Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

war der günstige Erfolg, dessen er sich vollkommen ver-
sichert hielt, gewissermaßen auf seine Entfernung be-
rechnet.

Nun schrieb er an Agnesen, und wirklich, er
dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male sey.
Was für ein Thor man doch ist! rief er aus, indem er
nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich
ergözt, von der innersten Seele dieses lieblichen Wesens
gleichsam Besitz zu nehmen, und um so größer war
mein Glück, je mehr ich's unerkannt und wie ein Dieb
genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle
mir wohl, während ich ihr in der That so viel wie
Nichts bedeute; ich schütte unter angenommener Firma
die ganze Gluth, die lezte, mühsam angefachte Kohle
meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und schmeichle
mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieses Blatt
sie wiederum für mich erwärme. O närrischer Teufel
du! kannst du nicht morgen verschollen, gestorben, be-
graben seyn, und wächst der Schönen drum auch nur
ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu-
schung wohl gethan, sie half mir in hundert schwülen
Augenblicken den Glauben an mich selbst aufrecht er-
halten. Es fragt sich, ob es nicht ähnliche Täuschun-
gen gibt, eben in Bezug auf unsre herrlichsten Gefühle?
Uod doch, es scheint in Allen etwas zu liegen, das ih-
nen einen ewigen Werth verleiht. Gesezt, ich werde
diesem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von
Angesicht zu Angesicht begegnen, gesezt, es bliebe ihr all

war der günſtige Erfolg, deſſen er ſich vollkommen ver-
ſichert hielt, gewiſſermaßen auf ſeine Entfernung be-
rechnet.

Nun ſchrieb er an Agneſen, und wirklich, er
dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male ſey.
Was für ein Thor man doch iſt! rief er aus, indem er
nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich
ergözt, von der innerſten Seele dieſes lieblichen Weſens
gleichſam Beſitz zu nehmen, und um ſo größer war
mein Glück, je mehr ich’s unerkannt und wie ein Dieb
genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle
mir wohl, während ich ihr in der That ſo viel wie
Nichts bedeute; ich ſchütte unter angenommener Firma
die ganze Gluth, die lezte, mühſam angefachte Kohle
meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und ſchmeichle
mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieſes Blatt
ſie wiederum für mich erwärme. O närriſcher Teufel
du! kannſt du nicht morgen verſchollen, geſtorben, be-
graben ſeyn, und wächst der Schönen drum auch nur
ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu-
ſchung wohl gethan, ſie half mir in hundert ſchwülen
Augenblicken den Glauben an mich ſelbſt aufrecht er-
halten. Es fragt ſich, ob es nicht ähnliche Täuſchun-
gen gibt, eben in Bezug auf unſre herrlichſten Gefühle?
Uod doch, es ſcheint in Allen etwas zu liegen, das ih-
nen einen ewigen Werth verleiht. Geſezt, ich werde
dieſem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von
Angeſicht zu Angeſicht begegnen, geſezt, es bliebe ihr all

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="347"/>
war der gün&#x017F;tige Erfolg, de&#x017F;&#x017F;en er &#x017F;ich vollkommen ver-<lb/>
&#x017F;ichert hielt, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen auf &#x017F;eine Entfernung be-<lb/>
rechnet.</p><lb/>
          <p>Nun &#x017F;chrieb er an <hi rendition="#g">Agne&#x017F;en</hi>, und wirklich, er<lb/>
dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male &#x017F;ey.<lb/>
Was für ein Thor man doch i&#x017F;t! rief er aus, indem er<lb/>
nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich<lb/>
ergözt, von der inner&#x017F;ten Seele die&#x017F;es lieblichen We&#x017F;ens<lb/>
gleich&#x017F;am Be&#x017F;itz zu nehmen, und um &#x017F;o größer war<lb/>
mein Glück, je mehr ich&#x2019;s unerkannt und wie ein Dieb<lb/>
genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle<lb/>
mir wohl, während ich ihr in der That &#x017F;o viel wie<lb/>
Nichts bedeute; ich &#x017F;chütte unter angenommener Firma<lb/>
die ganze Gluth, die lezte, müh&#x017F;am angefachte Kohle<lb/>
meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und &#x017F;chmeichle<lb/>
mir was Rechts bei dem Gedanken, daß die&#x017F;es Blatt<lb/>
&#x017F;ie wiederum für <hi rendition="#g">mich</hi> erwärme. O närri&#x017F;cher Teufel<lb/>
du! kann&#x017F;t du nicht morgen ver&#x017F;chollen, ge&#x017F;torben, be-<lb/>
graben &#x017F;eyn, und wächst der Schönen drum auch nur<lb/>
ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu-<lb/>
&#x017F;chung wohl gethan, &#x017F;ie half mir in hundert &#x017F;chwülen<lb/>
Augenblicken den Glauben an mich &#x017F;elb&#x017F;t aufrecht er-<lb/>
halten. Es fragt &#x017F;ich, ob es nicht ähnliche Täu&#x017F;chun-<lb/>
gen gibt, eben in Bezug auf un&#x017F;re herrlich&#x017F;ten Gefühle?<lb/>
Uod doch, es &#x017F;cheint in Allen etwas zu liegen, das ih-<lb/>
nen einen ewigen Werth verleiht. Ge&#x017F;ezt, ich werde<lb/>
die&#x017F;em wackern Kinde an keinem Orte der Welt von<lb/>
Ange&#x017F;icht zu Ange&#x017F;icht begegnen, ge&#x017F;ezt, es bliebe ihr all<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0033] war der günſtige Erfolg, deſſen er ſich vollkommen ver- ſichert hielt, gewiſſermaßen auf ſeine Entfernung be- rechnet. Nun ſchrieb er an Agneſen, und wirklich, er dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male ſey. Was für ein Thor man doch iſt! rief er aus, indem er nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich ergözt, von der innerſten Seele dieſes lieblichen Weſens gleichſam Beſitz zu nehmen, und um ſo größer war mein Glück, je mehr ich’s unerkannt und wie ein Dieb genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle mir wohl, während ich ihr in der That ſo viel wie Nichts bedeute; ich ſchütte unter angenommener Firma die ganze Gluth, die lezte, mühſam angefachte Kohle meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und ſchmeichle mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieſes Blatt ſie wiederum für mich erwärme. O närriſcher Teufel du! kannſt du nicht morgen verſchollen, geſtorben, be- graben ſeyn, und wächst der Schönen drum auch nur ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu- ſchung wohl gethan, ſie half mir in hundert ſchwülen Augenblicken den Glauben an mich ſelbſt aufrecht er- halten. Es fragt ſich, ob es nicht ähnliche Täuſchun- gen gibt, eben in Bezug auf unſre herrlichſten Gefühle? Uod doch, es ſcheint in Allen etwas zu liegen, das ih- nen einen ewigen Werth verleiht. Geſezt, ich werde dieſem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von Angeſicht zu Angeſicht begegnen, geſezt, es bliebe ihr all

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/33
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/33>, abgerufen am 15.10.2024.