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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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eignet, den Humor des Alten zu verbessern und sein Gesicht aufzuklären; der Sohn fand für gut, das entscheidende Gespräch noch weiter zu vertagen und in jeder Beziehung erst gutes Wetter eintreten zu lassen.

So verging beinahe eine Woche, in der unsere Geschichte um keinen Schritt vorwärts rückte. Tobias sah weder die Bäbe noch die Sibylle, und Bekannte, die ihm begegneten, verriethen lange nicht mehr das Interesse der sonntäglichen Schadenfreude, sondern gingen meist theilnahmslos an ihm vorüber. Die Ruhe seines resignirten Herzens wurde durch nichts gestört als an einem der letzten Tage durch eine Begegnung der Pfarrleute. Diese kamen mit einander, ohne daß seine Seele daran dachte, hinter einer Hausecke hervor, und der überraschende Anblick versetzte den Unvorbereiteten in eine Aufregung, die ihn fast ganz aus der Fassung brachte. Auszuweichen und zu thun, als ob er sie nicht sähe, war unmöglich; er mußte ihnen entgegen- und an ihnen vorübergehen. Nach einem flüchtigen Blick in das Gesicht der Pfarrerin, dessen Ernst ihm nichts Gutes anzukündigen schien, zog er die Kappe und legte in Ton und Geberde des Grußes die demüthigste Verehrung zur Schau, während der Tumult seines Herzens den höchsten Grad erreichte. -- Zehn Schritte weiter erkannte er, was ihm trotz aller Vorsätze wieder begegnet war. Er sagte zu sich: Hilft also gar nichts an mir? Traurig schüttelte er den Kopf.

Am Samstag, bei lebhaftem Nordost, trennten sich

eignet, den Humor des Alten zu verbessern und sein Gesicht aufzuklären; der Sohn fand für gut, das entscheidende Gespräch noch weiter zu vertagen und in jeder Beziehung erst gutes Wetter eintreten zu lassen.

So verging beinahe eine Woche, in der unsere Geschichte um keinen Schritt vorwärts rückte. Tobias sah weder die Bäbe noch die Sibylle, und Bekannte, die ihm begegneten, verriethen lange nicht mehr das Interesse der sonntäglichen Schadenfreude, sondern gingen meist theilnahmslos an ihm vorüber. Die Ruhe seines resignirten Herzens wurde durch nichts gestört als an einem der letzten Tage durch eine Begegnung der Pfarrleute. Diese kamen mit einander, ohne daß seine Seele daran dachte, hinter einer Hausecke hervor, und der überraschende Anblick versetzte den Unvorbereiteten in eine Aufregung, die ihn fast ganz aus der Fassung brachte. Auszuweichen und zu thun, als ob er sie nicht sähe, war unmöglich; er mußte ihnen entgegen- und an ihnen vorübergehen. Nach einem flüchtigen Blick in das Gesicht der Pfarrerin, dessen Ernst ihm nichts Gutes anzukündigen schien, zog er die Kappe und legte in Ton und Geberde des Grußes die demüthigste Verehrung zur Schau, während der Tumult seines Herzens den höchsten Grad erreichte. — Zehn Schritte weiter erkannte er, was ihm trotz aller Vorsätze wieder begegnet war. Er sagte zu sich: Hilft also gar nichts an mir? Traurig schüttelte er den Kopf.

Am Samstag, bei lebhaftem Nordost, trennten sich

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[0156] eignet, den Humor des Alten zu verbessern und sein Gesicht aufzuklären; der Sohn fand für gut, das entscheidende Gespräch noch weiter zu vertagen und in jeder Beziehung erst gutes Wetter eintreten zu lassen. So verging beinahe eine Woche, in der unsere Geschichte um keinen Schritt vorwärts rückte. Tobias sah weder die Bäbe noch die Sibylle, und Bekannte, die ihm begegneten, verriethen lange nicht mehr das Interesse der sonntäglichen Schadenfreude, sondern gingen meist theilnahmslos an ihm vorüber. Die Ruhe seines resignirten Herzens wurde durch nichts gestört als an einem der letzten Tage durch eine Begegnung der Pfarrleute. Diese kamen mit einander, ohne daß seine Seele daran dachte, hinter einer Hausecke hervor, und der überraschende Anblick versetzte den Unvorbereiteten in eine Aufregung, die ihn fast ganz aus der Fassung brachte. Auszuweichen und zu thun, als ob er sie nicht sähe, war unmöglich; er mußte ihnen entgegen- und an ihnen vorübergehen. Nach einem flüchtigen Blick in das Gesicht der Pfarrerin, dessen Ernst ihm nichts Gutes anzukündigen schien, zog er die Kappe und legte in Ton und Geberde des Grußes die demüthigste Verehrung zur Schau, während der Tumult seines Herzens den höchsten Grad erreichte. — Zehn Schritte weiter erkannte er, was ihm trotz aller Vorsätze wieder begegnet war. Er sagte zu sich: Hilft also gar nichts an mir? Traurig schüttelte er den Kopf. Am Samstag, bei lebhaftem Nordost, trennten sich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/156>, abgerufen am 19.05.2024.