Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben eines westphäl. Schulmeisters,
orten hangen bleibe, auch wohl auf der See sein junges Leben
einbüsse. Allein es kommt mir doch immer so vor, als wenn
wir auch etwas mehrers verlieren könnten als andre Länder;
und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorsehung so
hingeworfen, wohl so gut besetzet sey, als die retchen und ge-
segneten Fluren, welche glücklichere Nationen zu ihrem Erb-
theil erhalten haben. Ich kann solches Euer Intelligenzien
nicht besser bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege,
welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel-
den, selbst im Rechnen und Schreiben unterwiesen habe, bey
Feyerabend mehrmalen gehabt habe.

Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un-
serm Lande nur als Bedienter gereiset ist, aber doch auf alles
gute Acht gegeben hat, erzählete mir, daß die Franzosen,
diese volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographische
Quadratmeilen rechneten, und daß auf diesem großen Boden
zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwärts unter der
Minderjährigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr
1764 sechzehn Millionen gezählet und gerechnet worden. Gut,
dachte ich, nun wollen wir bald sehen, wer der beste sey.
Unser Stift hält nach der von dem Herrn Obristlieutenant von
dem Bussche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich
beträgt unser Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie
viel Einwohner müßten wir also haben, wenn unser Land
eben so volkreich als Frankreich seyn solte? Die Antwort war
leicht, höchstens 50000. Wie viel haben wir aber würklich?
An gezählten Köpfen hundert sechzehntausend sechshundert
vier und sechzig. *)

Das
*) Die Zählung geschahe erst bey der Theurung im Jahr 1772.
und wurden damals 19684. Wohnungen gezählt; mithin
kommen auf jedes Haus über 5 Menschen.

Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,
orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Leben
einbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn
wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder;
und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo
hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge-
ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb-
theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien
nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege,
welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel-
den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey
Feyerabend mehrmalen gehabt habe.

Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un-
ſerm Lande nur als Bedienter gereiſet iſt, aber doch auf alles
gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzoſen,
dieſe volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographiſche
Quadratmeilen rechneten, und daß auf dieſem großen Boden
zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwaͤrts unter der
Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr
1764 ſechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut,
dachte ich, nun wollen wir bald ſehen, wer der beſte ſey.
Unſer Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obriſtlieutenant von
dem Buſſche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich
betraͤgt unſer Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie
viel Einwohner muͤßten wir alſo haben, wenn unſer Land
eben ſo volkreich als Frankreich ſeyn ſolte? Die Antwort war
leicht, hoͤchſtens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich?
An gezaͤhlten Koͤpfen hundert ſechzehntauſend ſechshundert
vier und ſechzig. *)

Das
*) Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772.
und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin
kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben eines we&#x017F;tpha&#x0364;l. Schulmei&#x017F;ters,</hi></fw><lb/>
orten hangen bleibe, auch wohl auf der See &#x017F;ein junges Leben<lb/>
einbu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Allein es kommt mir doch immer &#x017F;o vor, als wenn<lb/>
wir auch etwas mehrers verlieren ko&#x0364;nnten als andre La&#x0364;nder;<lb/>
und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vor&#x017F;ehung &#x017F;o<lb/>
hingeworfen, wohl &#x017F;o gut be&#x017F;etzet &#x017F;ey, als die retchen und ge-<lb/>
&#x017F;egneten Fluren, welche glu&#x0364;cklichere Nationen zu ihrem Erb-<lb/>
theil erhalten haben. Ich kann &#x017F;olches Euer Intelligenzien<lb/>
nicht be&#x017F;&#x017F;er bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege,<lb/>
welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel-<lb/>
den, &#x017F;elb&#x017F;t im Rechnen und Schreiben unterwie&#x017F;en habe, bey<lb/>
Feyerabend mehrmalen gehabt habe.</p><lb/>
        <p>Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un-<lb/>
&#x017F;erm Lande nur als Bedienter gerei&#x017F;et i&#x017F;t, aber doch auf alles<lb/>
gute Acht gegeben hat, erza&#x0364;hlete mir, daß die Franzo&#x017F;en,<lb/>
die&#x017F;e volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographi&#x017F;che<lb/>
Quadratmeilen rechneten, und daß auf die&#x017F;em großen Boden<lb/>
zur Zeit Ludewigs des <hi rendition="#aq">XIV.</hi> zwanzig; nachwa&#x0364;rts unter der<lb/>
Minderja&#x0364;hrigkeit Ludewigs des <hi rendition="#aq">XV.</hi> achtzehn, und im Jahr<lb/>
1764 &#x017F;echzehn Millionen geza&#x0364;hlet und gerechnet worden. Gut,<lb/>
dachte ich, nun wollen wir bald &#x017F;ehen, wer der be&#x017F;te &#x017F;ey.<lb/>
Un&#x017F;er Stift ha&#x0364;lt nach der von dem Herrn Obri&#x017F;tlieutenant von<lb/>
dem Bu&#x017F;&#x017F;che verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich<lb/>
betra&#x0364;gt un&#x017F;er Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie<lb/>
viel Einwohner mu&#x0364;ßten wir al&#x017F;o haben, wenn un&#x017F;er Land<lb/>
eben &#x017F;o volkreich als Frankreich &#x017F;eyn &#x017F;olte? Die Antwort war<lb/>
leicht, ho&#x0364;ch&#x017F;tens 50000. Wie viel haben wir aber wu&#x0364;rklich?<lb/>
An geza&#x0364;hlten Ko&#x0364;pfen hundert &#x017F;echzehntau&#x017F;end &#x017F;echshundert<lb/>
vier und &#x017F;echzig. <note place="foot" n="*)">Die Za&#x0364;hlung ge&#x017F;chahe er&#x017F;t bey der Theurung im Jahr 1772.<lb/>
und wurden damals 19684. Wohnungen geza&#x0364;hlt; mithin<lb/>
kommen auf jedes Haus u&#x0364;ber 5 Men&#x017F;chen.</note></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0258] Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters, orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Leben einbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder; und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge- ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb- theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege, welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel- den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey Feyerabend mehrmalen gehabt habe. Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un- ſerm Lande nur als Bedienter gereiſet iſt, aber doch auf alles gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzoſen, dieſe volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographiſche Quadratmeilen rechneten, und daß auf dieſem großen Boden zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwaͤrts unter der Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr 1764 ſechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut, dachte ich, nun wollen wir bald ſehen, wer der beſte ſey. Unſer Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obriſtlieutenant von dem Buſſche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich betraͤgt unſer Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie viel Einwohner muͤßten wir alſo haben, wenn unſer Land eben ſo volkreich als Frankreich ſeyn ſolte? Die Antwort war leicht, hoͤchſtens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich? An gezaͤhlten Koͤpfen hundert ſechzehntauſend ſechshundert vier und ſechzig. *) Das *) Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772. und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/258
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/258>, abgerufen am 26.04.2024.