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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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dieß Abenteuer aufnehmen wird? Wenn du die Ab-
sicht hast, daß diese Person heute Nacht eine Unterkunft
bei uns finde, was kann ihr dieses viel nützen? oder
was trägst du sonst im Sinne? Um des Himmelswil-
len, gib mir nur erst Aufschluß über dein räthselhaftes
Benehmen! Welche Bewegung! welche Leidenschaft!
Wie hängt denn Alles zusammen? du handelst wie ein
Träumender vor mir!"

"Da magst du wohl Recht haben," war die Ant-
wort "ja, wie ein Träumender! weiß ich doch kaum,
wie Alles kam. Ich zweifle zuweilen an der Wirklich-
keit dessen, was da vorging. Aber doppelt wunderbar
ist es, daß dasjenige, was ich dir heute auf dem Reh-
stock offenbaren wollte und was nirgends als in meiner
Einbildung lebte, uns Beiden in leibhafter Gestalt hat
erscheinen müssen."

Nach und nach erklärte er, daß ihm das Mädchen
über sich selbst nichts weiter zu sagen gewußt, als: sie
habe sich vor vier Tagen heimlich von ihrer Gesellschaft,
einer übrigens öffentlich geduldeten Zigeunerhorde, ge-
trennt, weil sie ihre Heimath habe wieder suchen wol-
len, der man sie in jungen Jahren entrissen, deren sie
sich auch nur schwach mehr erinnere. Diese Nachricht
diente keineswegs, die Theilnahme Adelheids sehr
zu vermehren, vielmehr erregte der angegebene Grund
der Entweichung ihren Verdacht in hohem Grade als
unwahrscheinlich. Indessen war das vernünftige Mäd-
chen in der Voraussicht, daß eine Zurechtweisung des

dieß Abenteuer aufnehmen wird? Wenn du die Ab-
ſicht haſt, daß dieſe Perſon heute Nacht eine Unterkunft
bei uns finde, was kann ihr dieſes viel nützen? oder
was trägſt du ſonſt im Sinne? Um des Himmelswil-
len, gib mir nur erſt Aufſchluß über dein räthſelhaftes
Benehmen! Welche Bewegung! welche Leidenſchaft!
Wie hängt denn Alles zuſammen? du handelſt wie ein
Träumender vor mir!“

„Da magſt du wohl Recht haben,“ war die Ant-
wort „ja, wie ein Träumender! weiß ich doch kaum,
wie Alles kam. Ich zweifle zuweilen an der Wirklich-
keit deſſen, was da vorging. Aber doppelt wunderbar
iſt es, daß dasjenige, was ich dir heute auf dem Reh-
ſtock offenbaren wollte und was nirgends als in meiner
Einbildung lebte, uns Beiden in leibhafter Geſtalt hat
erſcheinen müſſen.“

Nach und nach erklärte er, daß ihm das Mädchen
über ſich ſelbſt nichts weiter zu ſagen gewußt, als: ſie
habe ſich vor vier Tagen heimlich von ihrer Geſellſchaft,
einer übrigens öffentlich geduldeten Zigeunerhorde, ge-
trennt, weil ſie ihre Heimath habe wieder ſuchen wol-
len, der man ſie in jungen Jahren entriſſen, deren ſie
ſich auch nur ſchwach mehr erinnere. Dieſe Nachricht
diente keineswegs, die Theilnahme Adelheids ſehr
zu vermehren, vielmehr erregte der angegebene Grund
der Entweichung ihren Verdacht in hohem Grade als
unwahrſcheinlich. Indeſſen war das vernünftige Mäd-
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[290/0298] dieß Abenteuer aufnehmen wird? Wenn du die Ab- ſicht haſt, daß dieſe Perſon heute Nacht eine Unterkunft bei uns finde, was kann ihr dieſes viel nützen? oder was trägſt du ſonſt im Sinne? Um des Himmelswil- len, gib mir nur erſt Aufſchluß über dein räthſelhaftes Benehmen! Welche Bewegung! welche Leidenſchaft! Wie hängt denn Alles zuſammen? du handelſt wie ein Träumender vor mir!“ „Da magſt du wohl Recht haben,“ war die Ant- wort „ja, wie ein Träumender! weiß ich doch kaum, wie Alles kam. Ich zweifle zuweilen an der Wirklich- keit deſſen, was da vorging. Aber doppelt wunderbar iſt es, daß dasjenige, was ich dir heute auf dem Reh- ſtock offenbaren wollte und was nirgends als in meiner Einbildung lebte, uns Beiden in leibhafter Geſtalt hat erſcheinen müſſen.“ Nach und nach erklärte er, daß ihm das Mädchen über ſich ſelbſt nichts weiter zu ſagen gewußt, als: ſie habe ſich vor vier Tagen heimlich von ihrer Geſellſchaft, einer übrigens öffentlich geduldeten Zigeunerhorde, ge- trennt, weil ſie ihre Heimath habe wieder ſuchen wol- len, der man ſie in jungen Jahren entriſſen, deren ſie ſich auch nur ſchwach mehr erinnere. Dieſe Nachricht diente keineswegs, die Theilnahme Adelheids ſehr zu vermehren, vielmehr erregte der angegebene Grund der Entweichung ihren Verdacht in hohem Grade als unwahrſcheinlich. Indeſſen war das vernünftige Mäd- chen in der Vorausſicht, daß eine Zurechtweiſung des

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/298>, abgerufen am 16.05.2024.