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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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sich nicht eingemischt; aber der Eindruck auf Beide sei
der gewiesen, daß sie sich besser mieden. Als der erste
Volkssturm gegen die Planta sich erhoben, habe er von
der Kanzel abgewarnt, denn er sei damals noch der
Meinung gewesen, ein Geistlicher müsse seine Hände
von der Politik rein halten; als aber das Staatsruder
bei wachsender Gefahr keinen muthigen Steuermann
gefunden, habe ihn das Mitleid mit seinem Volke über¬
wältigt. Das Strafgericht von Thusis, das er für
eine blutige Nothwendigkeit gehalten, habe er allerdings
mit einsetzen helfen und ihm sein Tagewerk angewiesen.
Die Verurtheilung der Planta dagegen, deren Praktiken
übrigens landeskundig gewesen, habe er weder begünstigt
noch verhindert, sie sei wie ein einstimmiger Schrei aus
dem Volke hervorgegangen.

So wendete das Gespräch sich völlig der Politik
zu, obwohl Waser zuerst sich bestrebte, es auf den per¬
sönlichen Verhältnissen seines Freundes festzuhalten;
aber er wurde überwältigt und hingerissen durch das
Ungestüm, mit dem Jürg die den Zürcher höchlich
interessirenden und von ihm gründlich erwogenen
Probleme europäischer Staatskunst anfaßte; er wurde
erschreckt und aufgeregt durch die Frechheit, mit der
Jürg die harten Knoten rücksichtslos zerhieb, deren
behutsame Lösung Waser als die höchste Aufgabe und

ſich nicht eingemiſcht; aber der Eindruck auf Beide ſei
der gewieſen, daß ſie ſich beſſer mieden. Als der erſte
Volksſturm gegen die Planta ſich erhoben, habe er von
der Kanzel abgewarnt, denn er ſei damals noch der
Meinung geweſen, ein Geiſtlicher müſſe ſeine Hände
von der Politik rein halten; als aber das Staatsruder
bei wachſender Gefahr keinen muthigen Steuermann
gefunden, habe ihn das Mitleid mit ſeinem Volke über¬
wältigt. Das Strafgericht von Thuſis, das er für
eine blutige Nothwendigkeit gehalten, habe er allerdings
mit einſetzen helfen und ihm ſein Tagewerk angewieſen.
Die Verurtheilung der Planta dagegen, deren Praktiken
übrigens landeskundig geweſen, habe er weder begünſtigt
noch verhindert, ſie ſei wie ein einſtimmiger Schrei aus
dem Volke hervorgegangen.

So wendete das Geſpräch ſich völlig der Politik
zu, obwohl Waſer zuerſt ſich beſtrebte, es auf den per¬
ſönlichen Verhältniſſen ſeines Freundes feſtzuhalten;
aber er wurde überwältigt und hingeriſſen durch das
Ungeſtüm, mit dem Jürg die den Zürcher höchlich
intereſſirenden und von ihm gründlich erwogenen
Probleme europäiſcher Staatskunſt anfaßte; er wurde
erſchreckt und aufgeregt durch die Frechheit, mit der
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[68/0078] ſich nicht eingemiſcht; aber der Eindruck auf Beide ſei der gewieſen, daß ſie ſich beſſer mieden. Als der erſte Volksſturm gegen die Planta ſich erhoben, habe er von der Kanzel abgewarnt, denn er ſei damals noch der Meinung geweſen, ein Geiſtlicher müſſe ſeine Hände von der Politik rein halten; als aber das Staatsruder bei wachſender Gefahr keinen muthigen Steuermann gefunden, habe ihn das Mitleid mit ſeinem Volke über¬ wältigt. Das Strafgericht von Thuſis, das er für eine blutige Nothwendigkeit gehalten, habe er allerdings mit einſetzen helfen und ihm ſein Tagewerk angewieſen. Die Verurtheilung der Planta dagegen, deren Praktiken übrigens landeskundig geweſen, habe er weder begünſtigt noch verhindert, ſie ſei wie ein einſtimmiger Schrei aus dem Volke hervorgegangen. So wendete das Geſpräch ſich völlig der Politik zu, obwohl Waſer zuerſt ſich beſtrebte, es auf den per¬ ſönlichen Verhältniſſen ſeines Freundes feſtzuhalten; aber er wurde überwältigt und hingeriſſen durch das Ungeſtüm, mit dem Jürg die den Zürcher höchlich intereſſirenden und von ihm gründlich erwogenen Probleme europäiſcher Staatskunſt anfaßte; er wurde erſchreckt und aufgeregt durch die Frechheit, mit der Jürg die harten Knoten rückſichtslos zerhieb, deren behutſame Löſung Waſer als die höchſte Aufgabe und

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/78>, abgerufen am 29.04.2024.