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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der Bauerhof als eine Actie betrachtet.
Schaden und Vortheil zu theilen haben; das sage ich, wissen
wir deutlich, und zwar so deutlich, daß wenn jemand fragen
würde: ob nicht auch billig alle und jede Menschen, welche
zur christlichen Kirche gehören, als Mitglieder der ostindi-
schen Compagnie anzusehen wären, der Einfältigste darüber
lachen würde. So einleuchtend diese Begriffe sind, wann
wir sie uns unter einer so bekannten Gestalt gedenken: so
dunkel scheinen sie manchem zu werden, wenn man ihm jede
bürgerliche Gesellschaft als eine solche Compagnie schildert,
jeden Bürger als den Besitzer einer gewissen Actie vorstellet,
und nun zu eben den Folgerungen übergeht, welche wir vor-
hin gemacht haben; nemlich, daß Menschenliebe und Religion
keinen zum Mitgliede einer solchen Gesellschaft machen können,
und daß wir in die offenbarsten Fehlschlüsse verfallen, so bald
wir den Actionisten oder den Bürger mit dem Menschen oder
Christen verwechseln. Hier strauchelt oft der größte Philo-
soph, und unter allen, so viel ihrer die gesellschaftlichen Pflich-
ten und Rechte der Menschen behandelt haben, ist mir keiner
bekannt, der seine idealische Gesellschaft auf gewisse Actien
errichtet, und aus dieser nähern Bestimmung, die Rechte
und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich-
wol ist es natürlich und begreiflich, daß die Verschiedenheit
der Actien auch ganz verschiedene Rechte hervorbringen, und
der Mangel derselben eine völlige Ausschliessung nach sich zie-
hen müsse.

Vielleicht findet mancher auch dieses schon undeutlich, oder
fühlet es doch nicht kräftig genug, was ich sagen will; ich will
also gleich ein Beyspiel zur Erläuterung geben. Viele Phi-
losophen und Juristen sind verlegen, wenn sie einen fruchtba-
ren Begriff von der Knechtschaft geben sollen; sie schwanken
wenn sie uns den Ursprung derselben erklären wollen, und

kom-

Der Bauerhof als eine Actie betrachtet.
Schaden und Vortheil zu theilen haben; das ſage ich, wiſſen
wir deutlich, und zwar ſo deutlich, daß wenn jemand fragen
wuͤrde: ob nicht auch billig alle und jede Menſchen, welche
zur chriſtlichen Kirche gehoͤren, als Mitglieder der oſtindi-
ſchen Compagnie anzuſehen waͤren, der Einfaͤltigſte daruͤber
lachen wuͤrde. So einleuchtend dieſe Begriffe ſind, wann
wir ſie uns unter einer ſo bekannten Geſtalt gedenken: ſo
dunkel ſcheinen ſie manchem zu werden, wenn man ihm jede
buͤrgerliche Geſellſchaft als eine ſolche Compagnie ſchildert,
jeden Buͤrger als den Beſitzer einer gewiſſen Actie vorſtellet,
und nun zu eben den Folgerungen uͤbergeht, welche wir vor-
hin gemacht haben; nemlich, daß Menſchenliebe und Religion
keinen zum Mitgliede einer ſolchen Geſellſchaft machen koͤnnen,
und daß wir in die offenbarſten Fehlſchluͤſſe verfallen, ſo bald
wir den Actioniſten oder den Buͤrger mit dem Menſchen oder
Chriſten verwechſeln. Hier ſtrauchelt oft der groͤßte Philo-
ſoph, und unter allen, ſo viel ihrer die geſellſchaftlichen Pflich-
ten und Rechte der Menſchen behandelt haben, iſt mir keiner
bekannt, der ſeine idealiſche Geſellſchaft auf gewiſſe Actien
errichtet, und aus dieſer naͤhern Beſtimmung, die Rechte
und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich-
wol iſt es natuͤrlich und begreiflich, daß die Verſchiedenheit
der Actien auch ganz verſchiedene Rechte hervorbringen, und
der Mangel derſelben eine voͤllige Ausſchlieſſung nach ſich zie-
hen muͤſſe.

Vielleicht findet mancher auch dieſes ſchon undeutlich, oder
fuͤhlet es doch nicht kraͤftig genug, was ich ſagen will; ich will
alſo gleich ein Beyſpiel zur Erlaͤuterung geben. Viele Phi-
loſophen und Juriſten ſind verlegen, wenn ſie einen fruchtba-
ren Begriff von der Knechtſchaft geben ſollen; ſie ſchwanken
wenn ſie uns den Urſprung derſelben erklaͤren wollen, und

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[138/0156] Der Bauerhof als eine Actie betrachtet. Schaden und Vortheil zu theilen haben; das ſage ich, wiſſen wir deutlich, und zwar ſo deutlich, daß wenn jemand fragen wuͤrde: ob nicht auch billig alle und jede Menſchen, welche zur chriſtlichen Kirche gehoͤren, als Mitglieder der oſtindi- ſchen Compagnie anzuſehen waͤren, der Einfaͤltigſte daruͤber lachen wuͤrde. So einleuchtend dieſe Begriffe ſind, wann wir ſie uns unter einer ſo bekannten Geſtalt gedenken: ſo dunkel ſcheinen ſie manchem zu werden, wenn man ihm jede buͤrgerliche Geſellſchaft als eine ſolche Compagnie ſchildert, jeden Buͤrger als den Beſitzer einer gewiſſen Actie vorſtellet, und nun zu eben den Folgerungen uͤbergeht, welche wir vor- hin gemacht haben; nemlich, daß Menſchenliebe und Religion keinen zum Mitgliede einer ſolchen Geſellſchaft machen koͤnnen, und daß wir in die offenbarſten Fehlſchluͤſſe verfallen, ſo bald wir den Actioniſten oder den Buͤrger mit dem Menſchen oder Chriſten verwechſeln. Hier ſtrauchelt oft der groͤßte Philo- ſoph, und unter allen, ſo viel ihrer die geſellſchaftlichen Pflich- ten und Rechte der Menſchen behandelt haben, iſt mir keiner bekannt, der ſeine idealiſche Geſellſchaft auf gewiſſe Actien errichtet, und aus dieſer naͤhern Beſtimmung, die Rechte und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich- wol iſt es natuͤrlich und begreiflich, daß die Verſchiedenheit der Actien auch ganz verſchiedene Rechte hervorbringen, und der Mangel derſelben eine voͤllige Ausſchlieſſung nach ſich zie- hen muͤſſe. Vielleicht findet mancher auch dieſes ſchon undeutlich, oder fuͤhlet es doch nicht kraͤftig genug, was ich ſagen will; ich will alſo gleich ein Beyſpiel zur Erlaͤuterung geben. Viele Phi- loſophen und Juriſten ſind verlegen, wenn ſie einen fruchtba- ren Begriff von der Knechtſchaft geben ſollen; ſie ſchwanken wenn ſie uns den Urſprung derſelben erklaͤren wollen, und kom-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/156>, abgerufen am 26.04.2024.