Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite


P. Philipp, mit dem Kronhelm über die
Schwärmereyen seines Freundes gesprochen hatte,
gab sich auch alle Mühe, ihn zu zerstreuen, und
seine Aufmerksamkeit auf andre Gegenstände zu
lenken; er gab ihm daher allerley Bücher, und
besonders historische, zu lesen. Etwas half es,
aber doch nicht viel. Die Einsamkeit, die der
Winter mit sich bringt; und die wenige Zer-
streuung, da man immer eingeschlossen ist, zwang
unsern Xaver, sich am meisten mit sich selbst zu
beschäftigen, und da war seine Einbildungskraft
geschäftig genug, ihm lauter Jdeale von Heiligen
und Mönchen in den Kopf zu setzen. Er ward
oft fast böse, wenn ihn Kronhelm durch einen
kleinen Scherz aus seinen Schwärmereyen her-
auszureissen suchte.

Kronhelm hatte nun Theresen auch ein
kleines natürliches Briefchen geschrieben, sie seiner
aufrichtigen Hochachtung versichert, und um ihre
Freundschaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht
Tage drauf, gleich wieder, und freute sich unge-
mein über seinen Brief und seine Freundschaft;
Wenn Sie Geduld haben wollen, schrieb sie un-
ler andern, mich zuweilen anzuhören, so schreib
ich Jhnen wol öfters, und frage Sie um ver-



P. Philipp, mit dem Kronhelm uͤber die
Schwaͤrmereyen ſeines Freundes geſprochen hatte,
gab ſich auch alle Muͤhe, ihn zu zerſtreuen, und
ſeine Aufmerkſamkeit auf andre Gegenſtaͤnde zu
lenken; er gab ihm daher allerley Buͤcher, und
beſonders hiſtoriſche, zu leſen. Etwas half es,
aber doch nicht viel. Die Einſamkeit, die der
Winter mit ſich bringt; und die wenige Zer-
ſtreuung, da man immer eingeſchloſſen iſt, zwang
unſern Xaver, ſich am meiſten mit ſich ſelbſt zu
beſchaͤftigen, und da war ſeine Einbildungskraft
geſchaͤftig genug, ihm lauter Jdeale von Heiligen
und Moͤnchen in den Kopf zu ſetzen. Er ward
oft faſt boͤſe, wenn ihn Kronhelm durch einen
kleinen Scherz aus ſeinen Schwaͤrmereyen her-
auszureiſſen ſuchte.

Kronhelm hatte nun Thereſen auch ein
kleines natuͤrliches Briefchen geſchrieben, ſie ſeiner
aufrichtigen Hochachtung verſichert, und um ihre
Freundſchaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht
Tage drauf, gleich wieder, und freute ſich unge-
mein uͤber ſeinen Brief und ſeine Freundſchaft;
Wenn Sie Geduld haben wollen, ſchrieb ſie un-
ler andern, mich zuweilen anzuhoͤren, ſo ſchreib
ich Jhnen wol oͤfters, und frage Sie um ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0326" n="322"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>P. <hi rendition="#fr">Philipp,</hi> mit dem <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> u&#x0364;ber die<lb/>
Schwa&#x0364;rmereyen &#x017F;eines Freundes ge&#x017F;prochen hatte,<lb/>
gab &#x017F;ich auch alle Mu&#x0364;he, ihn zu zer&#x017F;treuen, und<lb/>
&#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit auf andre Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zu<lb/>
lenken; er gab ihm daher allerley Bu&#x0364;cher, und<lb/>
be&#x017F;onders hi&#x017F;tori&#x017F;che, zu le&#x017F;en. Etwas half es,<lb/>
aber doch nicht viel. Die Ein&#x017F;amkeit, die der<lb/>
Winter mit &#x017F;ich bringt; und die wenige Zer-<lb/>
&#x017F;treuung, da man immer einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, zwang<lb/>
un&#x017F;ern <hi rendition="#fr">Xaver,</hi> &#x017F;ich am mei&#x017F;ten mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, und da war &#x017F;eine Einbildungskraft<lb/>
ge&#x017F;cha&#x0364;ftig genug, ihm lauter Jdeale von Heiligen<lb/>
und Mo&#x0364;nchen in den Kopf zu &#x017F;etzen. Er ward<lb/>
oft fa&#x017F;t bo&#x0364;&#x017F;e, wenn ihn <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> durch einen<lb/>
kleinen Scherz aus &#x017F;einen Schwa&#x0364;rmereyen her-<lb/>
auszurei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;uchte.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> hatte nun <hi rendition="#fr">There&#x017F;en</hi> auch ein<lb/>
kleines natu&#x0364;rliches Briefchen ge&#x017F;chrieben, &#x017F;ie &#x017F;einer<lb/>
aufrichtigen Hochachtung ver&#x017F;ichert, und um ihre<lb/>
Freund&#x017F;chaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht<lb/>
Tage drauf, gleich wieder, und freute &#x017F;ich unge-<lb/>
mein u&#x0364;ber &#x017F;einen Brief und &#x017F;eine Freund&#x017F;chaft;<lb/>
Wenn Sie Geduld haben wollen, &#x017F;chrieb &#x017F;ie un-<lb/>
ler andern, mich zuweilen anzuho&#x0364;ren, &#x017F;o &#x017F;chreib<lb/>
ich Jhnen wol o&#x0364;fters, und frage Sie um ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0326] P. Philipp, mit dem Kronhelm uͤber die Schwaͤrmereyen ſeines Freundes geſprochen hatte, gab ſich auch alle Muͤhe, ihn zu zerſtreuen, und ſeine Aufmerkſamkeit auf andre Gegenſtaͤnde zu lenken; er gab ihm daher allerley Buͤcher, und beſonders hiſtoriſche, zu leſen. Etwas half es, aber doch nicht viel. Die Einſamkeit, die der Winter mit ſich bringt; und die wenige Zer- ſtreuung, da man immer eingeſchloſſen iſt, zwang unſern Xaver, ſich am meiſten mit ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, und da war ſeine Einbildungskraft geſchaͤftig genug, ihm lauter Jdeale von Heiligen und Moͤnchen in den Kopf zu ſetzen. Er ward oft faſt boͤſe, wenn ihn Kronhelm durch einen kleinen Scherz aus ſeinen Schwaͤrmereyen her- auszureiſſen ſuchte. Kronhelm hatte nun Thereſen auch ein kleines natuͤrliches Briefchen geſchrieben, ſie ſeiner aufrichtigen Hochachtung verſichert, und um ihre Freundſchaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht Tage drauf, gleich wieder, und freute ſich unge- mein uͤber ſeinen Brief und ſeine Freundſchaft; Wenn Sie Geduld haben wollen, ſchrieb ſie un- ler andern, mich zuweilen anzuhoͤren, ſo ſchreib ich Jhnen wol oͤfters, und frage Sie um ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/326
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/326>, abgerufen am 14.05.2024.