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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ließ er seinen Thränen freyen Lauf, lief im Zim-
mer auf und ab, und rang die Hände. Was soll
ich thun? war sein einziger Gedanke. Noch un-
entschlossen warf er sich auf seinen Stuhl, und
da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in
die Augen. Auf einmal war seine ganze Seele im
Kloster; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da so
sehr gerührt hatte. Er sah den P. Anton vor
sich. Was wird der alte Mann sagen, dachte er,
wenn du so bald wieder wankelmütig würdest? Wie
würd' er sich betrüben? Auf einmal wäre seine
Freundschaft und Liebe hin! -- Solche, und ähn-
liche Gedanken stiegen schnell und unvollendet in
ihm auf. -- -- Nein, ich kann nicht anders!
Muß ins Kloster! rief er laut, und sprang von
seinem Stuhl auf. Seine Seele fühlte sich bey
diesem Entschluß wieder ruhiger, die angenehmen
Vorstellungen vom Klosterleben stellten sich ihm
wieder dar, und machten ihn alles andre verges-
sen. -- -- Das will ich thun, dachte er, und
das kann ich auch; ich will meiner Schwester ver-
sprechen, alles wohl zu überlegen, und vor ein paar
Jahren keinen gänzlichen Entschluß zu fassen.
Find ich, daß sie in ihren Besorgnissen Recht hat,
dann kann ich immer noch ein Weltgeistlicher wer-



ließ er ſeinen Thraͤnen freyen Lauf, lief im Zim-
mer auf und ab, und rang die Haͤnde. Was ſoll
ich thun? war ſein einziger Gedanke. Noch un-
entſchloſſen warf er ſich auf ſeinen Stuhl, und
da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in
die Augen. Auf einmal war ſeine ganze Seele im
Kloſter; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da ſo
ſehr geruͤhrt hatte. Er ſah den P. Anton vor
ſich. Was wird der alte Mann ſagen, dachte er,
wenn du ſo bald wieder wankelmuͤtig wuͤrdeſt? Wie
wuͤrd’ er ſich betruͤben? Auf einmal waͤre ſeine
Freundſchaft und Liebe hin! — Solche, und aͤhn-
liche Gedanken ſtiegen ſchnell und unvollendet in
ihm auf. — — Nein, ich kann nicht anders!
Muß ins Kloſter! rief er laut, und ſprang von
ſeinem Stuhl auf. Seine Seele fuͤhlte ſich bey
dieſem Entſchluß wieder ruhiger, die angenehmen
Vorſtellungen vom Kloſterleben ſtellten ſich ihm
wieder dar, und machten ihn alles andre vergeſ-
ſen. — — Das will ich thun, dachte er, und
das kann ich auch; ich will meiner Schweſter ver-
ſprechen, alles wohl zu uͤberlegen, und vor ein paar
Jahren keinen gaͤnzlichen Entſchluß zu faſſen.
Find ich, daß ſie in ihren Beſorgniſſen Recht hat,
dann kann ich immer noch ein Weltgeiſtlicher wer-

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[143/0147] ließ er ſeinen Thraͤnen freyen Lauf, lief im Zim- mer auf und ab, und rang die Haͤnde. Was ſoll ich thun? war ſein einziger Gedanke. Noch un- entſchloſſen warf er ſich auf ſeinen Stuhl, und da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in die Augen. Auf einmal war ſeine ganze Seele im Kloſter; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da ſo ſehr geruͤhrt hatte. Er ſah den P. Anton vor ſich. Was wird der alte Mann ſagen, dachte er, wenn du ſo bald wieder wankelmuͤtig wuͤrdeſt? Wie wuͤrd’ er ſich betruͤben? Auf einmal waͤre ſeine Freundſchaft und Liebe hin! — Solche, und aͤhn- liche Gedanken ſtiegen ſchnell und unvollendet in ihm auf. — — Nein, ich kann nicht anders! Muß ins Kloſter! rief er laut, und ſprang von ſeinem Stuhl auf. Seine Seele fuͤhlte ſich bey dieſem Entſchluß wieder ruhiger, die angenehmen Vorſtellungen vom Kloſterleben ſtellten ſich ihm wieder dar, und machten ihn alles andre vergeſ- ſen. — — Das will ich thun, dachte er, und das kann ich auch; ich will meiner Schweſter ver- ſprechen, alles wohl zu uͤberlegen, und vor ein paar Jahren keinen gaͤnzlichen Entſchluß zu faſſen. Find ich, daß ſie in ihren Beſorgniſſen Recht hat, dann kann ich immer noch ein Weltgeiſtlicher wer-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/147>, abgerufen am 01.05.2024.