Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

fern der Stadt gelegene Lustschluß des Königs, Wet-
terswyl, zu besuchen, wo man eben im Begriff war,
mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen
aufzustellen. Der italienische Künstler mußte selbst
dabei zugegen seyn, und sowohl die Persönlichkeit des
Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten
und manchen Neugierigen heraus. Unserem Freunde
war die Gelegenheit nicht minder erwünscht, doch zog
er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im-
mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde
zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der
heiterste Januarmorgen begünstigte den Ausflug; die
Sonne war kaum aufgegangen, als Theobald schon,
in lebhaftem Trabe sich erwärmend, von der Straße
ab, den schönen einsamen Gründen zustrich, welche,
größtentheils von Fichten und Niederwald besezt, all-
mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten.
Rings gewährte die Landschaft, in dichter Schneehülle
und nur von dunkeln Waldstrecken durchbrochen, ein
vollständiges Wintergemälde, und die Gemüthsstimmung
Noltens nahm diese stillen Eindrücke heute ganz be-
sonders willig auf. Eine unbestimmte Mischung von
Lebenslust und Wehmuth lag allen seinen Betrachtun-
gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen
glaubte, daß die Neigung zu Constanzen keinen oder
doch nur einen sehr entfernten Antheil daran habe,
bis ihm mitten unter seinen Träumereien ein längst
vergessenes Lied von Larkens wieder vor der Seele

fern der Stadt gelegene Luſtſchluß des Königs, Wet-
terswyl, zu beſuchen, wo man eben im Begriff war,
mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen
aufzuſtellen. Der italieniſche Künſtler mußte ſelbſt
dabei zugegen ſeyn, und ſowohl die Perſönlichkeit des
Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten
und manchen Neugierigen heraus. Unſerem Freunde
war die Gelegenheit nicht minder erwünſcht, doch zog
er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im-
mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde
zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der
heiterſte Januarmorgen begünſtigte den Ausflug; die
Sonne war kaum aufgegangen, als Theobald ſchon,
in lebhaftem Trabe ſich erwärmend, von der Straße
ab, den ſchönen einſamen Gründen zuſtrich, welche,
größtentheils von Fichten und Niederwald beſezt, all-
mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten.
Rings gewährte die Landſchaft, in dichter Schneehülle
und nur von dunkeln Waldſtrecken durchbrochen, ein
vollſtändiges Wintergemälde, und die Gemüthsſtimmung
Noltens nahm dieſe ſtillen Eindrücke heute ganz be-
ſonders willig auf. Eine unbeſtimmte Miſchung von
Lebensluſt und Wehmuth lag allen ſeinen Betrachtun-
gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen
glaubte, daß die Neigung zu Conſtanzen keinen oder
doch nur einen ſehr entfernten Antheil daran habe,
bis ihm mitten unter ſeinen Träumereien ein längſt
vergeſſenes Lied von Larkens wieder vor der Seele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="108"/>
fern der Stadt gelegene Lu&#x017F;t&#x017F;chluß des Königs, Wet-<lb/>
terswyl, zu be&#x017F;uchen, wo man eben im Begriff war,<lb/>
mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen<lb/>
aufzu&#x017F;tellen. Der italieni&#x017F;che Kün&#x017F;tler mußte &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dabei zugegen &#x017F;eyn, und &#x017F;owohl die Per&#x017F;önlichkeit des<lb/>
Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten<lb/>
und manchen Neugierigen heraus. Un&#x017F;erem Freunde<lb/>
war die Gelegenheit nicht minder erwün&#x017F;cht, doch zog<lb/>
er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im-<lb/>
mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde<lb/>
zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der<lb/>
heiter&#x017F;te Januarmorgen begün&#x017F;tigte den Ausflug; die<lb/>
Sonne war kaum aufgegangen, als <hi rendition="#g">Theobald</hi> &#x017F;chon,<lb/>
in lebhaftem Trabe &#x017F;ich erwärmend, von der Straße<lb/>
ab, den &#x017F;chönen ein&#x017F;amen Gründen zu&#x017F;trich, welche,<lb/>
größtentheils von Fichten und Niederwald be&#x017F;ezt, all-<lb/>
mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten.<lb/>
Rings gewährte die Land&#x017F;chaft, in dichter Schneehülle<lb/>
und nur von dunkeln Wald&#x017F;trecken durchbrochen, ein<lb/>
voll&#x017F;tändiges Wintergemälde, und die Gemüths&#x017F;timmung<lb/><hi rendition="#g">Noltens</hi> nahm die&#x017F;e &#x017F;tillen Eindrücke heute ganz be-<lb/>
&#x017F;onders willig auf. Eine unbe&#x017F;timmte Mi&#x017F;chung von<lb/>
Lebenslu&#x017F;t und Wehmuth lag allen &#x017F;einen Betrachtun-<lb/>
gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen<lb/>
glaubte, daß die Neigung zu <hi rendition="#g">Con&#x017F;tanzen</hi> keinen oder<lb/>
doch nur einen &#x017F;ehr entfernten Antheil daran habe,<lb/>
bis ihm mitten unter &#x017F;einen Träumereien ein läng&#x017F;t<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;enes Lied von <hi rendition="#g">Larkens</hi> wieder vor der Seele<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0116] fern der Stadt gelegene Luſtſchluß des Königs, Wet- terswyl, zu beſuchen, wo man eben im Begriff war, mehrere kürzlich vom Ausland angekommene Statuen aufzuſtellen. Der italieniſche Künſtler mußte ſelbſt dabei zugegen ſeyn, und ſowohl die Perſönlichkeit des Leztern als jene Werke lockten manchen Gebildeten und manchen Neugierigen heraus. Unſerem Freunde war die Gelegenheit nicht minder erwünſcht, doch zog er es vor, den angenehmen, auch zur Winterszeit im- mer noch gar mannichfaltigen Weg dahin allein zu Pferde zu machen, während der Graf im Schlitten fuhr. Der heiterſte Januarmorgen begünſtigte den Ausflug; die Sonne war kaum aufgegangen, als Theobald ſchon, in lebhaftem Trabe ſich erwärmend, von der Straße ab, den ſchönen einſamen Gründen zuſtrich, welche, größtentheils von Fichten und Niederwald beſezt, all- mählig der Höhe des königlichen Parks zuführten. Rings gewährte die Landſchaft, in dichter Schneehülle und nur von dunkeln Waldſtrecken durchbrochen, ein vollſtändiges Wintergemälde, und die Gemüthsſtimmung Noltens nahm dieſe ſtillen Eindrücke heute ganz be- ſonders willig auf. Eine unbeſtimmte Miſchung von Lebensluſt und Wehmuth lag allen ſeinen Betrachtun- gen zu Grunde, wobei er Anfangs deutlich zu fühlen glaubte, daß die Neigung zu Conſtanzen keinen oder doch nur einen ſehr entfernten Antheil daran habe, bis ihm mitten unter ſeinen Träumereien ein längſt vergeſſenes Lied von Larkens wieder vor der Seele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/116
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/116>, abgerufen am 02.05.2024.