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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Schimmer der Dämmerung kämpfte. Die zwei Flämm¬
chen bewegten sich in einem von zerbrochenen Fenster¬
scheiben eingelassenen Luftzuge, der sie auszulöschen
drohte, und tanzende Schatten trieben auf dem Altare
ein seltsames Spiel. Der streichende Wind bewegte
zuweilen mit leisem Geknatter die schwach schimmernden
Falten der Altardecke. Erregte Sinne mochten wohl
das weiße Gewand eines Knieenden auf den Stufen
erblicken.

Jenatsch stieß im Mittelgange mit seinem Freunde
vor, von den einen, in Verzückung Versunkenen, kaum
bemerkt, von den Andern mit bösen, feindlichen Blicken
und leisen Verwünschungen verfolgt, aber von Keinem
zurückgehalten. Jetzt stand der athletische Mann, Allen
sichtbar, dem Altare gegenüber; aber vor diesem hatte
sich auch schon eine Anzahl unheimlich drohender Ge¬
sellen wie eine Schutzwehr gegen Heiligenschändung
zusammengedrängt. Waser glaubte blinkende Dolche zu
erblicken.

"Was ist das für ein unchristlicher Zauber!" rief
Jenatsch mit schallender Stimme. "Laßt mich zu, daß
ich ihn breche!" --

"Sacrilegium!" murrte es aus der dichten Reihe
der Veltliner, die einen Ring um den Bündner zu
schließen begann. Zwei griffen nach seiner vorgestreckten

Schimmer der Dämmerung kämpfte. Die zwei Flämm¬
chen bewegten ſich in einem von zerbrochenen Fenſter¬
ſcheiben eingelaſſenen Luftzuge, der ſie auszulöſchen
drohte, und tanzende Schatten trieben auf dem Altare
ein ſeltſames Spiel. Der ſtreichende Wind bewegte
zuweilen mit leiſem Geknatter die ſchwach ſchimmernden
Falten der Altardecke. Erregte Sinne mochten wohl
das weiße Gewand eines Knieenden auf den Stufen
erblicken.

Jenatſch ſtieß im Mittelgange mit ſeinem Freunde
vor, von den einen, in Verzückung Verſunkenen, kaum
bemerkt, von den Andern mit böſen, feindlichen Blicken
und leiſen Verwünſchungen verfolgt, aber von Keinem
zurückgehalten. Jetzt ſtand der athletiſche Mann, Allen
ſichtbar, dem Altare gegenüber; aber vor dieſem hatte
ſich auch ſchon eine Anzahl unheimlich drohender Ge¬
ſellen wie eine Schutzwehr gegen Heiligenſchändung
zuſammengedrängt. Waſer glaubte blinkende Dolche zu
erblicken.

„Was iſt das für ein unchriſtlicher Zauber!“ rief
Jenatſch mit ſchallender Stimme. „Laßt mich zu, daß
ich ihn breche!“ —

„Sacrilegium!“ murrte es aus der dichten Reihe
der Veltliner, die einen Ring um den Bündner zu
ſchließen begann. Zwei griffen nach ſeiner vorgeſtreckten

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[57/0067] Schimmer der Dämmerung kämpfte. Die zwei Flämm¬ chen bewegten ſich in einem von zerbrochenen Fenſter¬ ſcheiben eingelaſſenen Luftzuge, der ſie auszulöſchen drohte, und tanzende Schatten trieben auf dem Altare ein ſeltſames Spiel. Der ſtreichende Wind bewegte zuweilen mit leiſem Geknatter die ſchwach ſchimmernden Falten der Altardecke. Erregte Sinne mochten wohl das weiße Gewand eines Knieenden auf den Stufen erblicken. Jenatſch ſtieß im Mittelgange mit ſeinem Freunde vor, von den einen, in Verzückung Verſunkenen, kaum bemerkt, von den Andern mit böſen, feindlichen Blicken und leiſen Verwünſchungen verfolgt, aber von Keinem zurückgehalten. Jetzt ſtand der athletiſche Mann, Allen ſichtbar, dem Altare gegenüber; aber vor dieſem hatte ſich auch ſchon eine Anzahl unheimlich drohender Ge¬ ſellen wie eine Schutzwehr gegen Heiligenſchändung zuſammengedrängt. Waſer glaubte blinkende Dolche zu erblicken. „Was iſt das für ein unchriſtlicher Zauber!“ rief Jenatſch mit ſchallender Stimme. „Laßt mich zu, daß ich ihn breche!“ — „Sacrilegium!“ murrte es aus der dichten Reihe der Veltliner, die einen Ring um den Bündner zu ſchließen begann. Zwei griffen nach ſeiner vorgeſtreckten

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/67>, abgerufen am 29.04.2024.