Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit.
Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieses Stück der
Ordnung nach vornehmen wollte, da fand sich auf
den ersten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine
Weise, einfältig und kindlich und sprützend von Fröh¬
lichkeit über und über, ein frischer Busenstrauß mit
Flatterband dem Mädel angesteckt, so mußte es seyn.
Weil man nun im Geringsten nichts erzwingen soll,
und weil dergleichen Kleinigkeiten sich oft gelegentlich
von selber machen, ging ich darüber weg und sah
mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder
danach um. Ganz flüchtig kam mir heut im Wagen,
kurz eh' wir in's Dorf herein fuhren, der Text in
den Sinn; da spann sich denn weiter nichts an, zum
wenigsten nicht daß ich's wüßte. Genug, ein Stünd¬
chen später, in der Laube beim Brunnen, erwisch'
ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und besser zu
keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden
haben würde. Man macht bisweilen in der Kunst
besondere Erfahrungen, ein ähnlicher Streich ist mir
nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers
wie auf den Leib gegossen -- doch, um nicht vor¬
zugreifen, so weit sind wir noch nicht, der Vogel
hatte nur den Kopf erst aus dem Ei, und auf der

unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit.
Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieſes Stück der
Ordnung nach vornehmen wollte, da fand ſich auf
den erſten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine
Weiſe, einfältig und kindlich und ſprützend von Fröh¬
lichkeit über und über, ein friſcher Buſenſtrauß mit
Flatterband dem Mädel angeſteckt, ſo mußte es ſeyn.
Weil man nun im Geringſten nichts erzwingen ſoll,
und weil dergleichen Kleinigkeiten ſich oft gelegentlich
von ſelber machen, ging ich darüber weg und ſah
mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder
danach um. Ganz flüchtig kam mir heut im Wagen,
kurz eh' wir in's Dorf herein fuhren, der Text in
den Sinn; da ſpann ſich denn weiter nichts an, zum
wenigſten nicht daß ich's wüßte. Genug, ein Stünd¬
chen ſpäter, in der Laube beim Brunnen, erwiſch'
ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und beſſer zu
keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden
haben würde. Man macht bisweilen in der Kunſt
beſondere Erfahrungen, ein ähnlicher Streich iſt mir
nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers
wie auf den Leib gegoſſen — doch, um nicht vor¬
zugreifen, ſo weit ſind wir noch nicht, der Vogel
hatte nur den Kopf erſt aus dem Ei, und auf der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0067" n="55"/>
unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit.<lb/>
Vor zwei Monaten nämlich, als ich die&#x017F;es Stück der<lb/>
Ordnung nach vornehmen wollte, da fand &#x017F;ich auf<lb/>
den er&#x017F;ten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine<lb/>
Wei&#x017F;e, einfältig und kindlich und &#x017F;prützend von Fröh¬<lb/>
lichkeit über und über, ein fri&#x017F;cher Bu&#x017F;en&#x017F;trauß mit<lb/>
Flatterband dem Mädel ange&#x017F;teckt, &#x017F;o mußte es &#x017F;eyn.<lb/>
Weil man nun im Gering&#x017F;ten nichts erzwingen &#x017F;oll,<lb/>
und weil dergleichen Kleinigkeiten &#x017F;ich oft gelegentlich<lb/>
von &#x017F;elber machen, ging ich darüber weg und &#x017F;ah<lb/>
mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder<lb/>
danach um. Ganz flüchtig kam mir heut im Wagen,<lb/>
kurz eh' wir in's Dorf herein fuhren, der Text in<lb/>
den Sinn; da &#x017F;pann &#x017F;ich denn weiter nichts an, zum<lb/>
wenig&#x017F;ten nicht daß ich's wüßte. Genug, ein Stünd¬<lb/>
chen &#x017F;päter, in der Laube beim Brunnen, erwi&#x017F;ch'<lb/>
ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und be&#x017F;&#x017F;er zu<lb/>
keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden<lb/>
haben würde. Man macht bisweilen in der Kun&#x017F;t<lb/>
be&#x017F;ondere Erfahrungen, ein ähnlicher Streich i&#x017F;t mir<lb/>
nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers<lb/>
wie auf den Leib gego&#x017F;&#x017F;en &#x2014; doch, um nicht vor¬<lb/>
zugreifen, &#x017F;o weit &#x017F;ind wir noch nicht, der Vogel<lb/>
hatte nur den Kopf er&#x017F;t aus dem Ei, und auf <hi rendition="#g">der</hi><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0067] unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit. Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieſes Stück der Ordnung nach vornehmen wollte, da fand ſich auf den erſten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine Weiſe, einfältig und kindlich und ſprützend von Fröh¬ lichkeit über und über, ein friſcher Buſenſtrauß mit Flatterband dem Mädel angeſteckt, ſo mußte es ſeyn. Weil man nun im Geringſten nichts erzwingen ſoll, und weil dergleichen Kleinigkeiten ſich oft gelegentlich von ſelber machen, ging ich darüber weg und ſah mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder danach um. Ganz flüchtig kam mir heut im Wagen, kurz eh' wir in's Dorf herein fuhren, der Text in den Sinn; da ſpann ſich denn weiter nichts an, zum wenigſten nicht daß ich's wüßte. Genug, ein Stünd¬ chen ſpäter, in der Laube beim Brunnen, erwiſch' ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und beſſer zu keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden haben würde. Man macht bisweilen in der Kunſt beſondere Erfahrungen, ein ähnlicher Streich iſt mir nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers wie auf den Leib gegoſſen — doch, um nicht vor¬ zugreifen, ſo weit ſind wir noch nicht, der Vogel hatte nur den Kopf erſt aus dem Ei, und auf der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/67
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/67>, abgerufen am 14.05.2024.