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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ward am Grabe niedergesetzt; die Paters stellten
sich in einem Kreise um das Grab herum, und
beteten. Pater Gregor stand dicht daran, und
sah mit starren Blicken in die Gruft. Weinen
konnt' er nicht mehr; seine Säfte waren ausge-
troknet. Der Sarg ward hinabgelassen; der dum-
pfe Schall, den die Erdschollen auf dem holen De-
ckel machten, weckte ihn aus seinem Schlummer,
und ein tiefer Seufzer hub seine Brust zitternd
empor. Er hub seinen Blick zum Himmel, und
lächelte halbfreudig, als ob Engel mit ihm sprä-
chen. Das Grab war nun ausgefüllt, und der
Hügel wurde aufgeworfen, Ein Pater hielt eine
kleine, aber rührende Rede von den Tugenden des Ver-
storbenen; einer nickte ihm nach dem andern
Beyfall zu, und dankbare Thränen, die schönsten
Zeugen eines frommen wohlthätigen Lebens, flossen
auf den Hügel. Man gieng nun vom Grabe
wieder in das Chor zurück, wo noch einmal eine
Trauermusik gemacht wurde, die sich erst durchs
Graun der Gräber langsam und melancholisch
fortschlich, dann sich schnell und triumphirend wie
ein Adler zu den Wolken aufschwang, und die Hof-
nung der Auferstehung ausdrückte.



ward am Grabe niedergeſetzt; die Paters ſtellten
ſich in einem Kreiſe um das Grab herum, und
beteten. Pater Gregor ſtand dicht daran, und
ſah mit ſtarren Blicken in die Gruft. Weinen
konnt’ er nicht mehr; ſeine Saͤfte waren ausge-
troknet. Der Sarg ward hinabgelaſſen; der dum-
pfe Schall, den die Erdſchollen auf dem holen De-
ckel machten, weckte ihn aus ſeinem Schlummer,
und ein tiefer Seufzer hub ſeine Bruſt zitternd
empor. Er hub ſeinen Blick zum Himmel, und
laͤchelte halbfreudig, als ob Engel mit ihm ſpraͤ-
chen. Das Grab war nun ausgefuͤllt, und der
Huͤgel wurde aufgeworfen, Ein Pater hielt eine
kleine, aber ruͤhrende Rede von den Tugenden des Ver-
ſtorbenen; einer nickte ihm nach dem andern
Beyfall zu, und dankbare Thraͤnen, die ſchoͤnſten
Zeugen eines frommen wohlthaͤtigen Lebens, floſſen
auf den Huͤgel. Man gieng nun vom Grabe
wieder in das Chor zuruͤck, wo noch einmal eine
Trauermuſik gemacht wurde, die ſich erſt durchs
Graun der Graͤber langſam und melancholiſch
fortſchlich, dann ſich ſchnell und triumphirend wie
ein Adler zu den Wolken aufſchwang, und die Hof-
nung der Auferſtehung ausdruͤckte.

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[88/0092] ward am Grabe niedergeſetzt; die Paters ſtellten ſich in einem Kreiſe um das Grab herum, und beteten. Pater Gregor ſtand dicht daran, und ſah mit ſtarren Blicken in die Gruft. Weinen konnt’ er nicht mehr; ſeine Saͤfte waren ausge- troknet. Der Sarg ward hinabgelaſſen; der dum- pfe Schall, den die Erdſchollen auf dem holen De- ckel machten, weckte ihn aus ſeinem Schlummer, und ein tiefer Seufzer hub ſeine Bruſt zitternd empor. Er hub ſeinen Blick zum Himmel, und laͤchelte halbfreudig, als ob Engel mit ihm ſpraͤ- chen. Das Grab war nun ausgefuͤllt, und der Huͤgel wurde aufgeworfen, Ein Pater hielt eine kleine, aber ruͤhrende Rede von den Tugenden des Ver- ſtorbenen; einer nickte ihm nach dem andern Beyfall zu, und dankbare Thraͤnen, die ſchoͤnſten Zeugen eines frommen wohlthaͤtigen Lebens, floſſen auf den Huͤgel. Man gieng nun vom Grabe wieder in das Chor zuruͤck, wo noch einmal eine Trauermuſik gemacht wurde, die ſich erſt durchs Graun der Graͤber langſam und melancholiſch fortſchlich, dann ſich ſchnell und triumphirend wie ein Adler zu den Wolken aufſchwang, und die Hof- nung der Auferſtehung ausdruͤckte.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/92>, abgerufen am 30.04.2024.