Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber das Kunstgefühl.
und neben einander stelle; und es fehle nur da an Kunst-
gefühl und Geschmack, wo man keine Gelegenheit hätte
sich Tangenten zu erwerben.

Der eine fragte mich: ob es nicht da schlechterdings
an dem Weingeschmack fehlen würde, wo wie in der Tür-
key, die Religion den Wein verböte, und ob also nicht
die Religion eine Hinderungsursache des Kunstgefühls
seyn könnte? Der andre: ob ich nicht am liebsten in solche
Länder reisete, wo der Wein gut bezahlet würde? und
ob ich viel Wein in den Staaten absetzte, wo die Unter-
thanen, von Lasten niedergedruckt, das Weintrinken ver-
gäßen? Der dritte: ob nicht ein Klima vor dem andern
mehr Wasser als Wein erforderte? Der vierte: ob man
zu einem guten Weingeschmack gelangte, wenn man
wüste, daß der eine = A, und der andre = B, der
dritte aber, der mit beyden übereinkäme, = AB wäre?
und alle wollten nun wieder ihren vorigen Satz behaup-
ten, daß Religion, Regierungsform, Klima und Er-
ziehung den guten Geschmack hindern und befördern
könnten.

Hier glaubte man mich recht in die Enge getrieben
zu haben. Aber da ich ihnen so weit Recht gab, als sie
Recht hatten: so mußten sie mir auch Recht geben, daß
Religion, Klima, Regierungsform, und eine gewisse
Art von Studiren, an und für sich keinem Menschen den
Geschmack geben oder bilden würden, wofern er ihm
nicht dadurch gegeben würde, daß er recht viele und
richtige Tangenten bekäme, und so käme alles darauf an
wie man ihm diese beybrächte. Hierüber wollte ich mir
den Ausspruch des gelehrten Klubbs erbitten, und mich
und meine Weine immittelst bestens empfohlen haben.

Dieser

Ueber das Kunſtgefuͤhl.
und neben einander ſtelle; und es fehle nur da an Kunſt-
gefuͤhl und Geſchmack, wo man keine Gelegenheit haͤtte
ſich Tangenten zu erwerben.

Der eine fragte mich: ob es nicht da ſchlechterdings
an dem Weingeſchmack fehlen wuͤrde, wo wie in der Tuͤr-
key, die Religion den Wein verboͤte, und ob alſo nicht
die Religion eine Hinderungsurſache des Kunſtgefuͤhls
ſeyn koͤnnte? Der andre: ob ich nicht am liebſten in ſolche
Laͤnder reiſete, wo der Wein gut bezahlet wuͤrde? und
ob ich viel Wein in den Staaten abſetzte, wo die Unter-
thanen, von Laſten niedergedruckt, das Weintrinken ver-
gaͤßen? Der dritte: ob nicht ein Klima vor dem andern
mehr Waſſer als Wein erforderte? Der vierte: ob man
zu einem guten Weingeſchmack gelangte, wenn man
wuͤſte, daß der eine = A, und der andre = B, der
dritte aber, der mit beyden uͤbereinkaͤme, = AB waͤre?
und alle wollten nun wieder ihren vorigen Satz behaup-
ten, daß Religion, Regierungsform, Klima und Er-
ziehung den guten Geſchmack hindern und befoͤrdern
koͤnnten.

Hier glaubte man mich recht in die Enge getrieben
zu haben. Aber da ich ihnen ſo weit Recht gab, als ſie
Recht hatten: ſo mußten ſie mir auch Recht geben, daß
Religion, Klima, Regierungsform, und eine gewiſſe
Art von Studiren, an und fuͤr ſich keinem Menſchen den
Geſchmack geben oder bilden wuͤrden, wofern er ihm
nicht dadurch gegeben wuͤrde, daß er recht viele und
richtige Tangenten bekaͤme, und ſo kaͤme alles darauf an
wie man ihm dieſe beybraͤchte. Hieruͤber wollte ich mir
den Ausſpruch des gelehrten Klubbs erbitten, und mich
und meine Weine immittelſt beſtens empfohlen haben.

Dieſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber das Kun&#x017F;tgefu&#x0364;hl.</hi></fw><lb/>
und neben einander &#x017F;telle; und es fehle nur da an Kun&#x017F;t-<lb/>
gefu&#x0364;hl und Ge&#x017F;chmack, wo man keine Gelegenheit ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ich Tangenten zu erwerben.</p><lb/>
          <p>Der eine fragte mich: ob es nicht da &#x017F;chlechterdings<lb/>
an dem Weinge&#x017F;chmack fehlen wu&#x0364;rde, wo wie in der Tu&#x0364;r-<lb/>
key, die Religion den Wein verbo&#x0364;te, und ob al&#x017F;o nicht<lb/>
die Religion eine Hinderungsur&#x017F;ache des Kun&#x017F;tgefu&#x0364;hls<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnte? Der andre: ob ich nicht am lieb&#x017F;ten in &#x017F;olche<lb/>
La&#x0364;nder rei&#x017F;ete, wo der Wein gut bezahlet wu&#x0364;rde? und<lb/>
ob ich viel Wein in den Staaten ab&#x017F;etzte, wo die Unter-<lb/>
thanen, von La&#x017F;ten niedergedruckt, das Weintrinken ver-<lb/>
ga&#x0364;ßen? Der dritte: ob nicht ein Klima vor dem andern<lb/>
mehr Wa&#x017F;&#x017F;er als Wein erforderte? Der vierte: ob man<lb/>
zu einem guten Weinge&#x017F;chmack gelangte, wenn man<lb/>
wu&#x0364;&#x017F;te, daß der eine = <hi rendition="#aq">A,</hi> und der andre = <hi rendition="#aq">B,</hi> der<lb/>
dritte aber, der mit beyden u&#x0364;bereinka&#x0364;me, = <hi rendition="#aq">AB</hi> wa&#x0364;re?<lb/>
und alle wollten nun wieder ihren vorigen Satz behaup-<lb/>
ten, daß Religion, Regierungsform, Klima und Er-<lb/>
ziehung den guten Ge&#x017F;chmack hindern und befo&#x0364;rdern<lb/>
ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
          <p>Hier glaubte man mich recht in die Enge getrieben<lb/>
zu haben. Aber da ich ihnen &#x017F;o weit Recht gab, als &#x017F;ie<lb/>
Recht hatten: &#x017F;o mußten &#x017F;ie mir auch Recht geben, daß<lb/>
Religion, Klima, Regierungsform, und eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Art von Studiren, an und fu&#x0364;r &#x017F;ich keinem Men&#x017F;chen den<lb/>
Ge&#x017F;chmack geben oder bilden wu&#x0364;rden, wofern er ihm<lb/>
nicht dadurch gegeben wu&#x0364;rde, daß er recht viele und<lb/>
richtige Tangenten beka&#x0364;me, und &#x017F;o ka&#x0364;me alles darauf an<lb/>
wie man ihm die&#x017F;e beybra&#x0364;chte. Hieru&#x0364;ber wollte ich mir<lb/>
den Aus&#x017F;pruch des gelehrten Klubbs erbitten, und mich<lb/>
und meine Weine immittel&#x017F;t be&#x017F;tens empfohlen haben.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;er</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0024] Ueber das Kunſtgefuͤhl. und neben einander ſtelle; und es fehle nur da an Kunſt- gefuͤhl und Geſchmack, wo man keine Gelegenheit haͤtte ſich Tangenten zu erwerben. Der eine fragte mich: ob es nicht da ſchlechterdings an dem Weingeſchmack fehlen wuͤrde, wo wie in der Tuͤr- key, die Religion den Wein verboͤte, und ob alſo nicht die Religion eine Hinderungsurſache des Kunſtgefuͤhls ſeyn koͤnnte? Der andre: ob ich nicht am liebſten in ſolche Laͤnder reiſete, wo der Wein gut bezahlet wuͤrde? und ob ich viel Wein in den Staaten abſetzte, wo die Unter- thanen, von Laſten niedergedruckt, das Weintrinken ver- gaͤßen? Der dritte: ob nicht ein Klima vor dem andern mehr Waſſer als Wein erforderte? Der vierte: ob man zu einem guten Weingeſchmack gelangte, wenn man wuͤſte, daß der eine = A, und der andre = B, der dritte aber, der mit beyden uͤbereinkaͤme, = AB waͤre? und alle wollten nun wieder ihren vorigen Satz behaup- ten, daß Religion, Regierungsform, Klima und Er- ziehung den guten Geſchmack hindern und befoͤrdern koͤnnten. Hier glaubte man mich recht in die Enge getrieben zu haben. Aber da ich ihnen ſo weit Recht gab, als ſie Recht hatten: ſo mußten ſie mir auch Recht geben, daß Religion, Klima, Regierungsform, und eine gewiſſe Art von Studiren, an und fuͤr ſich keinem Menſchen den Geſchmack geben oder bilden wuͤrden, wofern er ihm nicht dadurch gegeben wuͤrde, daß er recht viele und richtige Tangenten bekaͤme, und ſo kaͤme alles darauf an wie man ihm dieſe beybraͤchte. Hieruͤber wollte ich mir den Ausſpruch des gelehrten Klubbs erbitten, und mich und meine Weine immittelſt beſtens empfohlen haben. Dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/24
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/24>, abgerufen am 18.04.2024.