war der günstige Erfolg, dessen er sich vollkommen ver- sichert hielt, gewissermaßen auf seine Entfernung be- rechnet.
Nun schrieb er an Agnesen, und wirklich, er dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male sey. Was für ein Thor man doch ist! rief er aus, indem er nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich ergözt, von der innersten Seele dieses lieblichen Wesens gleichsam Besitz zu nehmen, und um so größer war mein Glück, je mehr ich's unerkannt und wie ein Dieb genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle mir wohl, während ich ihr in der That so viel wie Nichts bedeute; ich schütte unter angenommener Firma die ganze Gluth, die lezte, mühsam angefachte Kohle meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und schmeichle mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieses Blatt sie wiederum für mich erwärme. O närrischer Teufel du! kannst du nicht morgen verschollen, gestorben, be- graben seyn, und wächst der Schönen drum auch nur ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu- schung wohl gethan, sie half mir in hundert schwülen Augenblicken den Glauben an mich selbst aufrecht er- halten. Es fragt sich, ob es nicht ähnliche Täuschun- gen gibt, eben in Bezug auf unsre herrlichsten Gefühle? Uod doch, es scheint in Allen etwas zu liegen, das ih- nen einen ewigen Werth verleiht. Gesezt, ich werde diesem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von Angesicht zu Angesicht begegnen, gesezt, es bliebe ihr all
war der günſtige Erfolg, deſſen er ſich vollkommen ver- ſichert hielt, gewiſſermaßen auf ſeine Entfernung be- rechnet.
Nun ſchrieb er an Agneſen, und wirklich, er dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male ſey. Was für ein Thor man doch iſt! rief er aus, indem er nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich ergözt, von der innerſten Seele dieſes lieblichen Weſens gleichſam Beſitz zu nehmen, und um ſo größer war mein Glück, je mehr ich’s unerkannt und wie ein Dieb genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle mir wohl, während ich ihr in der That ſo viel wie Nichts bedeute; ich ſchütte unter angenommener Firma die ganze Gluth, die lezte, mühſam angefachte Kohle meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und ſchmeichle mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieſes Blatt ſie wiederum für mich erwärme. O närriſcher Teufel du! kannſt du nicht morgen verſchollen, geſtorben, be- graben ſeyn, und wächst der Schönen drum auch nur ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu- ſchung wohl gethan, ſie half mir in hundert ſchwülen Augenblicken den Glauben an mich ſelbſt aufrecht er- halten. Es fragt ſich, ob es nicht ähnliche Täuſchun- gen gibt, eben in Bezug auf unſre herrlichſten Gefühle? Uod doch, es ſcheint in Allen etwas zu liegen, das ih- nen einen ewigen Werth verleiht. Geſezt, ich werde dieſem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von Angeſicht zu Angeſicht begegnen, geſezt, es bliebe ihr all
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0033"n="347"/>
war der günſtige Erfolg, deſſen er ſich vollkommen ver-<lb/>ſichert hielt, gewiſſermaßen auf ſeine Entfernung be-<lb/>
rechnet.</p><lb/><p>Nun ſchrieb er an <hirendition="#g">Agneſen</hi>, und wirklich, er<lb/>
dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male ſey.<lb/>
Was für ein Thor man doch iſt! rief er aus, indem er<lb/>
nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich<lb/>
ergözt, von der innerſten Seele dieſes lieblichen Weſens<lb/>
gleichſam Beſitz zu nehmen, und um ſo größer war<lb/>
mein Glück, je mehr ich’s unerkannt und wie ein Dieb<lb/>
genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle<lb/>
mir wohl, während ich ihr in der That ſo viel wie<lb/>
Nichts bedeute; ich ſchütte unter angenommener Firma<lb/>
die ganze Gluth, die lezte, mühſam angefachte Kohle<lb/>
meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und ſchmeichle<lb/>
mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieſes Blatt<lb/>ſie wiederum für <hirendition="#g">mich</hi> erwärme. O närriſcher Teufel<lb/>
du! kannſt du nicht morgen verſchollen, geſtorben, be-<lb/>
graben ſeyn, und wächst der Schönen drum auch nur<lb/>
ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu-<lb/>ſchung wohl gethan, ſie half mir in hundert ſchwülen<lb/>
Augenblicken den Glauben an mich ſelbſt aufrecht er-<lb/>
halten. Es fragt ſich, ob es nicht ähnliche Täuſchun-<lb/>
gen gibt, eben in Bezug auf unſre herrlichſten Gefühle?<lb/>
Uod doch, es ſcheint in Allen etwas zu liegen, das ih-<lb/>
nen einen ewigen Werth verleiht. Geſezt, ich werde<lb/>
dieſem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von<lb/>
Angeſicht zu Angeſicht begegnen, geſezt, es bliebe ihr all<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[347/0033]
war der günſtige Erfolg, deſſen er ſich vollkommen ver-
ſichert hielt, gewiſſermaßen auf ſeine Entfernung be-
rechnet.
Nun ſchrieb er an Agneſen, und wirklich, er
dachte nur ungerne daran, daß es zum lezten Male ſey.
Was für ein Thor man doch iſt! rief er aus, indem er
nachdenklich die Feder weglegte. Mitunter hat es mich
ergözt, von der innerſten Seele dieſes lieblichen Weſens
gleichſam Beſitz zu nehmen, und um ſo größer war
mein Glück, je mehr ich’s unerkannt und wie ein Dieb
genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle
mir wohl, während ich ihr in der That ſo viel wie
Nichts bedeute; ich ſchütte unter angenommener Firma
die ganze Gluth, die lezte, mühſam angefachte Kohle
meines abgelebten Herzens auf dieß Papier und ſchmeichle
mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieſes Blatt
ſie wiederum für mich erwärme. O närriſcher Teufel
du! kannſt du nicht morgen verſchollen, geſtorben, be-
graben ſeyn, und wächst der Schönen drum auch nur
ein Härchen anders? Bei alle dem hat mir die Täu-
ſchung wohl gethan, ſie half mir in hundert ſchwülen
Augenblicken den Glauben an mich ſelbſt aufrecht er-
halten. Es fragt ſich, ob es nicht ähnliche Täuſchun-
gen gibt, eben in Bezug auf unſre herrlichſten Gefühle?
Uod doch, es ſcheint in Allen etwas zu liegen, das ih-
nen einen ewigen Werth verleiht. Geſezt, ich werde
dieſem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von
Angeſicht zu Angeſicht begegnen, geſezt, es bliebe ihr all
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/33>, abgerufen am 15.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.