Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Concursprocesse
erste Art gewesen zu seyn um Geld zu borgen, so wie
Kauf oder Tausch der älteste menschliche Contract gewe-
sen seyn mag. Der Verkäufer behielt sich den Wieder-
kauf bevor, damit er sich doch endlich von seiner Schuld
wieder befreyen konnte. Der Käufer hingegen konnte
nicht lösen, und man sahe überhaupt die jetzige Löse,
welche sich erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
in den Contracten der Landbesitzer gemein gemacht hat,
als etwas gefährliches oder verwegenes an, indem kein
Landbesitzer mit Gewißheit versprechen kann, das ihm ge-
liehene Capital nach einer dem Gläubiger bevorbleibenden
Löse bezahlen zu wollen. Dem Käufer einer Rente oder
eines Grundzinses blieb also nichts übrig, als sich in die
Selbsthebung dieser ihm gebührenden Renten setzen zu
lassen, wenn ihn sein Schuldner nicht richtig bezahlte.
Dazu gab ihm der Richter die Hülfe, oder die Jmmis-
sion, und wenn er diese hatte, so hatte er alles, was er
aus seinem Kaufcontracte zu fordern hatte. Wollte er
gern sein Capital wieder haben: so mußte er dieses, wie
es in England und Frankreich noch üblich ist, einem an-
dern übertragen oder verkaufen, von dem Schuldner
mochte er es nicht fordern.

Die natürliche Folge hievon ist, daß er auch nie die
Subhastation des Gutes fordern konnte. Verkaufte der
Schuldner sein Gut; so blieb jener mit seiner Rente dar-
auf haften, aber der neue Käufer konnte gegen ihn das
Wiederkaufsrecht ausüben.

Auf eben die Art als der erste Gläubiger sich eine
Rente aus dem Gute gekauft hatte, konnten hundert
andre es auch thun, wenn der Schuldner mehr Geld
nöthig hatte, und der Richter seine Einwilligung dazu
ertheilte. Aber alle, so viel ihrer auch waren, konnten

nicht

Von dem Concursproceſſe
erſte Art geweſen zu ſeyn um Geld zu borgen, ſo wie
Kauf oder Tauſch der aͤlteſte menſchliche Contract gewe-
ſen ſeyn mag. Der Verkaͤufer behielt ſich den Wieder-
kauf bevor, damit er ſich doch endlich von ſeiner Schuld
wieder befreyen konnte. Der Kaͤufer hingegen konnte
nicht loͤſen, und man ſahe uͤberhaupt die jetzige Loͤſe,
welche ſich erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
in den Contracten der Landbeſitzer gemein gemacht hat,
als etwas gefaͤhrliches oder verwegenes an, indem kein
Landbeſitzer mit Gewißheit verſprechen kann, das ihm ge-
liehene Capital nach einer dem Glaͤubiger bevorbleibenden
Loͤſe bezahlen zu wollen. Dem Kaͤufer einer Rente oder
eines Grundzinſes blieb alſo nichts uͤbrig, als ſich in die
Selbſthebung dieſer ihm gebuͤhrenden Renten ſetzen zu
laſſen, wenn ihn ſein Schuldner nicht richtig bezahlte.
Dazu gab ihm der Richter die Huͤlfe, oder die Jmmiſ-
ſion, und wenn er dieſe hatte, ſo hatte er alles, was er
aus ſeinem Kaufcontracte zu fordern hatte. Wollte er
gern ſein Capital wieder haben: ſo mußte er dieſes, wie
es in England und Frankreich noch uͤblich iſt, einem an-
dern uͤbertragen oder verkaufen, von dem Schuldner
mochte er es nicht fordern.

Die natuͤrliche Folge hievon iſt, daß er auch nie die
Subhaſtation des Gutes fordern konnte. Verkaufte der
Schuldner ſein Gut; ſo blieb jener mit ſeiner Rente dar-
auf haften, aber der neue Kaͤufer konnte gegen ihn das
Wiederkaufsrecht ausuͤben.

Auf eben die Art als der erſte Glaͤubiger ſich eine
Rente aus dem Gute gekauft hatte, konnten hundert
andre es auch thun, wenn der Schuldner mehr Geld
noͤthig hatte, und der Richter ſeine Einwilligung dazu
ertheilte. Aber alle, ſo viel ihrer auch waren, konnten

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="260"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Concursproce&#x017F;&#x017F;e</hi></fw><lb/>
er&#x017F;te Art gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn um Geld zu borgen, &#x017F;o wie<lb/>
Kauf oder Tau&#x017F;ch der a&#x0364;lte&#x017F;te men&#x017F;chliche Contract gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;eyn mag. Der Verka&#x0364;ufer behielt &#x017F;ich den Wieder-<lb/>
kauf bevor, damit er &#x017F;ich doch endlich von &#x017F;einer Schuld<lb/>
wieder befreyen konnte. Der Ka&#x0364;ufer hingegen konnte<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">lo&#x0364;&#x017F;en</hi>, und man &#x017F;ahe u&#x0364;berhaupt die jetzige <hi rendition="#fr">Lo&#x0364;&#x017F;e</hi>,<lb/>
welche &#x017F;ich er&#x017F;t gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts<lb/>
in den Contracten der Landbe&#x017F;itzer gemein gemacht hat,<lb/>
als etwas gefa&#x0364;hrliches oder verwegenes an, indem kein<lb/>
Landbe&#x017F;itzer mit Gewißheit ver&#x017F;prechen kann, das ihm ge-<lb/>
liehene Capital nach einer dem Gla&#x0364;ubiger bevorbleibenden<lb/>
Lo&#x0364;&#x017F;e bezahlen zu wollen. Dem Ka&#x0364;ufer einer Rente oder<lb/>
eines Grundzin&#x017F;es blieb al&#x017F;o nichts u&#x0364;brig, als &#x017F;ich in die<lb/>
Selb&#x017F;thebung die&#x017F;er ihm gebu&#x0364;hrenden Renten &#x017F;etzen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, wenn ihn &#x017F;ein Schuldner nicht richtig bezahlte.<lb/>
Dazu gab ihm der Richter die Hu&#x0364;lfe, oder die Jmmi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ion, und wenn er die&#x017F;e hatte, &#x017F;o hatte er alles, was er<lb/>
aus &#x017F;einem Kaufcontracte zu fordern hatte. Wollte er<lb/>
gern &#x017F;ein Capital wieder haben: &#x017F;o mußte er die&#x017F;es, wie<lb/>
es in England und Frankreich noch u&#x0364;blich i&#x017F;t, einem an-<lb/>
dern u&#x0364;bertragen oder verkaufen, von dem Schuldner<lb/>
mochte er es nicht fordern.</p><lb/>
          <p>Die natu&#x0364;rliche Folge hievon i&#x017F;t, daß er auch nie die<lb/>
Subha&#x017F;tation des Gutes fordern konnte. Verkaufte der<lb/>
Schuldner &#x017F;ein Gut; &#x017F;o blieb jener mit &#x017F;einer Rente dar-<lb/>
auf haften, aber der neue Ka&#x0364;ufer konnte gegen ihn das<lb/>
Wiederkaufsrecht ausu&#x0364;ben.</p><lb/>
          <p>Auf eben die Art als der er&#x017F;te Gla&#x0364;ubiger &#x017F;ich eine<lb/>
Rente aus dem Gute gekauft hatte, konnten hundert<lb/>
andre es auch thun, wenn der Schuldner mehr Geld<lb/>
no&#x0364;thig hatte, und der Richter &#x017F;eine Einwilligung dazu<lb/>
ertheilte. Aber alle, &#x017F;o viel ihrer auch waren, konnten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0272] Von dem Concursproceſſe erſte Art geweſen zu ſeyn um Geld zu borgen, ſo wie Kauf oder Tauſch der aͤlteſte menſchliche Contract gewe- ſen ſeyn mag. Der Verkaͤufer behielt ſich den Wieder- kauf bevor, damit er ſich doch endlich von ſeiner Schuld wieder befreyen konnte. Der Kaͤufer hingegen konnte nicht loͤſen, und man ſahe uͤberhaupt die jetzige Loͤſe, welche ſich erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in den Contracten der Landbeſitzer gemein gemacht hat, als etwas gefaͤhrliches oder verwegenes an, indem kein Landbeſitzer mit Gewißheit verſprechen kann, das ihm ge- liehene Capital nach einer dem Glaͤubiger bevorbleibenden Loͤſe bezahlen zu wollen. Dem Kaͤufer einer Rente oder eines Grundzinſes blieb alſo nichts uͤbrig, als ſich in die Selbſthebung dieſer ihm gebuͤhrenden Renten ſetzen zu laſſen, wenn ihn ſein Schuldner nicht richtig bezahlte. Dazu gab ihm der Richter die Huͤlfe, oder die Jmmiſ- ſion, und wenn er dieſe hatte, ſo hatte er alles, was er aus ſeinem Kaufcontracte zu fordern hatte. Wollte er gern ſein Capital wieder haben: ſo mußte er dieſes, wie es in England und Frankreich noch uͤblich iſt, einem an- dern uͤbertragen oder verkaufen, von dem Schuldner mochte er es nicht fordern. Die natuͤrliche Folge hievon iſt, daß er auch nie die Subhaſtation des Gutes fordern konnte. Verkaufte der Schuldner ſein Gut; ſo blieb jener mit ſeiner Rente dar- auf haften, aber der neue Kaͤufer konnte gegen ihn das Wiederkaufsrecht ausuͤben. Auf eben die Art als der erſte Glaͤubiger ſich eine Rente aus dem Gute gekauft hatte, konnten hundert andre es auch thun, wenn der Schuldner mehr Geld noͤthig hatte, und der Richter ſeine Einwilligung dazu ertheilte. Aber alle, ſo viel ihrer auch waren, konnten nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/272
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/272>, abgerufen am 30.04.2024.