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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Staatsgattungen und der Zusammensetzung der Heere einen
sehr wesentlichen Unterschied. Während der Befehl in Lehen-
staaten den Vasallen je nach ihrer Abstufung von Rechtswegen
und in Folge des Lehenvertrages gebührt; er in Aristokratieen
ein wesentliches Recht der jüngeren Mitglieder der herrschenden
Geschlechter ist; bei Miethtruppen vielleicht dem eine bestimmte
Mannschaftszahl Stellenden der Befehl über dieselbe zufällt:
muß bei einem aus allen Klassen der Bevölkerung gebildeten
Heere einzig die Brauchbarkeit und das Verdienst zu den An-
führerstellen befähigen. Eine Bevorzugung der Geburt oder
eine Beförderung von bloßen Günstlingen ist nicht nur ein
großer Fehler, weil dabei der Sporn zu Auszeichnungen weg-
genommen wird und Talent sowie Erfahrungen unbenützt blei-
ben, sondern es ist auch ein schreiendes Unrecht.

1) Ueber die bei der bewaffneten Macht des Staates zur Sprache
kommenden Rechtsfragen, (freilich zum Theile vermischt mit politischen und
technischen Erwägungen,) s. Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 565 fg.;
Morgenstern, Mensch, Volksleben und Staat, Bd. I, S. 412 fg.;
Bluntschli, Staats-R., 2. Aufl., Bd. II, S. 162 fg.
2) Es ist eine ganz unnöthige Ziererei und Heuchelei, wenn man die
Verpflichtung der Bürger im Heere zu dienen als ein besonderes Ehren-
recht darzustellen sucht. Daß Führung der Waffen gegen den Wunsch
der Betreffenden wesentlich eine Verpflichtung ist, und zwar eine schwere,
bleibt trotz aller Schönrederei Jedem klar, am meisten den Betroffenen
selbst. Allein eine richtige Auffassung des Verhältnisses schadet der Durch-
führung des nothwendigen Opfers keineswegs. Im Gegentheil wird ja
durch Verkleidung der Verpflichtung in ein Recht die erstere auf einen
ganz falschen Boden gestellt.
3) Diese letztere Rücksicht ist es, welche die Bildung einer bewaffneten
Macht aus freiwillig angeworbenen Söldlingen, namentlich aus Fremden,
bedenklich erscheinen läßt. Solche lassen sich natürlich, da sie keine nähere
Rücksicht haben als das Verhältniß zum besoldenden Dienstherren, leichter
zur Unterstützung von rechts- und freiheitsfeindlichen Planen eines ehr-
geizigen und gewaltthätigen Staatsoberhauptes verwenden. Doch kann selbst
hier keine allgemein gültige Verwerfung ausgesprochen werden. Einen Be-
weis, daß Miethtruppen keineswegs mit Nothwendigkeit ein Mittel zur
Unterdrückung der Freiheit und ein Werkzeug in den Händen der Gewalt-

Staatsgattungen und der Zuſammenſetzung der Heere einen
ſehr weſentlichen Unterſchied. Während der Befehl in Lehen-
ſtaaten den Vaſallen je nach ihrer Abſtufung von Rechtswegen
und in Folge des Lehenvertrages gebührt; er in Ariſtokratieen
ein weſentliches Recht der jüngeren Mitglieder der herrſchenden
Geſchlechter iſt; bei Miethtruppen vielleicht dem eine beſtimmte
Mannſchaftszahl Stellenden der Befehl über dieſelbe zufällt:
muß bei einem aus allen Klaſſen der Bevölkerung gebildeten
Heere einzig die Brauchbarkeit und das Verdienſt zu den An-
führerſtellen befähigen. Eine Bevorzugung der Geburt oder
eine Beförderung von bloßen Günſtlingen iſt nicht nur ein
großer Fehler, weil dabei der Sporn zu Auszeichnungen weg-
genommen wird und Talent ſowie Erfahrungen unbenützt blei-
ben, ſondern es iſt auch ein ſchreiendes Unrecht.

1) Ueber die bei der bewaffneten Macht des Staates zur Sprache
kommenden Rechtsfragen, (freilich zum Theile vermiſcht mit politiſchen und
techniſchen Erwägungen,) ſ. Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 565 fg.;
Morgenſtern, Menſch, Volksleben und Staat, Bd. I, S. 412 fg.;
Bluntſchli, Staats-R., 2. Aufl., Bd. II, S. 162 fg.
2) Es iſt eine ganz unnöthige Ziererei und Heuchelei, wenn man die
Verpflichtung der Bürger im Heere zu dienen als ein beſonderes Ehren-
recht darzuſtellen ſucht. Daß Führung der Waffen gegen den Wunſch
der Betreffenden weſentlich eine Verpflichtung iſt, und zwar eine ſchwere,
bleibt trotz aller Schönrederei Jedem klar, am meiſten den Betroffenen
ſelbſt. Allein eine richtige Auffaſſung des Verhältniſſes ſchadet der Durch-
führung des nothwendigen Opfers keineswegs. Im Gegentheil wird ja
durch Verkleidung der Verpflichtung in ein Recht die erſtere auf einen
ganz falſchen Boden geſtellt.
3) Dieſe letztere Rückſicht iſt es, welche die Bildung einer bewaffneten
Macht aus freiwillig angeworbenen Söldlingen, namentlich aus Fremden,
bedenklich erſcheinen läßt. Solche laſſen ſich natürlich, da ſie keine nähere
Rückſicht haben als das Verhältniß zum beſoldenden Dienſtherren, leichter
zur Unterſtützung von rechts- und freiheitsfeindlichen Planen eines ehr-
geizigen und gewaltthätigen Staatsoberhauptes verwenden. Doch kann ſelbſt
hier keine allgemein gültige Verwerfung ausgeſprochen werden. Einen Be-
weis, daß Miethtruppen keineswegs mit Nothwendigkeit ein Mittel zur
Unterdrückung der Freiheit und ein Werkzeug in den Händen der Gewalt-
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[283/0297] Staatsgattungen und der Zuſammenſetzung der Heere einen ſehr weſentlichen Unterſchied. Während der Befehl in Lehen- ſtaaten den Vaſallen je nach ihrer Abſtufung von Rechtswegen und in Folge des Lehenvertrages gebührt; er in Ariſtokratieen ein weſentliches Recht der jüngeren Mitglieder der herrſchenden Geſchlechter iſt; bei Miethtruppen vielleicht dem eine beſtimmte Mannſchaftszahl Stellenden der Befehl über dieſelbe zufällt: muß bei einem aus allen Klaſſen der Bevölkerung gebildeten Heere einzig die Brauchbarkeit und das Verdienſt zu den An- führerſtellen befähigen. Eine Bevorzugung der Geburt oder eine Beförderung von bloßen Günſtlingen iſt nicht nur ein großer Fehler, weil dabei der Sporn zu Auszeichnungen weg- genommen wird und Talent ſowie Erfahrungen unbenützt blei- ben, ſondern es iſt auch ein ſchreiendes Unrecht. ¹⁾ Ueber die bei der bewaffneten Macht des Staates zur Sprache kommenden Rechtsfragen, (freilich zum Theile vermiſcht mit politiſchen und techniſchen Erwägungen,) ſ. Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 565 fg.; Morgenſtern, Menſch, Volksleben und Staat, Bd. I, S. 412 fg.; Bluntſchli, Staats-R., 2. Aufl., Bd. II, S. 162 fg. ²⁾ Es iſt eine ganz unnöthige Ziererei und Heuchelei, wenn man die Verpflichtung der Bürger im Heere zu dienen als ein beſonderes Ehren- recht darzuſtellen ſucht. Daß Führung der Waffen gegen den Wunſch der Betreffenden weſentlich eine Verpflichtung iſt, und zwar eine ſchwere, bleibt trotz aller Schönrederei Jedem klar, am meiſten den Betroffenen ſelbſt. Allein eine richtige Auffaſſung des Verhältniſſes ſchadet der Durch- führung des nothwendigen Opfers keineswegs. Im Gegentheil wird ja durch Verkleidung der Verpflichtung in ein Recht die erſtere auf einen ganz falſchen Boden geſtellt. ³⁾ Dieſe letztere Rückſicht iſt es, welche die Bildung einer bewaffneten Macht aus freiwillig angeworbenen Söldlingen, namentlich aus Fremden, bedenklich erſcheinen läßt. Solche laſſen ſich natürlich, da ſie keine nähere Rückſicht haben als das Verhältniß zum beſoldenden Dienſtherren, leichter zur Unterſtützung von rechts- und freiheitsfeindlichen Planen eines ehr- geizigen und gewaltthätigen Staatsoberhauptes verwenden. Doch kann ſelbſt hier keine allgemein gültige Verwerfung ausgeſprochen werden. Einen Be- weis, daß Miethtruppen keineswegs mit Nothwendigkeit ein Mittel zur Unterdrückung der Freiheit und ein Werkzeug in den Händen der Gewalt-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/297>, abgerufen am 29.04.2024.