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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Schreiben einer Dame
in beständiger Angst zittern müssen, daß sich die lieben
Männer und Herrn Collegen beym Kragen fassen würden?

Jch will indessen damit nicht sagen, daß man diese
Manier der Widerlegung ganz verlassen solle; nein, sie
ist die kürzeste und treffendste unter allen, wenn sie glück-
lich gebraucht wird, und eigentlich bey Hofe zu Hause,
wo man die Syllogismen in forma haßt. Jch wollte Jh-
nen nur damit zu erkennen geben, daß man seinen Geg-
ner nicht so gleich im Triumph und mit aller Bitterkeit
einer Rechthaberey ins Tollhaus schicken müsse, theils
weil es beleidigend ist, theils weil man sich auch selbst in
der Geschwindigkeit versehen, und eine bittere Jnstanz
machen kann, die durch eine noch bitterere gehoben wird.
Der berichtigte Lord Rochester fuhr einmal in einer Mieth-
kutsche aus der Comödie, und wie der Kutscher beym Em-
pfang seines Fuhrlohns sahe, daß er den Lord gefahren
hatte, sagte dieser zu ihm: wenn ich das gewußt hätte,
in die Hölle hätte ich sie fahren wollen. O! antwortete
der Lord: so hättest du Narr ja mit deinen Pferden zu-
erst hinein müssen. Phau! schrie der witzigere Kutscher,
ich würde Eure Herrlichkeit rückwärts hinein geschoben
haben (J Should have backed in your Lordschip) ... So
übel kann man oft mit einer dem Anscheine nach ganz gu-
ten Jnstanz anlaufen.

Jhr erster hitziger Ausdruck war: dasjenige was
Sie anführten, sey so klar wie die Sonne; und der Schluß
den die ganze Gesellschaft daraus machen sollte, war na-
türlicher Weise dieser: daß ihr Gegner stockblind seyn
müßte. Ob sie Recht oder Unrecht hatten, bedarf kei-
ner Untersuchung, denn über die Sache streiten wir nicht,
sondern nur über die Manier des Vortrags. Aber fra-
gen Sie sich selbst, ob es ihr Wille war der Gesellschaft
einen so üblen Begrif von ihrem Gegner zu geben? War

ers

Schreiben einer Dame
in beſtaͤndiger Angſt zittern muͤſſen, daß ſich die lieben
Maͤnner und Herrn Collegen beym Kragen faſſen wuͤrden?

Jch will indeſſen damit nicht ſagen, daß man dieſe
Manier der Widerlegung ganz verlaſſen ſolle; nein, ſie
iſt die kuͤrzeſte und treffendſte unter allen, wenn ſie gluͤck-
lich gebraucht wird, und eigentlich bey Hofe zu Hauſe,
wo man die Syllogismen in forma haßt. Jch wollte Jh-
nen nur damit zu erkennen geben, daß man ſeinen Geg-
ner nicht ſo gleich im Triumph und mit aller Bitterkeit
einer Rechthaberey ins Tollhaus ſchicken muͤſſe, theils
weil es beleidigend iſt, theils weil man ſich auch ſelbſt in
der Geſchwindigkeit verſehen, und eine bittere Jnſtanz
machen kann, die durch eine noch bitterere gehoben wird.
Der berichtigte Lord Rocheſter fuhr einmal in einer Mieth-
kutſche aus der Comoͤdie, und wie der Kutſcher beym Em-
pfang ſeines Fuhrlohns ſahe, daß er den Lord gefahren
hatte, ſagte dieſer zu ihm: wenn ich das gewußt haͤtte,
in die Hoͤlle haͤtte ich ſie fahren wollen. O! antwortete
der Lord: ſo haͤtteſt du Narr ja mit deinen Pferden zu-
erſt hinein muͤſſen. Phau! ſchrie der witzigere Kutſcher,
ich wuͤrde Eure Herrlichkeit ruͤckwaͤrts hinein geſchoben
haben (J Should have backed in your Lordſchip) … So
uͤbel kann man oft mit einer dem Anſcheine nach ganz gu-
ten Jnſtanz anlaufen.

Jhr erſter hitziger Ausdruck war: dasjenige was
Sie anfuͤhrten, ſey ſo klar wie die Sonne; und der Schluß
den die ganze Geſellſchaft daraus machen ſollte, war na-
tuͤrlicher Weiſe dieſer: daß ihr Gegner ſtockblind ſeyn
muͤßte. Ob ſie Recht oder Unrecht hatten, bedarf kei-
ner Unterſuchung, denn uͤber die Sache ſtreiten wir nicht,
ſondern nur uͤber die Manier des Vortrags. Aber fra-
gen Sie ſich ſelbſt, ob es ihr Wille war der Geſellſchaft
einen ſo uͤblen Begrif von ihrem Gegner zu geben? War

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[60/0072] Schreiben einer Dame in beſtaͤndiger Angſt zittern muͤſſen, daß ſich die lieben Maͤnner und Herrn Collegen beym Kragen faſſen wuͤrden? Jch will indeſſen damit nicht ſagen, daß man dieſe Manier der Widerlegung ganz verlaſſen ſolle; nein, ſie iſt die kuͤrzeſte und treffendſte unter allen, wenn ſie gluͤck- lich gebraucht wird, und eigentlich bey Hofe zu Hauſe, wo man die Syllogismen in forma haßt. Jch wollte Jh- nen nur damit zu erkennen geben, daß man ſeinen Geg- ner nicht ſo gleich im Triumph und mit aller Bitterkeit einer Rechthaberey ins Tollhaus ſchicken muͤſſe, theils weil es beleidigend iſt, theils weil man ſich auch ſelbſt in der Geſchwindigkeit verſehen, und eine bittere Jnſtanz machen kann, die durch eine noch bitterere gehoben wird. Der berichtigte Lord Rocheſter fuhr einmal in einer Mieth- kutſche aus der Comoͤdie, und wie der Kutſcher beym Em- pfang ſeines Fuhrlohns ſahe, daß er den Lord gefahren hatte, ſagte dieſer zu ihm: wenn ich das gewußt haͤtte, in die Hoͤlle haͤtte ich ſie fahren wollen. O! antwortete der Lord: ſo haͤtteſt du Narr ja mit deinen Pferden zu- erſt hinein muͤſſen. Phau! ſchrie der witzigere Kutſcher, ich wuͤrde Eure Herrlichkeit ruͤckwaͤrts hinein geſchoben haben (J Should have backed in your Lordſchip) … So uͤbel kann man oft mit einer dem Anſcheine nach ganz gu- ten Jnſtanz anlaufen. Jhr erſter hitziger Ausdruck war: dasjenige was Sie anfuͤhrten, ſey ſo klar wie die Sonne; und der Schluß den die ganze Geſellſchaft daraus machen ſollte, war na- tuͤrlicher Weiſe dieſer: daß ihr Gegner ſtockblind ſeyn muͤßte. Ob ſie Recht oder Unrecht hatten, bedarf kei- ner Unterſuchung, denn uͤber die Sache ſtreiten wir nicht, ſondern nur uͤber die Manier des Vortrags. Aber fra- gen Sie ſich ſelbſt, ob es ihr Wille war der Geſellſchaft einen ſo uͤblen Begrif von ihrem Gegner zu geben? War ers

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/72>, abgerufen am 28.04.2024.