Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht überlassen werden.
Willkühr beraubet werden kan? Wofür soll ich einen großen
Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haabe dem Sterb-
falle unterwerfen, wenn ich weiter keine Sicherheit als die
leicht zu verscherzende Gnade meines Herrn habe? Wer wür-
de mir in Noth und Unglück einen Groschen auf Gründe
leihen, die ich alle Augenblick verlieren kan? Der Gutsherr
würde sagen, ich wollte daß der Leibeigenthum aus der
Welt wäre; alle Augenblick kömmt mir der elende Kerl ohne
Geld, ohne Credit und will bald ein Haus, bald ein Pferd
bald eine Kuh haben; ich muß des Kerls dumme Streiche
bezahlen, und alle seine Unvorsichtigkeiten entgelten. Jage
ich einen Bettler fort: so bekomme ich einen andern wieder,
und ich werde von ihm wie von dem vorigen betrogen.

So würde allem Ansehen nach die Lage der Sache seyn,
wenn nicht die gerichtliche Form zwischen dem Gutsherrn
und seinem Leibeignen eingetreten wäre, und dem einen wie
dem andern den Besitz feiner Rechte öffentlich und feyerlich
gewähret hätte. Durch dieselbe ist der Gläubiger, der dem
Leibeignen in der Noth ausgeholfen, in billiger Maaße ge-
sichert; der Freye welcher sich zum Leibeignen ergiebt, wird
dadurch aufgemuntert, den Hof anzunehmen und zu verbessern,
da er weiß, daß ihm solcher nicht ohne seine eigne große
Schuld entzogen werden könne. Der Werth des Hofes
steigt unter der Guarantie des Staats; und der Gutsherr
erhält den Preis dieses erhöheten Werths und den Vortheil
der gerichtlichen Form in dem Weinkaufe. Er braucht end-
lich dem Leibeignen keinen ofnen Beutel zu halten, weil die-
ser unter dem Schutze der gerichtlichen Form selbst einen
billigen Credit findet.

Traurig ist es nun freylich, wenn diese gerichtliche Form
zu einer Zuchtruthe für die Gutsherrn wird, und die Entse-

tzung

nicht uͤberlaſſen werden.
Willkuͤhr beraubet werden kan? Wofuͤr ſoll ich einen großen
Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haabe dem Sterb-
falle unterwerfen, wenn ich weiter keine Sicherheit als die
leicht zu verſcherzende Gnade meines Herrn habe? Wer wuͤr-
de mir in Noth und Ungluͤck einen Groſchen auf Gruͤnde
leihen, die ich alle Augenblick verlieren kan? Der Gutsherr
wuͤrde ſagen, ich wollte daß der Leibeigenthum aus der
Welt waͤre; alle Augenblick koͤmmt mir der elende Kerl ohne
Geld, ohne Credit und will bald ein Haus, bald ein Pferd
bald eine Kuh haben; ich muß des Kerls dumme Streiche
bezahlen, und alle ſeine Unvorſichtigkeiten entgelten. Jage
ich einen Bettler fort: ſo bekomme ich einen andern wieder,
und ich werde von ihm wie von dem vorigen betrogen.

So wuͤrde allem Anſehen nach die Lage der Sache ſeyn,
wenn nicht die gerichtliche Form zwiſchen dem Gutsherrn
und ſeinem Leibeignen eingetreten waͤre, und dem einen wie
dem andern den Beſitz feiner Rechte oͤffentlich und feyerlich
gewaͤhret haͤtte. Durch dieſelbe iſt der Glaͤubiger, der dem
Leibeignen in der Noth ausgeholfen, in billiger Maaße ge-
ſichert; der Freye welcher ſich zum Leibeignen ergiebt, wird
dadurch aufgemuntert, den Hof anzunehmen und zu verbeſſern,
da er weiß, daß ihm ſolcher nicht ohne ſeine eigne große
Schuld entzogen werden koͤnne. Der Werth des Hofes
ſteigt unter der Guarantie des Staats; und der Gutsherr
erhaͤlt den Preis dieſes erhoͤheten Werths und den Vortheil
der gerichtlichen Form in dem Weinkaufe. Er braucht end-
lich dem Leibeignen keinen ofnen Beutel zu halten, weil die-
ſer unter dem Schutze der gerichtlichen Form ſelbſt einen
billigen Credit findet.

Traurig iſt es nun freylich, wenn dieſe gerichtliche Form
zu einer Zuchtruthe fuͤr die Gutsherrn wird, und die Entſe-

tzung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nicht u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en werden.</hi></fw><lb/>
Willku&#x0364;hr beraubet werden kan? Wofu&#x0364;r &#x017F;oll ich einen großen<lb/>
Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haabe dem Sterb-<lb/>
falle unterwerfen, wenn ich weiter keine Sicherheit als die<lb/>
leicht zu ver&#x017F;cherzende Gnade meines Herrn habe? Wer wu&#x0364;r-<lb/>
de mir in Noth und Unglu&#x0364;ck einen Gro&#x017F;chen auf Gru&#x0364;nde<lb/>
leihen, die ich alle Augenblick verlieren kan? Der Gutsherr<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;agen, ich wollte daß der Leibeigenthum aus der<lb/>
Welt wa&#x0364;re; alle Augenblick ko&#x0364;mmt mir der elende Kerl ohne<lb/>
Geld, ohne Credit und will bald ein Haus, bald ein Pferd<lb/>
bald eine Kuh haben; ich muß des Kerls dumme Streiche<lb/>
bezahlen, und alle &#x017F;eine Unvor&#x017F;ichtigkeiten entgelten. Jage<lb/>
ich einen Bettler fort: &#x017F;o bekomme ich einen andern wieder,<lb/>
und ich werde von ihm wie von dem vorigen betrogen.</p><lb/>
        <p>So wu&#x0364;rde allem An&#x017F;ehen nach die Lage der Sache &#x017F;eyn,<lb/>
wenn nicht die gerichtliche Form zwi&#x017F;chen dem Gutsherrn<lb/>
und &#x017F;einem Leibeignen eingetreten wa&#x0364;re, und dem einen wie<lb/>
dem andern den Be&#x017F;itz feiner Rechte o&#x0364;ffentlich und feyerlich<lb/>
gewa&#x0364;hret ha&#x0364;tte. Durch die&#x017F;elbe i&#x017F;t der Gla&#x0364;ubiger, der dem<lb/>
Leibeignen in der Noth ausgeholfen, in billiger Maaße ge-<lb/>
&#x017F;ichert; der Freye welcher &#x017F;ich zum Leibeignen ergiebt, wird<lb/>
dadurch aufgemuntert, den Hof anzunehmen und zu verbe&#x017F;&#x017F;ern,<lb/>
da er weiß, daß ihm &#x017F;olcher nicht ohne &#x017F;eine eigne große<lb/>
Schuld entzogen werden ko&#x0364;nne. Der Werth des Hofes<lb/>
&#x017F;teigt unter der Guarantie des Staats; und der Gutsherr<lb/>
erha&#x0364;lt den Preis die&#x017F;es erho&#x0364;heten Werths und den Vortheil<lb/>
der gerichtlichen Form in dem Weinkaufe. Er braucht end-<lb/>
lich dem Leibeignen keinen ofnen Beutel zu halten, weil die-<lb/>
&#x017F;er unter dem Schutze der gerichtlichen Form &#x017F;elb&#x017F;t einen<lb/>
billigen Credit findet.</p><lb/>
        <p>Traurig i&#x017F;t es nun freylich, wenn die&#x017F;e gerichtliche Form<lb/>
zu einer Zuchtruthe fu&#x0364;r die Gutsherrn wird, und die Ent&#x017F;e-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tzung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0175] nicht uͤberlaſſen werden. Willkuͤhr beraubet werden kan? Wofuͤr ſoll ich einen großen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haabe dem Sterb- falle unterwerfen, wenn ich weiter keine Sicherheit als die leicht zu verſcherzende Gnade meines Herrn habe? Wer wuͤr- de mir in Noth und Ungluͤck einen Groſchen auf Gruͤnde leihen, die ich alle Augenblick verlieren kan? Der Gutsherr wuͤrde ſagen, ich wollte daß der Leibeigenthum aus der Welt waͤre; alle Augenblick koͤmmt mir der elende Kerl ohne Geld, ohne Credit und will bald ein Haus, bald ein Pferd bald eine Kuh haben; ich muß des Kerls dumme Streiche bezahlen, und alle ſeine Unvorſichtigkeiten entgelten. Jage ich einen Bettler fort: ſo bekomme ich einen andern wieder, und ich werde von ihm wie von dem vorigen betrogen. So wuͤrde allem Anſehen nach die Lage der Sache ſeyn, wenn nicht die gerichtliche Form zwiſchen dem Gutsherrn und ſeinem Leibeignen eingetreten waͤre, und dem einen wie dem andern den Beſitz feiner Rechte oͤffentlich und feyerlich gewaͤhret haͤtte. Durch dieſelbe iſt der Glaͤubiger, der dem Leibeignen in der Noth ausgeholfen, in billiger Maaße ge- ſichert; der Freye welcher ſich zum Leibeignen ergiebt, wird dadurch aufgemuntert, den Hof anzunehmen und zu verbeſſern, da er weiß, daß ihm ſolcher nicht ohne ſeine eigne große Schuld entzogen werden koͤnne. Der Werth des Hofes ſteigt unter der Guarantie des Staats; und der Gutsherr erhaͤlt den Preis dieſes erhoͤheten Werths und den Vortheil der gerichtlichen Form in dem Weinkaufe. Er braucht end- lich dem Leibeignen keinen ofnen Beutel zu halten, weil die- ſer unter dem Schutze der gerichtlichen Form ſelbſt einen billigen Credit findet. Traurig iſt es nun freylich, wenn dieſe gerichtliche Form zu einer Zuchtruthe fuͤr die Gutsherrn wird, und die Entſe- tzung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/175
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/175>, abgerufen am 04.05.2024.