte,
war nach allen Seiten in beſtändiger Bewegung. Jetzt
neigte ſie ſich gefällig einem kurzen unterſetzten Herrn
zu, der ihr mit einiger Gravität die gothiſche Archi¬
tektur des Doms zu erklären beſtrebt war. Ein Ge¬
folge von jungen Edelleuten in militäriſcher Tracht hielt
ſich in angemeſſener Entfernung und ſetzte mit franzö¬
ſiſcher Lebendigkeit eine Unterhaltung fort, in der offen¬
bar die Maria glorioſa keine Rolle ſpielte. In ihrer
Mitte ſtolzirte der kleine kecke Wertmüller und ſchien,

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[136/0146] Im Vordergrunde wurden eben an den Ringen der Landungstreppe zwei mit zierlichem Schnitzwerke und wallenden Federſträußen geſchmückte Gondeln befeſtigt. Zwölf junge Gondoliere und Pagen in Roth und Gold, die Farben des Herzogs, gekleidet, blieben zur Hut der Fahrzeuge auf dem von der Mauer grün beſchatteten Canale zurück und kürzten ſich in den Gondeln mit allerlei Scherz und Neckerei die Zeit. Die Herrſchaften waren ausgeſtiegen und hatten ſich die Treppe hinauf nach dem hellen Platze vor der Kirche begeben. Hier ſtanden ſie noch, die Schönheit der Faſſade bewundernd und lebhaft beſprechend. Leicht zu erkennen an ſeinem vornehmen hagern Wuchs und der würdevollen aber anmuthigen Haltung war der mit calviniſtiſcher Schlichtheit in dunkle Stoffe gekleidete Herzog. Die ſchlanke Dame, die er führte, war nach allen Seiten in beſtändiger Bewegung. Jetzt neigte ſie ſich gefällig einem kurzen unterſetzten Herrn zu, der ihr mit einiger Gravität die gothiſche Archi¬ tektur des Doms zu erklären beſtrebt war. Ein Ge¬ folge von jungen Edelleuten in militäriſcher Tracht hielt ſich in angemeſſener Entfernung und ſetzte mit franzö¬ ſiſcher Lebendigkeit eine Unterhaltung fort, in der offen¬ bar die Maria glorioſa keine Rolle ſpielte. In ihrer Mitte ſtolzirte der kleine kecke Wertmüller und ſchien,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/146>, abgerufen am 02.05.2024.