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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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gnügen, und das stille Landleben angenehm und
abwechselnd zu machen. Sie war mehr seine
Freundinn, als seine Tochter: denn er zog sie bey
allen wichtigen Veränderungen in der Haushaltung
zu Rath, weil er wuste, daß er sich auf ihre Ein-
sichten verlassen konnte. Sie ehrte und liebte ihn
über alles; Jn trüben Stunden suchte sie ihn zu
erheitern, und spielte ihm auf dem Klavier vor.
Kurz, sie war die Freude und Stütze seines Alters.

Auch jetzt gieng sie ihm, an der Hand ihres
lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren
Vater und Bruder wieder zu sehen, funkelte ihr
aus den Augen. Sie erzälte erst, was während
seiner Abwesenheit zu Hause vorgefallen sey; und
fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloster
gefallen habe? Dieser konnte nun des Redens
kaum ein Ende finden, wie es ihm da so wohl ge-
gangen sey: was für Ehre er genossen, was für
Leute er da kennen lernen, und was er sonst alle
schönes gesehen und gehört habe. Endlich sagte er,
es sey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloster
gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der
Stadt in die Piaristenschule kommen werde.

Die Schwester erschrack anfangs, und that,
als ob sies nicht glauben könnte; aber Xaver be-



gnuͤgen, und das ſtille Landleben angenehm und
abwechſelnd zu machen. Sie war mehr ſeine
Freundinn, als ſeine Tochter: denn er zog ſie bey
allen wichtigen Veraͤnderungen in der Haushaltung
zu Rath, weil er wuſte, daß er ſich auf ihre Ein-
ſichten verlaſſen konnte. Sie ehrte und liebte ihn
uͤber alles; Jn truͤben Stunden ſuchte ſie ihn zu
erheitern, und ſpielte ihm auf dem Klavier vor.
Kurz, ſie war die Freude und Stuͤtze ſeines Alters.

Auch jetzt gieng ſie ihm, an der Hand ihres
lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren
Vater und Bruder wieder zu ſehen, funkelte ihr
aus den Augen. Sie erzaͤlte erſt, was waͤhrend
ſeiner Abweſenheit zu Hauſe vorgefallen ſey; und
fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloſter
gefallen habe? Dieſer konnte nun des Redens
kaum ein Ende finden, wie es ihm da ſo wohl ge-
gangen ſey: was fuͤr Ehre er genoſſen, was fuͤr
Leute er da kennen lernen, und was er ſonſt alle
ſchoͤnes geſehen und gehoͤrt habe. Endlich ſagte er,
es ſey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloſter
gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der
Stadt in die Piariſtenſchule kommen werde.

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[119/0123] gnuͤgen, und das ſtille Landleben angenehm und abwechſelnd zu machen. Sie war mehr ſeine Freundinn, als ſeine Tochter: denn er zog ſie bey allen wichtigen Veraͤnderungen in der Haushaltung zu Rath, weil er wuſte, daß er ſich auf ihre Ein- ſichten verlaſſen konnte. Sie ehrte und liebte ihn uͤber alles; Jn truͤben Stunden ſuchte ſie ihn zu erheitern, und ſpielte ihm auf dem Klavier vor. Kurz, ſie war die Freude und Stuͤtze ſeines Alters. Auch jetzt gieng ſie ihm, an der Hand ihres lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren Vater und Bruder wieder zu ſehen, funkelte ihr aus den Augen. Sie erzaͤlte erſt, was waͤhrend ſeiner Abweſenheit zu Hauſe vorgefallen ſey; und fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloſter gefallen habe? Dieſer konnte nun des Redens kaum ein Ende finden, wie es ihm da ſo wohl ge- gangen ſey: was fuͤr Ehre er genoſſen, was fuͤr Leute er da kennen lernen, und was er ſonſt alle ſchoͤnes geſehen und gehoͤrt habe. Endlich ſagte er, es ſey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloſter gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der Stadt in die Piariſtenſchule kommen werde. Die Schweſter erſchrack anfangs, und that, als ob ſies nicht glauben koͤnnte; aber Xaver be-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/123>, abgerufen am 30.04.2024.