Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Schutzrede der Packenträger.
dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da für eine Poli-
cey seyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge-
sogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die
Leute müssen ja ärmer seyn als die Wilden; und man hat mir
gar dabey gesagt: sie hätten keine Justitz, und ein Proceß
käme nie zu Ende. Da mögte der Henker Kaufmann seyn
und borgen.

Wisset ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich
kann ihnen, sagte er, von der dortigen Policey und Justitz nichts
sagen; ich habe wenigstens nie von einem Gesetzbuche *),
von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort gehört. Aber
das weis ich, daß die Zinsen dort vor dem Kriege nicht höher
als zu 3 p. C. gewesen, und jezt zum Theil zu vieren gestie-
gen sind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat-
handschrift oder auf ein Wort borge als anderwärts auf ge-
richtliche Briefe; daß die liegenden Gründe dort höher im
Preise sind, als sonst irgendwo; daß man seine Bezahlung
dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner
nicht säumig sey; daß die Leute dort zufriedener sind, als bey
euch, und daß ohne Policey- und Justitzverordnungen, ein
jeder so ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen hören
wir in den Ländern, worinn von nichts als Justitz und Poli-
cey gesprochen wird, daß die Zinsen ohne Handel allemal um
1 bis 2 p. C. höher gewesen; daß man dort adeliche und freye
Güter um ein Drittheil, wo nicht um die Hälfte wohlfeiler
verkaufe; und daß man alle Mühe in der Welt habe, auf
große prächtige und kostbare Verschreibungen ein tausend Tha-
ler zu borgen. Es muß also doch, wenn der Erfahrung zu
trauen, dort so übel nicht seyn, als ihr meynet; und es muß
eine wunderliche Beschaffenheit mit der Klugheit aller Poli-

cey-
*) In pessima quavis republica plurimae sunt leges.
Tacit.

Schutzrede der Packentraͤger.
dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da fuͤr eine Poli-
cey ſeyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge-
ſogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die
Leute muͤſſen ja aͤrmer ſeyn als die Wilden; und man hat mir
gar dabey geſagt: ſie haͤtten keine Juſtitz, und ein Proceß
kaͤme nie zu Ende. Da moͤgte der Henker Kaufmann ſeyn
und borgen.

Wiſſet ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich
kann ihnen, ſagte er, von der dortigen Policey und Juſtitz nichts
ſagen; ich habe wenigſtens nie von einem Geſetzbuche *),
von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort gehoͤrt. Aber
das weis ich, daß die Zinſen dort vor dem Kriege nicht hoͤher
als zu 3 p. C. geweſen, und jezt zum Theil zu vieren geſtie-
gen ſind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat-
handſchrift oder auf ein Wort borge als anderwaͤrts auf ge-
richtliche Briefe; daß die liegenden Gruͤnde dort hoͤher im
Preiſe ſind, als ſonſt irgendwo; daß man ſeine Bezahlung
dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner
nicht ſaͤumig ſey; daß die Leute dort zufriedener ſind, als bey
euch, und daß ohne Policey- und Juſtitzverordnungen, ein
jeder ſo ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen hoͤren
wir in den Laͤndern, worinn von nichts als Juſtitz und Poli-
cey geſprochen wird, daß die Zinſen ohne Handel allemal um
1 bis 2 p. C. hoͤher geweſen; daß man dort adeliche und freye
Guͤter um ein Drittheil, wo nicht um die Haͤlfte wohlfeiler
verkaufe; und daß man alle Muͤhe in der Welt habe, auf
große praͤchtige und koſtbare Verſchreibungen ein tauſend Tha-
ler zu borgen. Es muß alſo doch, wenn der Erfahrung zu
trauen, dort ſo uͤbel nicht ſeyn, als ihr meynet; und es muß
eine wunderliche Beſchaffenheit mit der Klugheit aller Poli-

cey-
*) In peſſima quavis republica plurimæ ſunt leges.
Tacit.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0246" n="228"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schutzrede der Packentra&#x0364;ger.</hi></fw><lb/>
dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da fu&#x0364;r eine Poli-<lb/>
cey &#x017F;eyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge-<lb/>
&#x017F;ogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die<lb/>
Leute mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ja a&#x0364;rmer &#x017F;eyn als die Wilden; und man hat mir<lb/>
gar dabey ge&#x017F;agt: &#x017F;ie ha&#x0364;tten keine Ju&#x017F;titz, und ein Proceß<lb/>
ka&#x0364;me nie zu Ende. Da mo&#x0364;gte der Henker Kaufmann &#x017F;eyn<lb/>
und borgen.</p><lb/>
        <p>Wi&#x017F;&#x017F;et ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich<lb/>
kann ihnen, &#x017F;agte er, von der dortigen Policey und Ju&#x017F;titz nichts<lb/>
&#x017F;agen; ich habe wenig&#x017F;tens nie von einem Ge&#x017F;etzbuche <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">In pe&#x017F;&#x017F;ima quavis republica plurimæ &#x017F;unt leges.<lb/><hi rendition="#k">Tacit.</hi></hi></note>,<lb/>
von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort geho&#x0364;rt. Aber<lb/>
das weis ich, daß die Zin&#x017F;en dort vor dem Kriege nicht ho&#x0364;her<lb/>
als zu 3 p. C. gewe&#x017F;en, und jezt zum Theil zu vieren ge&#x017F;tie-<lb/>
gen &#x017F;ind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat-<lb/>
hand&#x017F;chrift oder auf ein Wort borge als anderwa&#x0364;rts auf ge-<lb/>
richtliche Briefe; daß die liegenden Gru&#x0364;nde dort ho&#x0364;her im<lb/>
Prei&#x017F;e &#x017F;ind, als &#x017F;on&#x017F;t irgendwo; daß man &#x017F;eine Bezahlung<lb/>
dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner<lb/>
nicht &#x017F;a&#x0364;umig &#x017F;ey; daß die Leute dort zufriedener &#x017F;ind, als bey<lb/>
euch, und daß ohne Policey- und Ju&#x017F;titzverordnungen, ein<lb/>
jeder &#x017F;o ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen ho&#x0364;ren<lb/>
wir in den La&#x0364;ndern, worinn von nichts als Ju&#x017F;titz und Poli-<lb/>
cey ge&#x017F;prochen wird, daß die Zin&#x017F;en ohne Handel allemal um<lb/>
1 bis 2 p. C. ho&#x0364;her gewe&#x017F;en; daß man dort adeliche und freye<lb/>
Gu&#x0364;ter um ein Drittheil, wo nicht um die Ha&#x0364;lfte wohlfeiler<lb/>
verkaufe; und daß man alle Mu&#x0364;he in der Welt habe, auf<lb/>
große pra&#x0364;chtige und ko&#x017F;tbare Ver&#x017F;chreibungen ein tau&#x017F;end Tha-<lb/>
ler zu borgen. Es muß al&#x017F;o doch, wenn der Erfahrung zu<lb/>
trauen, dort &#x017F;o u&#x0364;bel nicht &#x017F;eyn, als ihr meynet; und es muß<lb/>
eine wunderliche Be&#x017F;chaffenheit mit der Klugheit aller Poli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">cey-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0246] Schutzrede der Packentraͤger. dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da fuͤr eine Poli- cey ſeyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge- ſogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die Leute muͤſſen ja aͤrmer ſeyn als die Wilden; und man hat mir gar dabey geſagt: ſie haͤtten keine Juſtitz, und ein Proceß kaͤme nie zu Ende. Da moͤgte der Henker Kaufmann ſeyn und borgen. Wiſſet ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich kann ihnen, ſagte er, von der dortigen Policey und Juſtitz nichts ſagen; ich habe wenigſtens nie von einem Geſetzbuche *), von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort gehoͤrt. Aber das weis ich, daß die Zinſen dort vor dem Kriege nicht hoͤher als zu 3 p. C. geweſen, und jezt zum Theil zu vieren geſtie- gen ſind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat- handſchrift oder auf ein Wort borge als anderwaͤrts auf ge- richtliche Briefe; daß die liegenden Gruͤnde dort hoͤher im Preiſe ſind, als ſonſt irgendwo; daß man ſeine Bezahlung dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner nicht ſaͤumig ſey; daß die Leute dort zufriedener ſind, als bey euch, und daß ohne Policey- und Juſtitzverordnungen, ein jeder ſo ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen hoͤren wir in den Laͤndern, worinn von nichts als Juſtitz und Poli- cey geſprochen wird, daß die Zinſen ohne Handel allemal um 1 bis 2 p. C. hoͤher geweſen; daß man dort adeliche und freye Guͤter um ein Drittheil, wo nicht um die Haͤlfte wohlfeiler verkaufe; und daß man alle Muͤhe in der Welt habe, auf große praͤchtige und koſtbare Verſchreibungen ein tauſend Tha- ler zu borgen. Es muß alſo doch, wenn der Erfahrung zu trauen, dort ſo uͤbel nicht ſeyn, als ihr meynet; und es muß eine wunderliche Beſchaffenheit mit der Klugheit aller Poli- cey- *) In peſſima quavis republica plurimæ ſunt leges. Tacit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/246
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/246>, abgerufen am 02.05.2024.