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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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geuner sind ja meilenweit von uns entfernt und das
Mädchen wird uns nicht schaden."

"Was? nicht schaden? wißt ihr das? Ist sie
nicht von Sinnen? Was ist von einer Närrin nicht
Alles zu fürchten!"

"So kann ja Johann die Nacht wachen, wir
alle wollen wachen."

"Keinen Augenblick hab' ich Ruh', bis ich mich
überzeugt, daß nicht irgendwo Feuer eingelegt ist.
Kommt! ich habe nun einmal die Grille; begleitet mich."

So tappte man denn zu Dreien ohne Licht durch
das ganze Haus; die Gänge, die Ställe, die Bühne,
Alles wurde sorgfältig untersucht. Als man in die
Dachkammer kam, wo sich das merkwürdige Bild be-
fand, empfanden die Mädchen einen heimlichen, jedoch
reizenden Schauder; es war so aufgehängt, daß so eben
der Mond sein starkes Licht darauf fallen ließ, und
selbst der Pfarrer ward wider Willen von der dämo-
nischen Schönheit des Gesichtes festgehalten; man hätte
es wirklich für ein Porträt Elisabeths halten kön-
nen; von ganz eigenem, nicht weiter zu beschreiben-
den Ausdruck waren besonders die braunen durch-
dringenden Augen. Keins von den Dreien wollte
ein lautes Wort sprechen, nur Adelheid fragte den
Vater, ob der Onkel es gemalt? ob es seine Frau
vorstelle? Der Pfarrer nickte, nahm das Bild seuf-
zend von der Wand und versteckte es in die hin-
terste Ecke.

geuner ſind ja meilenweit von uns entfernt und das
Mädchen wird uns nicht ſchaden.“

„Was? nicht ſchaden? wißt ihr das? Iſt ſie
nicht von Sinnen? Was iſt von einer Närrin nicht
Alles zu fürchten!“

„So kann ja Johann die Nacht wachen, wir
alle wollen wachen.“

„Keinen Augenblick hab’ ich Ruh’, bis ich mich
überzeugt, daß nicht irgendwo Feuer eingelegt iſt.
Kommt! ich habe nun einmal die Grille; begleitet mich.“

So tappte man denn zu Dreien ohne Licht durch
das ganze Haus; die Gänge, die Ställe, die Bühne,
Alles wurde ſorgfältig unterſucht. Als man in die
Dachkammer kam, wo ſich das merkwürdige Bild be-
fand, empfanden die Mädchen einen heimlichen, jedoch
reizenden Schauder; es war ſo aufgehängt, daß ſo eben
der Mond ſein ſtarkes Licht darauf fallen ließ, und
ſelbſt der Pfarrer ward wider Willen von der dämo-
niſchen Schönheit des Geſichtes feſtgehalten; man hätte
es wirklich für ein Porträt Eliſabeths halten kön-
nen; von ganz eigenem, nicht weiter zu beſchreiben-
den Ausdruck waren beſonders die braunen durch-
dringenden Augen. Keins von den Dreien wollte
ein lautes Wort ſprechen, nur Adelheid fragte den
Vater, ob der Onkel es gemalt? ob es ſeine Frau
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[319/0327] geuner ſind ja meilenweit von uns entfernt und das Mädchen wird uns nicht ſchaden.“ „Was? nicht ſchaden? wißt ihr das? Iſt ſie nicht von Sinnen? Was iſt von einer Närrin nicht Alles zu fürchten!“ „So kann ja Johann die Nacht wachen, wir alle wollen wachen.“ „Keinen Augenblick hab’ ich Ruh’, bis ich mich überzeugt, daß nicht irgendwo Feuer eingelegt iſt. Kommt! ich habe nun einmal die Grille; begleitet mich.“ So tappte man denn zu Dreien ohne Licht durch das ganze Haus; die Gänge, die Ställe, die Bühne, Alles wurde ſorgfältig unterſucht. Als man in die Dachkammer kam, wo ſich das merkwürdige Bild be- fand, empfanden die Mädchen einen heimlichen, jedoch reizenden Schauder; es war ſo aufgehängt, daß ſo eben der Mond ſein ſtarkes Licht darauf fallen ließ, und ſelbſt der Pfarrer ward wider Willen von der dämo- niſchen Schönheit des Geſichtes feſtgehalten; man hätte es wirklich für ein Porträt Eliſabeths halten kön- nen; von ganz eigenem, nicht weiter zu beſchreiben- den Ausdruck waren beſonders die braunen durch- dringenden Augen. Keins von den Dreien wollte ein lautes Wort ſprechen, nur Adelheid fragte den Vater, ob der Onkel es gemalt? ob es ſeine Frau vorſtelle? Der Pfarrer nickte, nahm das Bild ſeuf- zend von der Wand und verſteckte es in die hin- terſte Ecke.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/327>, abgerufen am 03.05.2024.