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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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daß Nolten seit einem vollen Monat und darüber
nichts von sich hören ließ. Der Alte fand es uner-
klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die
fatale Geschichte entstanden seyn möchte, war kaum
gedenkbar, da weiter Niemand darum wissen konnte;
möglicher schien es, daß Nolten krank, daß Briefe
verloren gegangen seyen. Agnes hatte dabei ihre
besonderen Gedanken und schwieg nur immer, indem
sie auf etwas Entscheidendes zu spannen schien.

Wirklich hatte sich inzwischen nicht wenig Be-
deutendes in der Ferne zugetragen.

Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt-
schaft des Försterhauses gemacht, von zwei verschie-
denen Seiten und von sehr wohlmeinenden Personen
Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein sehr
zweideutiges Benehmen des Alten und seiner Tochter
in Betreff des jungen Menschen aufmerksam gemacht
wurde. Eine dieser Warnungen kam sogar von dem
guten Baron auf dem Schlosse bei Neuburg, welcher
sonst mit dem Förster in freundlichem Vernehmen
stand, und von dessen Rechtlichkeit und vorsichtigem
Urtheil sich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er-
warten ließ. Schon diese ersten Laute des Verdachts,
obgleich sie unsern Maler noch keineswegs zu über-
zeugen vermochten, erschütterten und lähmten, ja ver-
nichteten ihn doch dergestalt, daß er sich lange nicht
entschließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg
zu richten, seinen väterlichen Freund, den Baron, aus-

daß Nolten ſeit einem vollen Monat und darüber
nichts von ſich hören ließ. Der Alte fand es uner-
klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die
fatale Geſchichte entſtanden ſeyn möchte, war kaum
gedenkbar, da weiter Niemand darum wiſſen konnte;
möglicher ſchien es, daß Nolten krank, daß Briefe
verloren gegangen ſeyen. Agnes hatte dabei ihre
beſonderen Gedanken und ſchwieg nur immer, indem
ſie auf etwas Entſcheidendes zu ſpannen ſchien.

Wirklich hatte ſich inzwiſchen nicht wenig Be-
deutendes in der Ferne zugetragen.

Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt-
ſchaft des Förſterhauſes gemacht, von zwei verſchie-
denen Seiten und von ſehr wohlmeinenden Perſonen
Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein ſehr
zweideutiges Benehmen des Alten und ſeiner Tochter
in Betreff des jungen Menſchen aufmerkſam gemacht
wurde. Eine dieſer Warnungen kam ſogar von dem
guten Baron auf dem Schloſſe bei Neuburg, welcher
ſonſt mit dem Förſter in freundlichem Vernehmen
ſtand, und von deſſen Rechtlichkeit und vorſichtigem
Urtheil ſich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er-
warten ließ. Schon dieſe erſten Laute des Verdachts,
obgleich ſie unſern Maler noch keineswegs zu über-
zeugen vermochten, erſchütterten und lähmten, ja ver-
nichteten ihn doch dergeſtalt, daß er ſich lange nicht
entſchließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg
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[88/0096] daß Nolten ſeit einem vollen Monat und darüber nichts von ſich hören ließ. Der Alte fand es uner- klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die fatale Geſchichte entſtanden ſeyn möchte, war kaum gedenkbar, da weiter Niemand darum wiſſen konnte; möglicher ſchien es, daß Nolten krank, daß Briefe verloren gegangen ſeyen. Agnes hatte dabei ihre beſonderen Gedanken und ſchwieg nur immer, indem ſie auf etwas Entſcheidendes zu ſpannen ſchien. Wirklich hatte ſich inzwiſchen nicht wenig Be- deutendes in der Ferne zugetragen. Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt- ſchaft des Förſterhauſes gemacht, von zwei verſchie- denen Seiten und von ſehr wohlmeinenden Perſonen Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein ſehr zweideutiges Benehmen des Alten und ſeiner Tochter in Betreff des jungen Menſchen aufmerkſam gemacht wurde. Eine dieſer Warnungen kam ſogar von dem guten Baron auf dem Schloſſe bei Neuburg, welcher ſonſt mit dem Förſter in freundlichem Vernehmen ſtand, und von deſſen Rechtlichkeit und vorſichtigem Urtheil ſich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er- warten ließ. Schon dieſe erſten Laute des Verdachts, obgleich ſie unſern Maler noch keineswegs zu über- zeugen vermochten, erſchütterten und lähmten, ja ver- nichteten ihn doch dergeſtalt, daß er ſich lange nicht entſchließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg zu richten, ſeinen väterlichen Freund, den Baron, aus-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/96>, abgerufen am 04.05.2024.