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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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und in bereits festgestellten Verhältnissen, zu sichern geeignet
sind 3).

In jeder Volksherrschaft sind die Bestimmungen über die
Erwerbung des Bürgerrechtes, und somit über die
Theilnahme an den Staatsangelegenheiten, von der höchsten Be-
deutung, indem sie über die Eigenschaften der regierenden Ge-
walt entscheiden. Hier ist denn einerseits jede Ausschließung
selbstständiger und zur Mitbesorgung der allgemeinen Angelegen-
heiten intellectuell und sittlich befähigter Staatsgenossen unzwei-
felhaft ein Unrecht. Andererseits aber ist eben so klar, daß Solche,
bei welchen eine Unfähigkeit zur Besorgung der Geschäfte er-
wiesenermaßen vorliegt, oder deren Verhältnisse vernünftiger-
weise keine Selbstständigkeit der Entscheidung annehmen lassen,
beseitigt werden müssen. Daher denn mit Recht Weiber und
Kinder als geistig unbefähigt, Verbrecher und tolle Verschwender
als sittlich unzuverlässig, in Privatdiensten Stehende, Haus-
söhne und der öffentlichen Armenunterstützung Verfallene als
unselbstständig ausgeschlossen werden. Auch mag es wohl ge-
rechtfertigt werden, wenn Fremde entweder gar nie oder besten
Falles erst nach langjährigem Aufenthalte zur Theilnahme zu-
gelassen werden, weil bei ihnen eine verschiedene Grundan-
schauung in staatlichen Fragen und eine ungenügende Kenntniß
von Personen und Dingen mit Recht zu vermuthen steht 4).

Da der Staat regiert werden muß, und da es in der
Demokratie von höchstem Interesse ist, daß dieses in der That
nach dem Sinne der Mehrzahl des Volkes geschehe: so kann
füglich die Theilnahme des Einzelnen an den öffentlichen Ge-
schäften nicht bloß als Recht, sondern als Pflicht aufgefaßt,
und somit im Nothfalle erzwungen werden.

Die in jeder der beiden Arten der Volksherrschaft beson-
ders geltenden Sätze sind nachstehende:

I. Die reine (autokratische) Demokratie.

v. Mohl, Encyclopädie. 22

und in bereits feſtgeſtellten Verhältniſſen, zu ſichern geeignet
ſind 3).

In jeder Volksherrſchaft ſind die Beſtimmungen über die
Erwerbung des Bürgerrechtes, und ſomit über die
Theilnahme an den Staatsangelegenheiten, von der höchſten Be-
deutung, indem ſie über die Eigenſchaften der regierenden Ge-
walt entſcheiden. Hier iſt denn einerſeits jede Ausſchließung
ſelbſtſtändiger und zur Mitbeſorgung der allgemeinen Angelegen-
heiten intellectuell und ſittlich befähigter Staatsgenoſſen unzwei-
felhaft ein Unrecht. Andererſeits aber iſt eben ſo klar, daß Solche,
bei welchen eine Unfähigkeit zur Beſorgung der Geſchäfte er-
wieſenermaßen vorliegt, oder deren Verhältniſſe vernünftiger-
weiſe keine Selbſtſtändigkeit der Entſcheidung annehmen laſſen,
beſeitigt werden müſſen. Daher denn mit Recht Weiber und
Kinder als geiſtig unbefähigt, Verbrecher und tolle Verſchwender
als ſittlich unzuverläſſig, in Privatdienſten Stehende, Haus-
ſöhne und der öffentlichen Armenunterſtützung Verfallene als
unſelbſtſtändig ausgeſchloſſen werden. Auch mag es wohl ge-
rechtfertigt werden, wenn Fremde entweder gar nie oder beſten
Falles erſt nach langjährigem Aufenthalte zur Theilnahme zu-
gelaſſen werden, weil bei ihnen eine verſchiedene Grundan-
ſchauung in ſtaatlichen Fragen und eine ungenügende Kenntniß
von Perſonen und Dingen mit Recht zu vermuthen ſteht 4).

Da der Staat regiert werden muß, und da es in der
Demokratie von höchſtem Intereſſe iſt, daß dieſes in der That
nach dem Sinne der Mehrzahl des Volkes geſchehe: ſo kann
füglich die Theilnahme des Einzelnen an den öffentlichen Ge-
ſchäften nicht bloß als Recht, ſondern als Pflicht aufgefaßt,
und ſomit im Nothfalle erzwungen werden.

Die in jeder der beiden Arten der Volksherrſchaft beſon-
ders geltenden Sätze ſind nachſtehende:

I. Die reine (autokratiſche) Demokratie.

v. Mohl, Encyclopädie. 22
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[337/0351] und in bereits feſtgeſtellten Verhältniſſen, zu ſichern geeignet ſind 3). In jeder Volksherrſchaft ſind die Beſtimmungen über die Erwerbung des Bürgerrechtes, und ſomit über die Theilnahme an den Staatsangelegenheiten, von der höchſten Be- deutung, indem ſie über die Eigenſchaften der regierenden Ge- walt entſcheiden. Hier iſt denn einerſeits jede Ausſchließung ſelbſtſtändiger und zur Mitbeſorgung der allgemeinen Angelegen- heiten intellectuell und ſittlich befähigter Staatsgenoſſen unzwei- felhaft ein Unrecht. Andererſeits aber iſt eben ſo klar, daß Solche, bei welchen eine Unfähigkeit zur Beſorgung der Geſchäfte er- wieſenermaßen vorliegt, oder deren Verhältniſſe vernünftiger- weiſe keine Selbſtſtändigkeit der Entſcheidung annehmen laſſen, beſeitigt werden müſſen. Daher denn mit Recht Weiber und Kinder als geiſtig unbefähigt, Verbrecher und tolle Verſchwender als ſittlich unzuverläſſig, in Privatdienſten Stehende, Haus- ſöhne und der öffentlichen Armenunterſtützung Verfallene als unſelbſtſtändig ausgeſchloſſen werden. Auch mag es wohl ge- rechtfertigt werden, wenn Fremde entweder gar nie oder beſten Falles erſt nach langjährigem Aufenthalte zur Theilnahme zu- gelaſſen werden, weil bei ihnen eine verſchiedene Grundan- ſchauung in ſtaatlichen Fragen und eine ungenügende Kenntniß von Perſonen und Dingen mit Recht zu vermuthen ſteht 4). Da der Staat regiert werden muß, und da es in der Demokratie von höchſtem Intereſſe iſt, daß dieſes in der That nach dem Sinne der Mehrzahl des Volkes geſchehe: ſo kann füglich die Theilnahme des Einzelnen an den öffentlichen Ge- ſchäften nicht bloß als Recht, ſondern als Pflicht aufgefaßt, und ſomit im Nothfalle erzwungen werden. Die in jeder der beiden Arten der Volksherrſchaft beſon- ders geltenden Sätze ſind nachſtehende: I. Die reine (autokratiſche) Demokratie. v. Mohl, Encyclopädie. 22

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/351>, abgerufen am 29.04.2024.