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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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atomistischen Auflösung des Volkslebens, welche die von dem
Mittelalter sich losringende Gesittigung bezeichnet. Freilich zum
Theile auch eine vermeidliche Folge der Angst des bösen Ge-
wissens vor allem Vereinswesen und der übergroßen Lust zu
regieren. -- Natürlich steht es übrigens dem Staate zu, poli-
zeilich zu handeln, wenn die Privatkräfte zwar wohl Einiges
aber Ungenügendes zu Stande zu bringen vermöchten. Ebenso
hat der Staat das Ganze zu übernehmen, wenn die Bethei-
ligten wohl einen Theil der fraglichen Maßregeln genügend
besorgen könnten, allein die doch nicht zu entbehrende ergän-
zende Staatshülfe nur bei vollständigem Zusammenhange und
Ineinandergreifen ihrer Einrichtungen das Gewünschte zu lei-
sten vermag.

Im Wesen der polizeilichen Unterstützung des Staates
liegt die freiwillige Benützung derselben durch die Bürger;
dennoch treten freilich auch viele Fälle ein, in welchen der
Staat Zwang eintreten läßt. Dieß ist namentlich in drei
Fällen unvermeidlich. Vorerst, wenn die Maßregel überhaupt
den beabsichtigten Zweck nur erfüllen kann, falls sie ganz allge-
mein geachtet und durchgeführt ist. Zweitens, um bei einer
vom Staate getroffenen Einrichtung Ordnung und Uebersicht
zu erhalten; wo es denn immerhin dem Einzelnen freistehen
mag, von der ganzen Anstalt Gebrauch zu machen oder nicht,
er jedoch, wenn er sie in Anspruch nimmt, sie in bestimmter
Weise gebrauchen muß. Drittens endlich zur Strafe, wenn
der Bürger eine Staatseinrichtung beeinträchtigen und ihren
Nutzen für Dritte verhindern würde 3). -- Erst in zweiter
Linie steht die Frage, ob die Polizeibehörden des Staates zur
Ausführung des Zwanges selbst berechtigt sind, oder ob sie die
Hülfe anderer Zweige der Staatsthätigkeit in Anspruch zu
nehmen haben. Im Allgemeinen kann an der eigenen Zustän-
digkeit kein Zweifel sein, da bei einer richtigen Organisation

atomiſtiſchen Auflöſung des Volkslebens, welche die von dem
Mittelalter ſich losringende Geſittigung bezeichnet. Freilich zum
Theile auch eine vermeidliche Folge der Angſt des böſen Ge-
wiſſens vor allem Vereinsweſen und der übergroßen Luſt zu
regieren. — Natürlich ſteht es übrigens dem Staate zu, poli-
zeilich zu handeln, wenn die Privatkräfte zwar wohl Einiges
aber Ungenügendes zu Stande zu bringen vermöchten. Ebenſo
hat der Staat das Ganze zu übernehmen, wenn die Bethei-
ligten wohl einen Theil der fraglichen Maßregeln genügend
beſorgen könnten, allein die doch nicht zu entbehrende ergän-
zende Staatshülfe nur bei vollſtändigem Zuſammenhange und
Ineinandergreifen ihrer Einrichtungen das Gewünſchte zu lei-
ſten vermag.

Im Weſen der polizeilichen Unterſtützung des Staates
liegt die freiwillige Benützung derſelben durch die Bürger;
dennoch treten freilich auch viele Fälle ein, in welchen der
Staat Zwang eintreten läßt. Dieß iſt namentlich in drei
Fällen unvermeidlich. Vorerſt, wenn die Maßregel überhaupt
den beabſichtigten Zweck nur erfüllen kann, falls ſie ganz allge-
mein geachtet und durchgeführt iſt. Zweitens, um bei einer
vom Staate getroffenen Einrichtung Ordnung und Ueberſicht
zu erhalten; wo es denn immerhin dem Einzelnen freiſtehen
mag, von der ganzen Anſtalt Gebrauch zu machen oder nicht,
er jedoch, wenn er ſie in Anſpruch nimmt, ſie in beſtimmter
Weiſe gebrauchen muß. Drittens endlich zur Strafe, wenn
der Bürger eine Staatseinrichtung beeinträchtigen und ihren
Nutzen für Dritte verhindern würde 3). — Erſt in zweiter
Linie ſteht die Frage, ob die Polizeibehörden des Staates zur
Ausführung des Zwanges ſelbſt berechtigt ſind, oder ob ſie die
Hülfe anderer Zweige der Staatsthätigkeit in Anſpruch zu
nehmen haben. Im Allgemeinen kann an der eigenen Zuſtän-
digkeit kein Zweifel ſein, da bei einer richtigen Organiſation

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[278/0292] atomiſtiſchen Auflöſung des Volkslebens, welche die von dem Mittelalter ſich losringende Geſittigung bezeichnet. Freilich zum Theile auch eine vermeidliche Folge der Angſt des böſen Ge- wiſſens vor allem Vereinsweſen und der übergroßen Luſt zu regieren. — Natürlich ſteht es übrigens dem Staate zu, poli- zeilich zu handeln, wenn die Privatkräfte zwar wohl Einiges aber Ungenügendes zu Stande zu bringen vermöchten. Ebenſo hat der Staat das Ganze zu übernehmen, wenn die Bethei- ligten wohl einen Theil der fraglichen Maßregeln genügend beſorgen könnten, allein die doch nicht zu entbehrende ergän- zende Staatshülfe nur bei vollſtändigem Zuſammenhange und Ineinandergreifen ihrer Einrichtungen das Gewünſchte zu lei- ſten vermag. Im Weſen der polizeilichen Unterſtützung des Staates liegt die freiwillige Benützung derſelben durch die Bürger; dennoch treten freilich auch viele Fälle ein, in welchen der Staat Zwang eintreten läßt. Dieß iſt namentlich in drei Fällen unvermeidlich. Vorerſt, wenn die Maßregel überhaupt den beabſichtigten Zweck nur erfüllen kann, falls ſie ganz allge- mein geachtet und durchgeführt iſt. Zweitens, um bei einer vom Staate getroffenen Einrichtung Ordnung und Ueberſicht zu erhalten; wo es denn immerhin dem Einzelnen freiſtehen mag, von der ganzen Anſtalt Gebrauch zu machen oder nicht, er jedoch, wenn er ſie in Anſpruch nimmt, ſie in beſtimmter Weiſe gebrauchen muß. Drittens endlich zur Strafe, wenn der Bürger eine Staatseinrichtung beeinträchtigen und ihren Nutzen für Dritte verhindern würde 3). — Erſt in zweiter Linie ſteht die Frage, ob die Polizeibehörden des Staates zur Ausführung des Zwanges ſelbſt berechtigt ſind, oder ob ſie die Hülfe anderer Zweige der Staatsthätigkeit in Anſpruch zu nehmen haben. Im Allgemeinen kann an der eigenen Zuſtän- digkeit kein Zweifel ſein, da bei einer richtigen Organiſation

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/292>, abgerufen am 29.04.2024.