Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

Bild:
<< vorherige Seite


gen, welche in dem Hirn-Kästgen formiret werden;
sie seyen wahr oder falsch. Welche, ob sie gleich
bey manchen Menschen der Wahrheit der Sachen
gemäß seyn mögen; das Hertz desselben doch gar
nicht dauget, voller bösen Lüste und Betrug seyn kan.
Alamodan. Wo aber ein Mensch mit irrigen
und ketzerischen Meinungen befleckt, soll man mit
solchen nichts zu schaffen haben, vielweniger Freund-
schafft pflegen, nach dem Ausspruch Pauli: Einen
ketzerischen Menschen meide.
Modestin. Was die irrige Meinungen des Ver-
standes betrifft, welche bloß in übelem Begriff ei-
niger Sachen bestehen, dabey keine Boßheit des
Hertzens oder Willens mit involviret wird; mit
dergleichen, erachte ich, erfodere die Christliche
Liebe und Sanfftmuth ein erbarmendes Mitlei-
den zu haben; und sollte man trachten solche mit
Bescheidenheit und sanfftmüthigem Geiste ihres
Jrrthums zu überzeugen. Kan man solches aber
nicht auf eine gründliche Weise thun: so erfodert
ja die allgemeine Liebe, daß man sie tolerire;
und ist gewißlich die allergrösseste Antichristische
Tyranney, jemanden bloß um Meinungen willen
zu verfolgen.
Theogenes. Es ist auch noch nicht so klar ausge-
macht, was eigentlich ein Ketzer sey. Denn wo
ein Mensch, welcher etwa einige unrichtige, mit der
Wahr-
K 3


gen, welche in dem Hirn-Kaͤſtgen formiret werden;
ſie ſeyen wahr oder falſch. Welche, ob ſie gleich
bey manchen Menſchen der Wahrheit der Sachen
gemaͤß ſeyn moͤgen; das Hertz deſſelben doch gar
nicht dauget, voller boͤſen Luͤſte und Betrug ſeyn kan.
Alamodan. Wo aber ein Menſch mit irrigen
und ketzeriſchen Meinungen befleckt, ſoll man mit
ſolchen nichts zu ſchaffen haben, vielweniger Freund-
ſchafft pflegen, nach dem Ausſpruch Pauli: Einen
ketzeriſchen Menſchen meide.
Modeſtin. Was die irrige Meinungen des Ver-
ſtandes betrifft, welche bloß in uͤbelem Begriff ei-
niger Sachen beſtehen, dabey keine Boßheit des
Hertzens oder Willens mit involviret wird; mit
dergleichen, erachte ich, erfodere die Chriſtliche
Liebe und Sanfftmuth ein erbarmendes Mitlei-
den zu haben; und ſollte man trachten ſolche mit
Beſcheidenheit und ſanfftmuͤthigem Geiſte ihres
Jrrthums zu uͤberzeugen. Kan man ſolches aber
nicht auf eine gruͤndliche Weiſe thun: ſo erfodert
ja die allgemeine Liebe, daß man ſie tolerire;
und iſt gewißlich die allergroͤſſeſte Antichriſtiſche
Tyranney, jemanden bloß um Meinungen willen
zu verfolgen.
Theogenes. Es iſt auch noch nicht ſo klar ausge-
macht, was eigentlich ein Ketzer ſey. Denn wo
ein Menſch, welcher etwa einige unrichtige, mit der
Wahr-
K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp>
          <p><pb facs="#f0155" n="149"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gen, welche in dem Hirn-Ka&#x0364;&#x017F;tgen formiret werden;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;eyen wahr oder fal&#x017F;ch. Welche, ob &#x017F;ie gleich<lb/>
bey manchen Men&#x017F;chen der Wahrheit der Sachen<lb/>
gema&#x0364;ß &#x017F;eyn mo&#x0364;gen; das Hertz de&#x017F;&#x017F;elben doch gar<lb/>
nicht dauget, voller bo&#x0364;&#x017F;en Lu&#x0364;&#x017F;te und Betrug &#x017F;eyn kan.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Alamodan.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Wo aber ein Men&#x017F;ch mit irrigen<lb/>
und ketzeri&#x017F;chen Meinungen befleckt, &#x017F;oll man mit<lb/>
&#x017F;olchen nichts zu &#x017F;chaffen haben, vielweniger Freund-<lb/>
&#x017F;chafft pflegen, nach dem Aus&#x017F;pruch Pauli: Einen<lb/>
ketzeri&#x017F;chen Men&#x017F;chen meide.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mode&#x017F;tin.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Was die irrige Meinungen des Ver-<lb/>
&#x017F;tandes betrifft, welche bloß in u&#x0364;belem Begriff ei-<lb/>
niger Sachen be&#x017F;tehen, dabey keine Boßheit des<lb/>
Hertzens oder Willens mit <hi rendition="#aq">involvi</hi>ret wird; mit<lb/>
dergleichen, erachte ich, erfodere die Chri&#x017F;tliche<lb/>
Liebe und Sanfftmuth ein erbarmendes Mitlei-<lb/>
den zu haben; und &#x017F;ollte man trachten &#x017F;olche mit<lb/>
Be&#x017F;cheidenheit und &#x017F;anfftmu&#x0364;thigem Gei&#x017F;te ihres<lb/>
Jrrthums zu u&#x0364;berzeugen. Kan man &#x017F;olches aber<lb/>
nicht auf eine gru&#x0364;ndliche Wei&#x017F;e thun: &#x017F;o erfodert<lb/>
ja die allgemeine Liebe, daß man &#x017F;ie <hi rendition="#aq">toleri</hi>re;<lb/>
und i&#x017F;t gewißlich die allergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Antichri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Tyranney, jemanden bloß um Meinungen willen<lb/>
zu verfolgen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Theogenes.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Es i&#x017F;t auch noch nicht &#x017F;o klar ausge-<lb/>
macht, was eigentlich ein Ketzer &#x017F;ey. Denn wo<lb/>
ein Men&#x017F;ch, welcher etwa einige unrichtige, mit der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Wahr-</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0155] gen, welche in dem Hirn-Kaͤſtgen formiret werden; ſie ſeyen wahr oder falſch. Welche, ob ſie gleich bey manchen Menſchen der Wahrheit der Sachen gemaͤß ſeyn moͤgen; das Hertz deſſelben doch gar nicht dauget, voller boͤſen Luͤſte und Betrug ſeyn kan. Alamodan. Wo aber ein Menſch mit irrigen und ketzeriſchen Meinungen befleckt, ſoll man mit ſolchen nichts zu ſchaffen haben, vielweniger Freund- ſchafft pflegen, nach dem Ausſpruch Pauli: Einen ketzeriſchen Menſchen meide. Modeſtin. Was die irrige Meinungen des Ver- ſtandes betrifft, welche bloß in uͤbelem Begriff ei- niger Sachen beſtehen, dabey keine Boßheit des Hertzens oder Willens mit involviret wird; mit dergleichen, erachte ich, erfodere die Chriſtliche Liebe und Sanfftmuth ein erbarmendes Mitlei- den zu haben; und ſollte man trachten ſolche mit Beſcheidenheit und ſanfftmuͤthigem Geiſte ihres Jrrthums zu uͤberzeugen. Kan man ſolches aber nicht auf eine gruͤndliche Weiſe thun: ſo erfodert ja die allgemeine Liebe, daß man ſie tolerire; und iſt gewißlich die allergroͤſſeſte Antichriſtiſche Tyranney, jemanden bloß um Meinungen willen zu verfolgen. Theogenes. Es iſt auch noch nicht ſo klar ausge- macht, was eigentlich ein Ketzer ſey. Denn wo ein Menſch, welcher etwa einige unrichtige, mit der Wahr- K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/155
Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/155>, abgerufen am 02.05.2024.