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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Weiter entwickelt ergibt denn nun aber die Grundanschauung
des vollkommenen Gemeinlebens folgende wesentliche Sätze:
Der einzelne Mensch kann nur in ausnahmsloser und inniger
Verbindung mit seinem ganzen Stamme seine vollendete Aus-
bildung und Ergänzung erhalten.

Das Wesen der Gesammtheit strömt auf jeden Bestand-
theil zurück, und so ist deren Blüthe und Glück zu gleicher
Zeit auch die Lebenserfüllung des Einzelnen. Die rechtlich
nothwendige Folge hiervon ist, daß jeder Einzelne seine beson-
deren Zwecke entweder ganz aufgeben, oder sie jedenfalls denen
der Gesammtheit unterordnen und zu deren Unterstützung dienen
lassen muß. Es kann dies, wenn es für zweckmäßig erachtet
wird, bis zur Aufgebung des Privateigenthums, des abgeson-
derten Familienlebens, selbst des ausschließlichen ehelichen Rechtes
gehen. Nicht einmal auf das Leben ist ein unbedingtes Recht,
wenn dasselbe im Widerspruche mit dem öffentlichen Nutzen
steht; so sind z. B. schwächliche Kinder auszusetzen. Ueber die
Lebensbeschäftigung des Einzelnen bestimmt, -- wenigstens kann
dies theoretisch verlangt werden, -- nicht er selbst, sondern der
Staat je nach den Anlagen. Gemeinschaftliche öffentliche Er-
ziehung ist ohnedem unerläßliches Mittel. Die Verfolgung
einer geistigen Richtung, welche mit der der Gesammtheit nicht
übereinstimmt, wäre ein schweres Vergehen, und mag also
verboten und bestraft werden. Selbst Erfindungen oder neue
Gewohnheiten können Gegenstand von Verbot und Verfolgung
sein, wenn sie den Kern der bestehenden Volkseigenthümlichkeit
zu ändern drohen. Daß jeder Bürger dem Heere eines solchen
Staates angehört, versteht sich ebensosehr von selbst, als daß
er überhaupt Aemter, Aufträge und Lasten zu übernehmen hat,
zu welchen er besonders tauglich erfunden wird.

Dagegen nimmt aber auch der Bürger vollen Antheil an
dem Staatsleben. Er bringt seine Zeit auf dem öffentlichen

Weiter entwickelt ergibt denn nun aber die Grundanſchauung
des vollkommenen Gemeinlebens folgende weſentliche Sätze:
Der einzelne Menſch kann nur in ausnahmsloſer und inniger
Verbindung mit ſeinem ganzen Stamme ſeine vollendete Aus-
bildung und Ergänzung erhalten.

Das Weſen der Geſammtheit ſtrömt auf jeden Beſtand-
theil zurück, und ſo iſt deren Blüthe und Glück zu gleicher
Zeit auch die Lebenserfüllung des Einzelnen. Die rechtlich
nothwendige Folge hiervon iſt, daß jeder Einzelne ſeine beſon-
deren Zwecke entweder ganz aufgeben, oder ſie jedenfalls denen
der Geſammtheit unterordnen und zu deren Unterſtützung dienen
laſſen muß. Es kann dies, wenn es für zweckmäßig erachtet
wird, bis zur Aufgebung des Privateigenthums, des abgeſon-
derten Familienlebens, ſelbſt des ausſchließlichen ehelichen Rechtes
gehen. Nicht einmal auf das Leben iſt ein unbedingtes Recht,
wenn daſſelbe im Widerſpruche mit dem öffentlichen Nutzen
ſteht; ſo ſind z. B. ſchwächliche Kinder auszuſetzen. Ueber die
Lebensbeſchäftigung des Einzelnen beſtimmt, — wenigſtens kann
dies theoretiſch verlangt werden, — nicht er ſelbſt, ſondern der
Staat je nach den Anlagen. Gemeinſchaftliche öffentliche Er-
ziehung iſt ohnedem unerläßliches Mittel. Die Verfolgung
einer geiſtigen Richtung, welche mit der der Geſammtheit nicht
übereinſtimmt, wäre ein ſchweres Vergehen, und mag alſo
verboten und beſtraft werden. Selbſt Erfindungen oder neue
Gewohnheiten können Gegenſtand von Verbot und Verfolgung
ſein, wenn ſie den Kern der beſtehenden Volkseigenthümlichkeit
zu ändern drohen. Daß jeder Bürger dem Heere eines ſolchen
Staates angehört, verſteht ſich ebenſoſehr von ſelbſt, als daß
er überhaupt Aemter, Aufträge und Laſten zu übernehmen hat,
zu welchen er beſonders tauglich erfunden wird.

Dagegen nimmt aber auch der Bürger vollen Antheil an
dem Staatsleben. Er bringt ſeine Zeit auf dem öffentlichen

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[319/0333] Weiter entwickelt ergibt denn nun aber die Grundanſchauung des vollkommenen Gemeinlebens folgende weſentliche Sätze: Der einzelne Menſch kann nur in ausnahmsloſer und inniger Verbindung mit ſeinem ganzen Stamme ſeine vollendete Aus- bildung und Ergänzung erhalten. Das Weſen der Geſammtheit ſtrömt auf jeden Beſtand- theil zurück, und ſo iſt deren Blüthe und Glück zu gleicher Zeit auch die Lebenserfüllung des Einzelnen. Die rechtlich nothwendige Folge hiervon iſt, daß jeder Einzelne ſeine beſon- deren Zwecke entweder ganz aufgeben, oder ſie jedenfalls denen der Geſammtheit unterordnen und zu deren Unterſtützung dienen laſſen muß. Es kann dies, wenn es für zweckmäßig erachtet wird, bis zur Aufgebung des Privateigenthums, des abgeſon- derten Familienlebens, ſelbſt des ausſchließlichen ehelichen Rechtes gehen. Nicht einmal auf das Leben iſt ein unbedingtes Recht, wenn daſſelbe im Widerſpruche mit dem öffentlichen Nutzen ſteht; ſo ſind z. B. ſchwächliche Kinder auszuſetzen. Ueber die Lebensbeſchäftigung des Einzelnen beſtimmt, — wenigſtens kann dies theoretiſch verlangt werden, — nicht er ſelbſt, ſondern der Staat je nach den Anlagen. Gemeinſchaftliche öffentliche Er- ziehung iſt ohnedem unerläßliches Mittel. Die Verfolgung einer geiſtigen Richtung, welche mit der der Geſammtheit nicht übereinſtimmt, wäre ein ſchweres Vergehen, und mag alſo verboten und beſtraft werden. Selbſt Erfindungen oder neue Gewohnheiten können Gegenſtand von Verbot und Verfolgung ſein, wenn ſie den Kern der beſtehenden Volkseigenthümlichkeit zu ändern drohen. Daß jeder Bürger dem Heere eines ſolchen Staates angehört, verſteht ſich ebenſoſehr von ſelbſt, als daß er überhaupt Aemter, Aufträge und Laſten zu übernehmen hat, zu welchen er beſonders tauglich erfunden wird. Dagegen nimmt aber auch der Bürger vollen Antheil an dem Staatsleben. Er bringt ſeine Zeit auf dem öffentlichen

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/333>, abgerufen am 30.04.2024.