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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Der Herr Sohn ist schlau.

O meine theureste Freundin! sorgen Sie für den
jungen liebenswürdigen Mann, der Jhnen und uns allen
die vollkommenste Freude machen wird, wenn er sich ein
redliches Ziel steckt, mit unwankelbarem Schritt auf das-
selbe zugeht, und alles was er mit seinen Falkenaugen
sucht, sich im stillen zu Nutze macht. Stellen Sie ihm
die Gefahr vor, worin er sich dadurch setzt, daß er der
scharfsichtigste und schlaueste Mann scheinen will; und
rathen ihm redlich und vorsichtig zu seyn. Von Jhnen
wird er diesen mütterlichen Rath wohl nehmen, und wenn
er es mit der Ehrlichkeit nur einige Jahre versucht hat,
vollkommen überzeugt werden, daß keine größere Politik
sey. Jch habe in meinem Leben keine andre Maxime be-
folgt, als zuerst zu untersuchen, ob dasjenige was andre
für mich thun sollten, auch ihr wahrer Vortheil sey, und
wenn ich sie davon überzeugen konnte: so hatte ich auch
zugleich den meinigen. Dieses ist der natürliche Gang
der Redlichkeit, und wer seinen Vortheil mit andern
Schaden sucht, wird früh oder spät dafür bestraft, er
mag auch noch so viel Klugheit dabey gebraucht und den
vollkommensten Sieg davon getragen haben. Jch bin
wie Sie wissen etc.



XXI.
F 4
Der Herr Sohn iſt ſchlau.

O meine theureſte Freundin! ſorgen Sie fuͤr den
jungen liebenswuͤrdigen Mann, der Jhnen und uns allen
die vollkommenſte Freude machen wird, wenn er ſich ein
redliches Ziel ſteckt, mit unwankelbarem Schritt auf daſ-
ſelbe zugeht, und alles was er mit ſeinen Falkenaugen
ſucht, ſich im ſtillen zu Nutze macht. Stellen Sie ihm
die Gefahr vor, worin er ſich dadurch ſetzt, daß er der
ſcharfſichtigſte und ſchlaueſte Mann ſcheinen will; und
rathen ihm redlich und vorſichtig zu ſeyn. Von Jhnen
wird er dieſen muͤtterlichen Rath wohl nehmen, und wenn
er es mit der Ehrlichkeit nur einige Jahre verſucht hat,
vollkommen uͤberzeugt werden, daß keine groͤßere Politik
ſey. Jch habe in meinem Leben keine andre Maxime be-
folgt, als zuerſt zu unterſuchen, ob dasjenige was andre
fuͤr mich thun ſollten, auch ihr wahrer Vortheil ſey, und
wenn ich ſie davon uͤberzeugen konnte: ſo hatte ich auch
zugleich den meinigen. Dieſes iſt der natuͤrliche Gang
der Redlichkeit, und wer ſeinen Vortheil mit andern
Schaden ſucht, wird fruͤh oder ſpaͤt dafuͤr beſtraft, er
mag auch noch ſo viel Klugheit dabey gebraucht und den
vollkommenſten Sieg davon getragen haben. Jch bin
wie Sie wiſſen ꝛc.



XXI.
F 4
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[87/0099] Der Herr Sohn iſt ſchlau. O meine theureſte Freundin! ſorgen Sie fuͤr den jungen liebenswuͤrdigen Mann, der Jhnen und uns allen die vollkommenſte Freude machen wird, wenn er ſich ein redliches Ziel ſteckt, mit unwankelbarem Schritt auf daſ- ſelbe zugeht, und alles was er mit ſeinen Falkenaugen ſucht, ſich im ſtillen zu Nutze macht. Stellen Sie ihm die Gefahr vor, worin er ſich dadurch ſetzt, daß er der ſcharfſichtigſte und ſchlaueſte Mann ſcheinen will; und rathen ihm redlich und vorſichtig zu ſeyn. Von Jhnen wird er dieſen muͤtterlichen Rath wohl nehmen, und wenn er es mit der Ehrlichkeit nur einige Jahre verſucht hat, vollkommen uͤberzeugt werden, daß keine groͤßere Politik ſey. Jch habe in meinem Leben keine andre Maxime be- folgt, als zuerſt zu unterſuchen, ob dasjenige was andre fuͤr mich thun ſollten, auch ihr wahrer Vortheil ſey, und wenn ich ſie davon uͤberzeugen konnte: ſo hatte ich auch zugleich den meinigen. Dieſes iſt der natuͤrliche Gang der Redlichkeit, und wer ſeinen Vortheil mit andern Schaden ſucht, wird fruͤh oder ſpaͤt dafuͤr beſtraft, er mag auch noch ſo viel Klugheit dabey gebraucht und den vollkommenſten Sieg davon getragen haben. Jch bin wie Sie wiſſen ꝛc. XXI. F 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/99>, abgerufen am 27.04.2024.