Ein anderer Wirthswahn ist, daß alle Begehungs- und Unterlassungssünden der Küche gesühnt würden, wenn zu- weilen kostspielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge, Turbot, Haselhuhn, Schneehuhn, Fasan, Artischocken, stäm- miger Spargel, Schildkrötensuppe, Ananasgefrorenes u. dgl. auf dem Tisch erscheinen, während doch durch Außergewöhn- liches nur Dilettanten sich bestechen lassen, der Beifall des Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn sie in Stoff und Bereitung nichts wünschen lassen: das Fleisch mürbe und saftig, Suppen und Saucen kräftig und schmackhaft, nicht lang und dünn sind, die verwendete Butter frisch, Salat mit feinem Oel und Weinessig kunstgerecht be- netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Essig versenkt ist, u. s. w. In den besseren Hotels ist alles das längst erkannt und die Besitzer haben sich den Ansprüchen der Reise- welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geschlossen und gefunden, daß sie sich gut dabei stehen. Ich kann deshalb nicht einstimmen in die Klage einzelner Schriftsteller, daß die meisten anspruchsvolleren Gasthöfe der verschiedenen Länder "uniformirt" sind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller Ursprünglichkeit kennen lernen will, darf sie nicht im Hotel suchen, welches seiner Natur nach kosmopolitisch ist. Berech- tigt erscheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit der Küche eine mit französischen Namen und Bereitungs- finessen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüsseln auf Augenblendwerk angelegte Armseligkeit der Substanz getreten ist.
Hoffen wir, daß Vieles nun bald besser werde durch die fleißig abgehaltenen Wirthscongresse, denn in allem Geschäfts- verkehr gilt ja der Grundsatz, daß auf die Dauer kein Theil sich wohl steht, wenn er nicht auch auf den anderen billige Rücksicht nimmt. Wollen die Herren nicht in's eigene Fleisch schneiden, so dürfen sie z. B. im Zuschnitt von Fleisch und
VI. Augenblendwerk — Wirthscongreſſe.
Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs- und Unterlaſſungsſünden der Küche geſühnt würden, wenn zu- weilen koſtſpielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge, Turbot, Haſelhuhn, Schneehuhn, Faſan, Artiſchocken, ſtäm- miger Spargel, Schildkrötenſuppe, Ananasgefrorenes u. dgl. auf dem Tiſch erſcheinen, während doch durch Außergewöhn- liches nur Dilettanten ſich beſtechen laſſen, der Beifall des Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn ſie in Stoff und Bereitung nichts wünſchen laſſen: das Fleiſch mürbe und ſaftig, Suppen und Saucen kräftig und ſchmackhaft, nicht lang und dünn ſind, die verwendete Butter friſch, Salat mit feinem Oel und Weineſſig kunſtgerecht be- netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Eſſig verſenkt iſt, u. ſ. w. In den beſſeren Hôtels iſt alles das längſt erkannt und die Beſitzer haben ſich den Anſprüchen der Reiſe- welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geſchloſſen und gefunden, daß ſie ſich gut dabei ſtehen. Ich kann deshalb nicht einſtimmen in die Klage einzelner Schriftſteller, daß die meiſten anſpruchsvolleren Gaſthöfe der verſchiedenen Länder „uniformirt“ ſind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller Urſprünglichkeit kennen lernen will, darf ſie nicht im Hôtel ſuchen, welches ſeiner Natur nach kosmopolitiſch iſt. Berech- tigt erſcheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit der Küche eine mit franzöſiſchen Namen und Bereitungs- fineſſen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüſſeln auf Augenblendwerk angelegte Armſeligkeit der Subſtanz getreten iſt.
Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die fleißig abgehaltenen Wirthscongreſſe, denn in allem Geſchäfts- verkehr gilt ja der Grundſatz, daß auf die Dauer kein Theil ſich wohl ſteht, wenn er nicht auch auf den anderen billige Rückſicht nimmt. Wollen die Herren nicht in’s eigene Fleiſch ſchneiden, ſo dürfen ſie z. B. im Zuſchnitt von Fleiſch und
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Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs- und
Unterlaſſungsſünden der Küche geſühnt würden, wenn zu-
weilen koſtſpielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge,
Turbot, Haſelhuhn, Schneehuhn, Faſan, Artiſchocken, ſtäm-
miger Spargel, Schildkrötenſuppe, Ananasgefrorenes u. dgl.
auf dem Tiſch erſcheinen, während doch durch Außergewöhn-
liches nur Dilettanten ſich beſtechen laſſen, der Beifall des
Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn
ſie in Stoff und Bereitung nichts wünſchen laſſen: das
Fleiſch mürbe und ſaftig, Suppen und Saucen kräftig und
ſchmackhaft, nicht lang und dünn ſind, die verwendete Butter
friſch, Salat mit feinem Oel und Weineſſig kunſtgerecht be-
netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Eſſig verſenkt
iſt, u. ſ. w. In den beſſeren Hôtels iſt alles das längſt
erkannt und die Beſitzer haben ſich den Anſprüchen der Reiſe-
welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geſchloſſen
und gefunden, daß ſie ſich gut dabei ſtehen. Ich kann deshalb
nicht einſtimmen in die Klage einzelner Schriftſteller, daß die
meiſten anſpruchsvolleren Gaſthöfe der verſchiedenen Länder
„uniformirt“ ſind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller
Urſprünglichkeit kennen lernen will, darf ſie nicht im Hôtel
ſuchen, welches ſeiner Natur nach kosmopolitiſch iſt. Berech-
tigt erſcheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu
oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit
der Küche eine mit franzöſiſchen Namen und Bereitungs-
fineſſen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüſſeln
auf Augenblendwerk angelegte Armſeligkeit
der Subſtanz getreten iſt.
Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die
fleißig abgehaltenen Wirthscongreſſe, denn in allem Geſchäfts-
verkehr gilt ja der Grundſatz, daß auf die Dauer kein Theil
ſich wohl ſteht, wenn er nicht auch auf den anderen billige
Rückſicht nimmt. Wollen die Herren nicht in’s eigene Fleiſch
ſchneiden, ſo dürfen ſie z. B. im Zuſchnitt von Fleiſch und
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/189>, abgerufen am 18.06.2024.
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