VI. Vierspänniges Trara -- Fürsten und Große -- Paris und London.
daß gewisse (noch näher zu erörternde) Bedürfnisse und Wünsche verwöhnter und kränklicher Gäste ihnen bekannt und berücksichtigt seien.
Fürsten und Großen wird oft Undankbarkeit vorgeworfen. Für wichtige Dienste, die nicht zu bezahlen sind, mag das oft zutreffen, nicht aber für kleine Aufmerksamkeiten, gute Be- dienung und Bewirthung: -- Kammerdiener und Köche be- klagen sich nie über Undankbarkeit ihrer Herren.
Viele angesehene Gasthalter sind als Köche oder Kellner in Paris und London gewesen, der hohen Schule des Wohllebens, versäumen auch nie, davon zu sprechen, aus ihren Werken geht aber nicht hervor, daß sie den rechten Nutzen daraus gezogen; sie würden sonst Manches gelernt haben, das ihnen ersprießlicher wäre, als alle mitgebrachten Vocabeln, Manieren und Allüren. So z. B. würden sie bemerkt haben, daß gerade von der Classe, nach welcher ihr Sinnen und Trachten steht, Hotels von mäßiger Größe bevor- zugt werden, daß es auch selten Häuser von colossalem Umfang sind, die "das beste Geschäft" machen und ihre Unternehmer bereichern, schon darum, weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu beaufsichtigen ist, viel verdirbt, verschleudert, weil Ein Koch nicht viele Dutzende von Gästen vollkommen be- friedigen kann und mehre Köche in Einer Küche nicht taugen. Sie würden ferner bemerkt haben, daß solche "Herrschaften" nicht auf Masse und Benennung der Speisen, sondern auf ihre Vorzüglichkeit und gute Zusammenstellung Werth legen, denn zu wohl ist ihnen bekannt, daß hochklingende Namen und Titel nicht immer von entsprechenden Verdiensten be- gleitet sind. So entgeht auch der Kritik derartiger Gäste nicht leicht die Beschaffenheit des Trinkwassers, des Brodes, der Kartoffeln, während unverständige deutsche Wirthe sich hoch erhaben dünken über solchen gemeinen Dingen, auch als Pflicht der Nächstenliebe es ansehen, daß das Brod vom nächsten Bäcker geholt werde, anstatt vom besten.
Wasser und Brod nebst Salz sind Lebensbedürfnisse,
VI. Vierſpänniges Trara — Fürſten und Große — Paris und London.
daß gewiſſe (noch näher zu erörternde) Bedürfniſſe und Wünſche verwöhnter und kränklicher Gäſte ihnen bekannt und berückſichtigt ſeien.
Fürſten und Großen wird oft Undankbarkeit vorgeworfen. Für wichtige Dienſte, die nicht zu bezahlen ſind, mag das oft zutreffen, nicht aber für kleine Aufmerkſamkeiten, gute Be- dienung und Bewirthung: — Kammerdiener und Köche be- klagen ſich nie über Undankbarkeit ihrer Herren.
Viele angeſehene Gaſthalter ſind als Köche oder Kellner in Paris und London geweſen, der hohen Schule des Wohllebens, verſäumen auch nie, davon zu ſprechen, aus ihren Werken geht aber nicht hervor, daß ſie den rechten Nutzen daraus gezogen; ſie würden ſonſt Manches gelernt haben, das ihnen erſprießlicher wäre, als alle mitgebrachten Vocabeln, Manieren und Allüren. So z. B. würden ſie bemerkt haben, daß gerade von der Claſſe, nach welcher ihr Sinnen und Trachten ſteht, Hôtels von mäßiger Größe bevor- zugt werden, daß es auch ſelten Häuſer von coloſſalem Umfang ſind, die „das beſte Geſchäft“ machen und ihre Unternehmer bereichern, ſchon darum, weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu beaufſichtigen iſt, viel verdirbt, verſchleudert, weil Ein Koch nicht viele Dutzende von Gäſten vollkommen be- friedigen kann und mehre Köche in Einer Küche nicht taugen. Sie würden ferner bemerkt haben, daß ſolche „Herrſchaften“ nicht auf Maſſe und Benennung der Speiſen, ſondern auf ihre Vorzüglichkeit und gute Zuſammenſtellung Werth legen, denn zu wohl iſt ihnen bekannt, daß hochklingende Namen und Titel nicht immer von entſprechenden Verdienſten be- gleitet ſind. So entgeht auch der Kritik derartiger Gäſte nicht leicht die Beſchaffenheit des Trinkwaſſers, des Brodes, der Kartoffeln, während unverſtändige deutſche Wirthe ſich hoch erhaben dünken über ſolchen gemeinen Dingen, auch als Pflicht der Nächſtenliebe es anſehen, daß das Brod vom nächſten Bäcker geholt werde, anſtatt vom beſten.
Waſſer und Brod nebſt Salz ſind Lebensbedürfniſſe,
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VI. Vierſpänniges Trara — Fürſten und Große — Paris und London.
daß gewiſſe (noch näher zu erörternde) Bedürfniſſe und
Wünſche verwöhnter und kränklicher Gäſte ihnen bekannt
und berückſichtigt ſeien.
Fürſten und Großen wird oft Undankbarkeit vorgeworfen.
Für wichtige Dienſte, die nicht zu bezahlen ſind, mag das oft
zutreffen, nicht aber für kleine Aufmerkſamkeiten, gute Be-
dienung und Bewirthung: — Kammerdiener und Köche be-
klagen ſich nie über Undankbarkeit ihrer Herren.
Viele angeſehene Gaſthalter ſind als Köche oder Kellner
in Paris und London geweſen, der hohen Schule des
Wohllebens, verſäumen auch nie, davon zu ſprechen, aus
ihren Werken geht aber nicht hervor, daß ſie den rechten
Nutzen daraus gezogen; ſie würden ſonſt Manches gelernt
haben, das ihnen erſprießlicher wäre, als alle mitgebrachten
Vocabeln, Manieren und Allüren. So z. B. würden ſie
bemerkt haben, daß gerade von der Claſſe, nach welcher ihr
Sinnen und Trachten ſteht, Hôtels von mäßiger Größe bevor-
zugt werden, daß es auch ſelten Häuſer von coloſſalem Umfang
ſind, die „das beſte Geſchäft“ machen und ihre Unternehmer
bereichern, ſchon darum, weil ein Heer von Kellnern nicht
recht zu beaufſichtigen iſt, viel verdirbt, verſchleudert, weil
Ein Koch nicht viele Dutzende von Gäſten vollkommen be-
friedigen kann und mehre Köche in Einer Küche nicht taugen.
Sie würden ferner bemerkt haben, daß ſolche „Herrſchaften“
nicht auf Maſſe und Benennung der Speiſen, ſondern auf
ihre Vorzüglichkeit und gute Zuſammenſtellung Werth legen,
denn zu wohl iſt ihnen bekannt, daß hochklingende Namen
und Titel nicht immer von entſprechenden Verdienſten be-
gleitet ſind. So entgeht auch der Kritik derartiger Gäſte nicht
leicht die Beſchaffenheit des Trinkwaſſers, des Brodes, der
Kartoffeln, während unverſtändige deutſche Wirthe ſich hoch
erhaben dünken über ſolchen gemeinen Dingen, auch als
Pflicht der Nächſtenliebe es anſehen, daß das Brod vom
nächſten Bäcker geholt werde, anſtatt vom beſten.
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/185>, abgerufen am 16.06.2024.
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