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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Sollten nicht Nebenwohner
mühet war, mit der Behauptung, daß das Lein bis da-
hin wo die Bohnen auf der grünen Flur hervorragten,
ihr allein zugehörte; umsonst rief sie, daß sie darüber
hundert Zeugen bringen wollte. Die Pfänder kehrten
sich so wenig an ihr Geschrey als an ihr schönes Hemde,
und das arme blauäugigte Mädgen mußte mit Schrecken
hören, daß sie ihre Zeugen dem Richter vorbringen sollte,
dem Richter, den sie nicht anders als abermal durch ei-
nen Advocaten und Procurator sprechen konnte.

Nun sitzt das arme gute Weib da mit drey Kindern
von ihrem ersten Mann, ohne Bette, ohne Kuh, ohne
Schwein, ohne Flachs, ohne Korn, und was noch das
betrübteste ist ohne Mann. Denn dieser der keine Kin-
der mit ihr hatte, sagte ihr gleich des andern Tages:
Gott erhalte dich gutes Weib, im ewigen Leben sehen wir
uns wieder, und gieng damit nach Holland, und wollte,
wie er sagte, in einem Lande nicht bleiben, welches Gott
bald strafen müßte, weil darin die geringen Leute keinen
bessern Schutz hätten. Und woher rührt dieses Unglück?
Gewiß blos daher, daß der Mann nicht vor einem na-
hen Schutzherrn belangt werden konnte, der beyde Theile
mündlich hörte, und allenfalls dem Schuldner sagte, daß
er bezahlen müsse, dem Gläubiger aber die Hülfe so gabe
wie sie jener ohne auf einmal zu Grunde gerichtet zu wer-
den, erleiden konnte. Sagen Sie mir nicht, daß der
Richter dieses eben so gut thun könnte. Dieser kann die
aus der Ferne zu ihm kommenden Leute, nicht unter-
scheiden. Redliche und unredliche, gute und schlechte
haben vor ihm einerley Physionomien, und er ist nicht
angewiesen nach dem Lavater zu urtheilen. Bey der
Menge der Sachen so ihm vorkommen, kann er keine
besondre Aufmerksamket auf eine wenden; er darf nur
auf Beweise sprechen, und was würde aus dem Leine des

blau-

Sollten nicht Nebenwohner
muͤhet war, mit der Behauptung, daß das Lein bis da-
hin wo die Bohnen auf der gruͤnen Flur hervorragten,
ihr allein zugehoͤrte; umſonſt rief ſie, daß ſie daruͤber
hundert Zeugen bringen wollte. Die Pfaͤnder kehrten
ſich ſo wenig an ihr Geſchrey als an ihr ſchoͤnes Hemde,
und das arme blauaͤugigte Maͤdgen mußte mit Schrecken
hoͤren, daß ſie ihre Zeugen dem Richter vorbringen ſollte,
dem Richter, den ſie nicht anders als abermal durch ei-
nen Advocaten und Procurator ſprechen konnte.

Nun ſitzt das arme gute Weib da mit drey Kindern
von ihrem erſten Mann, ohne Bette, ohne Kuh, ohne
Schwein, ohne Flachs, ohne Korn, und was noch das
betruͤbteſte iſt ohne Mann. Denn dieſer der keine Kin-
der mit ihr hatte, ſagte ihr gleich des andern Tages:
Gott erhalte dich gutes Weib, im ewigen Leben ſehen wir
uns wieder, und gieng damit nach Holland, und wollte,
wie er ſagte, in einem Lande nicht bleiben, welches Gott
bald ſtrafen muͤßte, weil darin die geringen Leute keinen
beſſern Schutz haͤtten. Und woher ruͤhrt dieſes Ungluͤck?
Gewiß blos daher, daß der Mann nicht vor einem na-
hen Schutzherrn belangt werden konnte, der beyde Theile
muͤndlich hoͤrte, und allenfalls dem Schuldner ſagte, daß
er bezahlen muͤſſe, dem Glaͤubiger aber die Huͤlfe ſo gabe
wie ſie jener ohne auf einmal zu Grunde gerichtet zu wer-
den, erleiden konnte. Sagen Sie mir nicht, daß der
Richter dieſes eben ſo gut thun koͤnnte. Dieſer kann die
aus der Ferne zu ihm kommenden Leute, nicht unter-
ſcheiden. Redliche und unredliche, gute und ſchlechte
haben vor ihm einerley Phyſionomien, und er iſt nicht
angewieſen nach dem Lavater zu urtheilen. Bey der
Menge der Sachen ſo ihm vorkommen, kann er keine
beſondre Aufmerkſamket auf eine wenden; er darf nur
auf Beweiſe ſprechen, und was wuͤrde aus dem Leine des

blau-
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[304/0316] Sollten nicht Nebenwohner muͤhet war, mit der Behauptung, daß das Lein bis da- hin wo die Bohnen auf der gruͤnen Flur hervorragten, ihr allein zugehoͤrte; umſonſt rief ſie, daß ſie daruͤber hundert Zeugen bringen wollte. Die Pfaͤnder kehrten ſich ſo wenig an ihr Geſchrey als an ihr ſchoͤnes Hemde, und das arme blauaͤugigte Maͤdgen mußte mit Schrecken hoͤren, daß ſie ihre Zeugen dem Richter vorbringen ſollte, dem Richter, den ſie nicht anders als abermal durch ei- nen Advocaten und Procurator ſprechen konnte. Nun ſitzt das arme gute Weib da mit drey Kindern von ihrem erſten Mann, ohne Bette, ohne Kuh, ohne Schwein, ohne Flachs, ohne Korn, und was noch das betruͤbteſte iſt ohne Mann. Denn dieſer der keine Kin- der mit ihr hatte, ſagte ihr gleich des andern Tages: Gott erhalte dich gutes Weib, im ewigen Leben ſehen wir uns wieder, und gieng damit nach Holland, und wollte, wie er ſagte, in einem Lande nicht bleiben, welches Gott bald ſtrafen muͤßte, weil darin die geringen Leute keinen beſſern Schutz haͤtten. Und woher ruͤhrt dieſes Ungluͤck? Gewiß blos daher, daß der Mann nicht vor einem na- hen Schutzherrn belangt werden konnte, der beyde Theile muͤndlich hoͤrte, und allenfalls dem Schuldner ſagte, daß er bezahlen muͤſſe, dem Glaͤubiger aber die Huͤlfe ſo gabe wie ſie jener ohne auf einmal zu Grunde gerichtet zu wer- den, erleiden konnte. Sagen Sie mir nicht, daß der Richter dieſes eben ſo gut thun koͤnnte. Dieſer kann die aus der Ferne zu ihm kommenden Leute, nicht unter- ſcheiden. Redliche und unredliche, gute und ſchlechte haben vor ihm einerley Phyſionomien, und er iſt nicht angewieſen nach dem Lavater zu urtheilen. Bey der Menge der Sachen ſo ihm vorkommen, kann er keine beſondre Aufmerkſamket auf eine wenden; er darf nur auf Beweiſe ſprechen, und was wuͤrde aus dem Leine des blau-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/316>, abgerufen am 27.04.2024.