Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben einer Frau
noch die Züge, worin sich dir ehedem das beste, das empfind-
lichste Herz ausdrückte, worinn ich dich zum erstenmal ver-
sicherte: Daß ich dich über alles liebte. Wie glänzend war
damals alles! und wie glücklich glaubte ich zu werden! ich
stellete mir da noch nicht vor, daß ich einst nach Brodte seuf-
zen und solches nicht erhalten würde; daß ich die erste Frucht
unsrer Liebe mit andern als Freudenthränen benetzen; und
daß dein erstgebohrner, o Geliebter! an meiner Brust ver-
hungern würde. Ich war jung und unerfahren, und lebte
nur für dein Vergnügen. Jedes Geschenk das du mir so
schmeichelhaft machtest, nahm ich freudig an, um mich damit
zu schmücken und dir so viel mehr zu gefallen; dir trauete ich
Ueberlegung und mir nichts als Folgsamkeit zu. Warum über-
legtest du denn nicht wie deine Ausgaben unsre Einnahme
nicht übersteigen dürften? Warum muntertest du mich selbst
auf und nöthigtest mich fast jeder Mode zu folgen und in ei-
nem Tage das zu verschwenden, was ein ganzes Jahr zu un-
sern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben würde? Und warum
mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver-
nunft seyn? Dir kam es zu, mir zu sagen, was ich ausgeben
und was ich ersparen solte. Von deiner Liebe konnte ich diesen
Rath erwarten; und wie süß würde mir in deiner Gesellschaft
auch das Brod gewesen seyn, was ich hätte mit Spinnen er-
werben müssen! Ja Geliebter, wir konnten glücklich seyn.
Unsre wahren Bedürfnisse waren nicht groß; wir hätten sie
mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einkünf-
ten die wir hatten, befriedigen können; und wann ich dann
nach einem mühsamen Tage nur einen erkenntlichen Blick von
dir erhalten hätte; wie glücklich würde ich dann in deinen
Armen geruhet haben! Ich war jung und zärtlich; und nicht
übel erzogen, ein Wort von dir würde einen unauslöschlichen
Eindruck in meinem Gemüthe hinterlassen haben. Ein offen-

her-

Schreiben einer Frau
noch die Zuͤge, worin ſich dir ehedem das beſte, das empfind-
lichſte Herz ausdruͤckte, worinn ich dich zum erſtenmal ver-
ſicherte: Daß ich dich uͤber alles liebte. Wie glaͤnzend war
damals alles! und wie gluͤcklich glaubte ich zu werden! ich
ſtellete mir da noch nicht vor, daß ich einſt nach Brodte ſeuf-
zen und ſolches nicht erhalten wuͤrde; daß ich die erſte Frucht
unſrer Liebe mit andern als Freudenthraͤnen benetzen; und
daß dein erſtgebohrner, o Geliebter! an meiner Bruſt ver-
hungern wuͤrde. Ich war jung und unerfahren, und lebte
nur fuͤr dein Vergnuͤgen. Jedes Geſchenk das du mir ſo
ſchmeichelhaft machteſt, nahm ich freudig an, um mich damit
zu ſchmuͤcken und dir ſo viel mehr zu gefallen; dir trauete ich
Ueberlegung und mir nichts als Folgſamkeit zu. Warum uͤber-
legteſt du denn nicht wie deine Ausgaben unſre Einnahme
nicht uͤberſteigen duͤrften? Warum munterteſt du mich ſelbſt
auf und noͤthigteſt mich faſt jeder Mode zu folgen und in ei-
nem Tage das zu verſchwenden, was ein ganzes Jahr zu un-
ſern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben wuͤrde? Und warum
mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver-
nunft ſeyn? Dir kam es zu, mir zu ſagen, was ich ausgeben
und was ich erſparen ſolte. Von deiner Liebe konnte ich dieſen
Rath erwarten; und wie ſuͤß wuͤrde mir in deiner Geſellſchaft
auch das Brod geweſen ſeyn, was ich haͤtte mit Spinnen er-
werben muͤſſen! Ja Geliebter, wir konnten gluͤcklich ſeyn.
Unſre wahren Beduͤrfniſſe waren nicht groß; wir haͤtten ſie
mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einkuͤnf-
ten die wir hatten, befriedigen koͤnnen; und wann ich dann
nach einem muͤhſamen Tage nur einen erkenntlichen Blick von
dir erhalten haͤtte; wie gluͤcklich wuͤrde ich dann in deinen
Armen geruhet haben! Ich war jung und zaͤrtlich; und nicht
uͤbel erzogen, ein Wort von dir wuͤrde einen unausloͤſchlichen
Eindruck in meinem Gemuͤthe hinterlaſſen haben. Ein offen-

her-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0352" n="334"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben einer Frau</hi></fw><lb/>
noch die Zu&#x0364;ge, worin &#x017F;ich dir ehedem das be&#x017F;te, das empfind-<lb/>
lich&#x017F;te Herz ausdru&#x0364;ckte, worinn ich dich zum er&#x017F;tenmal ver-<lb/>
&#x017F;icherte: Daß ich dich u&#x0364;ber alles liebte. Wie gla&#x0364;nzend war<lb/>
damals alles! und wie glu&#x0364;cklich glaubte ich zu werden! ich<lb/>
&#x017F;tellete mir da noch nicht vor, daß ich ein&#x017F;t nach Brodte &#x017F;euf-<lb/>
zen und &#x017F;olches nicht erhalten wu&#x0364;rde; daß ich die er&#x017F;te Frucht<lb/>
un&#x017F;rer Liebe mit andern als Freudenthra&#x0364;nen benetzen; und<lb/>
daß dein er&#x017F;tgebohrner, o Geliebter! an meiner Bru&#x017F;t ver-<lb/>
hungern wu&#x0364;rde. Ich war jung und unerfahren, und lebte<lb/>
nur fu&#x0364;r dein Vergnu&#x0364;gen. Jedes Ge&#x017F;chenk das du mir &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chmeichelhaft machte&#x017F;t, nahm ich freudig an, um mich damit<lb/>
zu &#x017F;chmu&#x0364;cken und dir &#x017F;o viel mehr zu gefallen; dir trauete ich<lb/>
Ueberlegung und mir nichts als Folg&#x017F;amkeit zu. Warum u&#x0364;ber-<lb/>
legte&#x017F;t du denn nicht wie deine Ausgaben un&#x017F;re Einnahme<lb/>
nicht u&#x0364;ber&#x017F;teigen du&#x0364;rften? Warum munterte&#x017F;t du mich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auf und no&#x0364;thigte&#x017F;t mich fa&#x017F;t jeder Mode zu folgen und in ei-<lb/>
nem Tage das zu ver&#x017F;chwenden, was ein ganzes Jahr zu un-<lb/>
&#x017F;ern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben wu&#x0364;rde? Und warum<lb/>
mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver-<lb/>
nunft &#x017F;eyn? Dir kam es zu, mir zu &#x017F;agen, was ich ausgeben<lb/>
und was ich er&#x017F;paren &#x017F;olte. Von deiner Liebe konnte ich die&#x017F;en<lb/>
Rath erwarten; und wie &#x017F;u&#x0364;ß wu&#x0364;rde mir in deiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
auch das Brod gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, was ich ha&#x0364;tte mit Spinnen er-<lb/>
werben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en! Ja Geliebter, wir konnten glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn.<lb/>
Un&#x017F;re wahren Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e waren nicht groß; wir ha&#x0364;tten &#x017F;ie<lb/>
mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einku&#x0364;nf-<lb/>
ten die wir hatten, befriedigen ko&#x0364;nnen; und wann ich dann<lb/>
nach einem mu&#x0364;h&#x017F;amen Tage nur einen erkenntlichen Blick von<lb/>
dir erhalten ha&#x0364;tte; wie glu&#x0364;cklich wu&#x0364;rde ich dann in deinen<lb/>
Armen geruhet haben! Ich war jung und za&#x0364;rtlich; und nicht<lb/>
u&#x0364;bel erzogen, ein Wort von dir wu&#x0364;rde einen unauslo&#x0364;&#x017F;chlichen<lb/>
Eindruck in meinem Gemu&#x0364;the hinterla&#x017F;&#x017F;en haben. Ein offen-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">her-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0352] Schreiben einer Frau noch die Zuͤge, worin ſich dir ehedem das beſte, das empfind- lichſte Herz ausdruͤckte, worinn ich dich zum erſtenmal ver- ſicherte: Daß ich dich uͤber alles liebte. Wie glaͤnzend war damals alles! und wie gluͤcklich glaubte ich zu werden! ich ſtellete mir da noch nicht vor, daß ich einſt nach Brodte ſeuf- zen und ſolches nicht erhalten wuͤrde; daß ich die erſte Frucht unſrer Liebe mit andern als Freudenthraͤnen benetzen; und daß dein erſtgebohrner, o Geliebter! an meiner Bruſt ver- hungern wuͤrde. Ich war jung und unerfahren, und lebte nur fuͤr dein Vergnuͤgen. Jedes Geſchenk das du mir ſo ſchmeichelhaft machteſt, nahm ich freudig an, um mich damit zu ſchmuͤcken und dir ſo viel mehr zu gefallen; dir trauete ich Ueberlegung und mir nichts als Folgſamkeit zu. Warum uͤber- legteſt du denn nicht wie deine Ausgaben unſre Einnahme nicht uͤberſteigen duͤrften? Warum munterteſt du mich ſelbſt auf und noͤthigteſt mich faſt jeder Mode zu folgen und in ei- nem Tage das zu verſchwenden, was ein ganzes Jahr zu un- ſern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben wuͤrde? Und warum mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver- nunft ſeyn? Dir kam es zu, mir zu ſagen, was ich ausgeben und was ich erſparen ſolte. Von deiner Liebe konnte ich dieſen Rath erwarten; und wie ſuͤß wuͤrde mir in deiner Geſellſchaft auch das Brod geweſen ſeyn, was ich haͤtte mit Spinnen er- werben muͤſſen! Ja Geliebter, wir konnten gluͤcklich ſeyn. Unſre wahren Beduͤrfniſſe waren nicht groß; wir haͤtten ſie mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einkuͤnf- ten die wir hatten, befriedigen koͤnnen; und wann ich dann nach einem muͤhſamen Tage nur einen erkenntlichen Blick von dir erhalten haͤtte; wie gluͤcklich wuͤrde ich dann in deinen Armen geruhet haben! Ich war jung und zaͤrtlich; und nicht uͤbel erzogen, ein Wort von dir wuͤrde einen unausloͤſchlichen Eindruck in meinem Gemuͤthe hinterlaſſen haben. Ein offen- her-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/352
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/352>, abgerufen am 27.04.2024.