Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Notabene. Zum Ersten steht: Mitte Oktober gießet
man die großen Löwen in kaiserlicher Erzgießerei;
für's Zweite, doppelt angestrichen: Professor Gattner
zu besuchen. Wer ist der?"

"O recht, ich weiß -- auf dem Observatorio der
gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin ein¬
lädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's
Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein
mächtig großes Fernrohr oben; da soll man auf der
ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen,
Gebirge, Thäler, Klüfte sehen, und von der Seite,
wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die
Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's
an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elen¬
der und schändlicher Weise!"

"Nun," sagte sie, "der Mond entläuft uns nicht.
Wir holen manches nach."

Nach einer Pause fuhr er fort: "Und geht es
nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran
denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen
läßt! -- von Pflichten gegen Gott und Menschen
nicht zu reden -- ich sage von purem Genuß, von
den kleinen unschuldigen Freuden, die einem jeden
täglich vor den Füßen liegen."

Notabene. Zum Erſten ſteht: Mitte Oktober gießet
man die großen Löwen in kaiſerlicher Erzgießerei;
für's Zweite, doppelt angeſtrichen: Profeſſor Gattner
zu beſuchen. Wer iſt der?“

„O recht, ich weiß — auf dem Obſervatorio der
gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin ein¬
lädt. Ich wollte längſt einmal den Mond und 's
Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein
mächtig großes Fernrohr oben; da ſoll man auf der
ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen,
Gebirge, Thäler, Klüfte ſehen, und von der Seite,
wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die
Berge werfen. Schon ſeit zwei Jahren ſchlag' ich's
an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elen¬
der und ſchändlicher Weiſe!“

„Nun,“ ſagte ſie, „der Mond entläuft uns nicht.
Wir holen manches nach.“

Nach einer Pauſe fuhr er fort: „Und geht es
nicht mit allem ſo? O pfui, ich darf nicht daran
denken, was man verpaßt, verſchiebt und hängen
läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menſchen
nicht zu reden — ich ſage von purem Genuß, von
den kleinen unſchuldigen Freuden, die einem jeden
täglich vor den Füßen liegen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0020" n="8"/>
Notabene. Zum Er&#x017F;ten &#x017F;teht: Mitte Oktober gießet<lb/>
man die großen Löwen in kai&#x017F;erlicher Erzgießerei;<lb/>
für's Zweite, doppelt ange&#x017F;trichen: Profe&#x017F;&#x017F;or Gattner<lb/>
zu be&#x017F;uchen. Wer i&#x017F;t der?&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;O recht, ich weiß &#x2014; auf dem Ob&#x017F;ervatorio der<lb/>
gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin ein¬<lb/>
lädt. Ich wollte läng&#x017F;t einmal den Mond und 's<lb/>
Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein<lb/>
mächtig großes Fernrohr oben; da &#x017F;oll man auf der<lb/>
ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen,<lb/>
Gebirge, Thäler, Klüfte &#x017F;ehen, und von der Seite,<lb/>
wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die<lb/>
Berge werfen. Schon &#x017F;eit zwei Jahren &#x017F;chlag' ich's<lb/>
an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elen¬<lb/>
der und &#x017F;chändlicher Wei&#x017F;e!&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Nun,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;der Mond entläuft uns nicht.<lb/>
Wir holen manches nach.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Nach einer Pau&#x017F;e fuhr er fort: &#x201E;Und geht es<lb/>
nicht mit allem &#x017F;o? O pfui, ich darf nicht daran<lb/>
denken, was man verpaßt, ver&#x017F;chiebt und hängen<lb/>
läßt! &#x2014; von Pflichten gegen Gott und Men&#x017F;chen<lb/>
nicht zu reden &#x2014; ich &#x017F;age von purem Genuß, von<lb/>
den kleinen un&#x017F;chuldigen Freuden, die einem jeden<lb/>
täglich vor den Füßen liegen.&#x201C;</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0020] Notabene. Zum Erſten ſteht: Mitte Oktober gießet man die großen Löwen in kaiſerlicher Erzgießerei; für's Zweite, doppelt angeſtrichen: Profeſſor Gattner zu beſuchen. Wer iſt der?“ „O recht, ich weiß — auf dem Obſervatorio der gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin ein¬ lädt. Ich wollte längſt einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben; da ſoll man auf der ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Thäler, Klüfte ſehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon ſeit zwei Jahren ſchlag' ich's an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elen¬ der und ſchändlicher Weiſe!“ „Nun,“ ſagte ſie, „der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches nach.“ Nach einer Pauſe fuhr er fort: „Und geht es nicht mit allem ſo? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verſchiebt und hängen läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menſchen nicht zu reden — ich ſage von purem Genuß, von den kleinen unſchuldigen Freuden, die einem jeden täglich vor den Füßen liegen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/20
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/20>, abgerufen am 28.04.2024.